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Transport und EnergieNiedriger Rheinpegel stellt Chemie-Industrie erneut vor Probleme

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Bayer Zentrale

Chempark in Leverkusen

  • Der Rhein ist der wichtigste Transportweg für die Chemie-Unternehmen in der Region.
  • Der niedrige Pegel bringt die Unternehmen in die Bredouille.
  • Welche Probleme sich auftun und was die Konzerne als Lösungen anbieten.

Köln/Leverkusen – Der Rheinpegel hat sich in Leverkusen dieser Tage um die Zwei-Meter-Marke eingependelt. Das ist nicht viel, reicht aber, damit Schiffe den Chempark ohne Einschränkungen passieren können. Es ist ein Freitagmittag und wie inzwischen üblich, geht es zu dieser Zeit in der Woche um die Zukunft. Denn bald könnten große Schiffe im Spätsommer nicht mehr selbstverständlich sein auf Rheinkilometer 700. Der wichtigste Transportweg der Chemieindustrie, einer Kernsparte der deutschen Wirtschaft, ist ungewiss. Dazu steigende Energiekosten, das schlechte Image von Kunststoffen. Die Lage der Branche, die deren Vertreter im Chemieforum in Leverkusen an diesem Tag umtreibt, ist angespannt.

145.000 Beschäftige in der Chemie

Knapp 145.000 – in der Regel hoch bezahlte – Beschäftigte arbeiten in NRW im Chemiesektor, etwa 103000 davon in größeren Betrieben; so viele wie in keinem anderen Bundesland. Die Branche setzt allein in NRW jährlich rund 37 Milliarden Euro um. „Das Rheinland ist die stärkste Chemieregion Europas“, sagt Clemens Mittelviefhaus von der Interessengemeinschaft Chem Cologne. Aber dem Rhein, die Lebensader der chemischen Industrie Europas, von Basel über Ludwigshafen und Leverkusen bis Rotterdam, setzt die Trockenheit zu. Ausgerechnet einer Branche, der vielfach eine Mitschuld am Klimawandel vorgeworfen wird, hat das Klima im vergangenen Jahr einen Weckruf geschickt.

Die größten Chemieparks in NRW

1.  Bayer Pharma Bergkamen 2.  Chemiepark Marl 3.  Solvay Rheinberg 4.  Krefeld-Uerdingen 5.  Henkel AG & Co. KGaA 6.  Chempark Dormagen 7.  Industriepark Oberbruch 8.  Akzo Nobel 9.  Chemiepark Knapsack 10. Chemiepark Köln-Merkenich 11. Chempark Leverkusen

Alles zum Thema Klimawandel

Die bisher letzte lange Niedrigwasser-Phase im Herbst 2018 erforderte etwa beim US-Konzern Ineos, der das ehemals BP gehörende petrochemische Werk in Köln-Worringen betreibt, Improvisationstalent. „Im Oktober mussten wir täglich Krisensitzungen abhalten“, sagt Ineos-Logistikleiter Christian Rodde. Mehr als drei Monate hätten die Schiffe nur gering beladen werden können, was ein Aufstocken der Flotte nötig machte. Auch der Leverkusener Werkstoffhersteller Covestro musste Niedrigwasserzuschläge zahlen und konnte jede zehnte Einheit nicht mehr verschiffen.

Großteil des Transports auf Flüssen

232 Millionen Tonnen chemischer Erzeugnisse werden jährlich in Deutschland transportiert, ein Großteil davon auf Flüssen. Ein Schiff ersetzt knapp 100 Lkw-Fahrten. Alternativen zum Rhein gibt es allein daher nicht. Und auf Schienen und Straßen herrscht in NRW seit Jahrzehnten Sanierungsstau. Die Autobahnbrücken in Leverkusen und Duisburg sind für den Schwerlastverkehr gesperrt. Am Freitag kam noch eine in Krefeld hinzu. Die Infrastruktur verschleiße schneller, als sie repariert werden könne, warnt Erich Staake, Chef des Duisburger Hafens, der auch für Chemiegüter als Umschlagplatz dient.

Mehr Pipelines, die den weg zu den Seehäfen Belgiens und der Niederlande überbrücken könnten, wären kaum durchzusetzen. Weil der Rhein also der einzige Weg ist, arbeitet BASF in Ludwigshafen bereits an einem Umbau der Schiffsflotte für den noch schwieriger zu befahrenden Mittelrhein. Derlei Maßnahmen werden bei Covestro gerade noch geprüft. Und die Politik will zeigen, dass sie das Problem erkannt hat: Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) brachte jüngst einen Acht-Punkte-Plan gegen Niedrigwasser auf den Weg.

Auch Stromversorgung wird teurer

Aber nicht nur der Transport bereitet den Konzernen Sorgen. Auch die Stromversorgung wird teurer und – so befürchten es Branchenvertreter – durch die ins Stocken geratene Energiewende weniger verlässlich. „Die Chemieindustrie ist und bleibt energieintensiv, da können wir forschen, solange wir wollen“, sagt Covestro-Chef Markus Steilemann. Sind die rheinischen Chemie-Konzerne also Opfer der Klimapolitik?

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Umweltschützer lassen diese Lesart nicht gelten. Andy Gheorgiu, Berater beim Europa-Ableger der Nichtregierungsorganisation Food and Water Watch, wirft den Unternehmen vor, bislang keine Exitstrategie für den Einsatz fossiler Energieträger zu haben. „Die Chemieunternehmen stellen in ihren Geschäftsberichten den Klimawandel gerne als größtes finanzielles Risiko dar. Doch in der Tat erhalten sie die CO2-Zertifikate heute größtenteils umsonst“, sagt Gheorgiu.

Die Konzerne geben sich dessen ungeachtet größte Mühe, sich als Klimaschützer zu positionieren. Zum Beispiel damit: Seit 1990 hat die chemische Industrie ihre Produktion um mehr als zwei Drittel gesteigert und dabei die Treibhausgasemissionen fast halbiert. Steilemann kündigt an, mehr auf Recycling setzen zu wollen. Auch hier gibt es keine Alternative zur Chemie, sagt er: „Wir werden auch in Zukunft in einer materiellen Welt leben.“ (mit tb)  

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