Vodafone-Chef Ametsreiter im Interview„Das Datenvolumen ist im Lockdown explodiert“

Lesezeit 6 Minuten
Hannes Ametsreiter neu

Vodafone-Chef Hannes Ametsreiter

Herr Ametsreiter, welches Fazit ziehen Sie zum zu Ende gehenden Jahr 2020? 2020 war für uns alle ein außergewöhnliches Jahr – sehr schmerzhaft, aber auch sehr lehrreich. Dass wir uns jetzt in einem zweiten Lockdown befinden, ist erschreckend. Damit haben die meisten vermutlich nicht gerechnet als Corona im März in unser Leben trat. Die jetzige Situation zeigt, dass das Lernen noch nicht beendet ist. Für die Industrie und staatliche Dienste war das Jahr ein digitaler Weckruf. Hier waren viele Bereiche bislang digital unterentwickelt – und sind es teilweise immer noch. Aber ich spüre einen Fortschritt. Wenn ich mir etwas wünschen kann, dann das der Digital-Schub, den das Jahr gebracht hat, ein nachhaltiger ist und wir unsere Zukunft auch nach Corona mit neusten Technologien gestalten.

Die Telekommunikationsnetze standen vor allem im Frühjahr im Fokus, als befürchtet wurde, dass sie unter der Flut von Videokonferenzen zusammenbrechen würden. Waren die Sorgen berechtigt?

Tatsächlich ist das Datenvolumen im März quasi über Nacht explodiert. Mit einem Mal rauschten rund 60 Prozent mehr Daten durch unsere Netze. Allein im Mobilfunk haben wir in diesem Jahr deutlich mehr als eine Milliarde Gigabyte Daten übertragen. Der erste Lockdown war für unsere Netze ein Stresstest, den wir sonst wohl nie gewagt hätten. Was mich rückblickend stolz macht: In ganz Deutschland haben sich die Netze als krisenresistent erwiesen. Die digitale Infrastruktur war zu jeder Zeit stabil und auf einem hohen Niveau.

Alles zum Thema Fußball-Bundesliga

Wie weit sind Sie beim Aufbau Ihres 5G-Netzes gekommen?

Als wir 2019 das erste 5G-Netz in Deutschland gestartet haben, war es unser Ziel bis Ende 2020 zehn Millionen Menschen in Deutschland mit der neuen Mobilfunk-Technik zu erreichen. Erst vor einem Monat haben wir die Zielmarke auf 15 Millionen erhöht – und schon jetzt wieder übertroffen. Mit unserem 5G-Netz erreichen wir in Deutschland jetzt 16 Millionen Menschen. Nie ist ein Netz schneller gewachsen. Wir sind voll auf Kurs. Unsere Techniker aktivieren alle 20 Minuten eine neue 5G-Antenne. Jetzt setzen wir uns neue Ziele: Ende 2021 wollen wir mehr als 30 Millionen Menschen mit 5G versorgen.

Wie viele Kunden buchen das Angebot tatsächlich?

Noch wichtiger als die Masten sind die echten 5G-Anwendungen. Hier sind wir die Nummer 1 in Deutschland. Wir stehen mit 300 Unternehmen im Austausch, mit denen wir gemeinsam individuelle 5G-Campusnetze aufbauen wollen.

Zur Person

Hannes Ametsreiter, 1967 in Salzburg geboren, ist seit 1. Oktober 2015 Chef von Vodafone in Deutschland mit Sitz in Düsseldorf sowie Vorstandsmitglied der weltweiten Vodafone-Gruppe. Der Österreicher besitzt mehr als 20 Jahre Erfahrung in der Telekommunikationsbranche und war vor seinem Einstieg bei Vodafone Vorstandschef der Telekom Austria. Ametsreiter hat Publizistik, Kommunikations- und Sportwissenschaft studiert und zum Thema Biervermarktung promoviert. Er ist verheiratet und Vater von zwei Töchtern.

Wir haben 5G zu Tankstellen, in die Automobilproduktion und sogar in Flugzeug-Hangars gebracht. Diese Woche gab es die nächste 5G-Premiere: Gemeinsam mit Sky haben wir Livebilder von der Fußball-Bundesliga über unser neues Netz übertragen – direkt von der Kamera in die Produktionszentren ohne Umweg über einen Übertragungswagen.

Und wie viele 5G-Verträge wurden von Privatkunden abgeschlossen?

Die Zahl ist der 5G-Nutzer ist noch nicht riesig, aber wächst jeden Tag. Hier spielen auch die 5G-fähigen Smartphones eine Rolle. Immer mehr Handys unterstützen den Mobilfunk-Turbo. Zuletzt war jedes zweite Smartphone, das in unseren Shops verkauft wurde, ein 5G-Smartphone.

Laut einem Gesetzesentwurf müssen Netzausrüster wie der umstrittene Huawei-Konzern künftig strenge Regeln einhalten, wenn sie am Ausbau teilnehmen. Sind Sie zufrieden, dass einer Ihrer wichtigsten Zulieferer immerhin nicht ausgeschlossen wird?

Es ist eine Entscheidung mit Augenmaß, die gute Kontrollmechanismen und hohe Sicherheit bietet. Der 5G-Ausbau, der gerade richtig Fahrt aufgenommen hat, wird nicht ausbremst. Neben höchsten Sicherheitsmechanismen könnten wir jetzt beispielsweise Strafzahlungen mit Zulieferern vereinbaren für den Fall, dass sie Zusagen zur Netzsicherheit nicht einhalten.

Haben Sie sich in der Vergangenheit von Huawei zu abhängig gemacht?

Nein, die Marktsituation hat sich in den vergangenen Jahren schlicht verändert. Die Zahl der Anbieter von Netz-Technologie ist kleiner geworden. Viele ehemalige Akteure wie Siemens sind aus diesem Bereich größtenteils ausgestiegen. Der Netzausbau mit unseren Partnern funktioniert, aber es stellt sich die Frage der Abhängigkeit. Ich meine: Wir brauchen eine unabhängige Antwort auf die weltweite Frage der digitalen Sicherheit. An dieser Antwort arbeiten wir gerade: Sie heißt Open RAN.

Bislang stammen die Netzkomponenten an einem Mobilfunkmast von nur einem Anbieter. Open RAN soll das ändern...

Open RAN kann unsere Netze grundlegend verändern. Mit offenen Schnittstellen an einer Mobilfunk-Station können wir Netzkomponenten von verschiedensten Anbietern miteinander kombinieren. Damit öffnen wir die Tore auch für neue Technologie-Experten und können auf neue Entwicklungen besser reagieren. Kurz: Mit Open RAN sprengen wir die Silos. Das ist, als ob wir in unseren Kinderzimmern plötzlich Lego-Bausteine mit Playmobil-Bausteinen kombinieren können, um daraus noch größere und buntere Welten zu bauen. Wichtig ist, dass wir bei der Entwicklung in Deutschland eine führende Rolle einnehmen. Wir brauchen Netze erdacht in Europa und bestückt mit den besten Bausteinen der Welt.

Ihr Fokus beim Ausbau des Festnetzes liegt nicht auf Glasfaseranschlüssen, sondern dem Kabelnetz, das Sie für 18 Milliarden Euro von Unitymedia übernommen haben. Warum?

Weil wir unser Kabelnetz immer mehr zu einem Glasfasernetz aufrüsten. Schon heute haben wir Gigabit-Anschlüsse für 22 Millionen Menschen freigeschaltet. Zum Vergleich: Alle Wettbewerber zusammen kommen auf sechs Millionen Anschlüsse. Unser Gigabit-Netz machen wir in naher Zukunft noch schneller mit noch mehr Glasfaser und neuen Technologien: So werden Download-Geschwindigkeiten von zehn Gigabit pro Sekunde möglich, und auch der Upload wird deutlich schneller.

Bei Glasfaser-Hausanschlüssen, die Verbrauchern noch schnellere Verbindungen liefern können, fahren Sie Ihre Pläne aber deutlich zurück.

Das stimmt nur teilweise. Bei Gewerbegebieten bremsen wir tatsächlich ab. Wir haben aber schon viele Privathaushalte für Glasfaser gewonnen und bauen jetzt erst einmal die versprochenen Netze. Wir haben 150.000 Haushalte in der Pipeline, die wir jetzt anschließen. Anschließend werden wir auch weiterhin Glasfaser ausbauen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Erst einmal nutzen Sie künftig solche Anschlüsse der Telekom, haben Sie in dieser Woche verkündet. Sind Kooperationen wichtiger als der eigene Ausbau?

Der ganze Markt setzt auf Kooperationen. Es ergibt einfach Sinn, dass wir gemeinsam Netze bauen und nutzen, vor allem da, wo es graue oder weiße Flecken gibt. Wir müssen nicht überall unsere eigene Infrastruktur haben.

Den großen Vodafone-Campus in Düsseldorf gibt es nun seit acht Jahren. Wird er in der Homeoffice-Ära zunehmend überflüssig?

Nein, aber natürlich verschieben sich die Nutzungen und der Flächenbedarf. Wir brauchen auch künftig eine Stätte, an der wir uns treffen, gemeinsam nachdenken und uns austauschen. Auch als Identifikationssymbol hat der Vodafone Campus seine Berechtigung. Architektur prägt auch das Denken über eine Marke und ein Unternehmen. Unsere Zentrale hat auch deshalb eine Signalfunktion.

Wie verändert sich das Arbeiten bei Ihnen?

Wir haben in diesem Jahr bei der Arbeit eine neue Lockerheit gewonnen, die mir sehr gefällt. Heute regt sich kein Mensch mehr auf, wenn im Videohintergrund ein Kind zu sehen ist oder mal in die Telefonschalte lacht. Diese relaxte Haltung ist schön und macht das Arbeitsleben viel menschlicher. Die Zukunft gehört dem fluiden Arbeiten, bei dem Menschen selbst am besten entscheiden, wo sie am produktivsten sind. Denn eines haben wir auch gelernt: Eine Videokonferenz kann ein privates Treffen, bei dem man sich auch mal auf die Schulter klopfen kann, niemals ersetzen.

KStA abonnieren