„Mindestens“ drei Werke will VW in Deutschland angeblich schließen, den übrigen Beschäftigten deutlich den Lohn kürzen. Der Konzern selbst dementiert nicht, fordert aber Kostensenkungen.
Zehntausende Angestellte protestierenWie die Krise bei VW eskaliert
Bei VW eskaliert der Konflikt um mögliche Werksschließungen und Kündigungen. Der Vorstand bleibt nicht nur bei seiner Drohung, er hat kurz vor der zweiten Verhandlungsrunde im Haustarif offenbar nachgelegt: Nach Darstellung des Betriebsrats will der Konzern in Deutschland „mindestens drei Werke“ schließen. In den VW-Werken versammelten sich am Montag Zehntausende Beschäftigte, um gegen die Pläne zu protestieren. Arbeitsplätze stünden auf dem Spiel und Löhne sollten dauerhaft gekürzt werden, sagte die Betriebsratsvorsitzende Daniela Cavallo, „und der Vorstand kriegt es nicht hin, euch das zu sagen“.
Der Vorstand sagte daraufhin zumindest, dass alle Optionen auf dem Tisch blieben: „Wir müssen an die Wurzel der Probleme heran“, wird VW-Markenchef Thomas Schäfer in einer Unternehmensmitteilung zitiert. Die Fabrikkosten an deutschen Standorten lägen „um 25 bis 50 Prozent über dem, was wir uns vorgenommen haben“. „Damit sind einzelne deutsche Werke doppelt so teuer wie der Wettbewerb.“ Welche Fabriken das sind, ließ er offen.
„Dieser Vorstand gibt ein erbärmliches Bild ab“
Damit stehen die Zeichen für die Verhandlungen über den VW-Haustarif am Mittwoch auf Sturm. Die IG Metall fordert dort wie im Flächentarif 7 Prozent mehr Einkommen für die gut 100.000 Beschäftigten an den deutschen Standorten. Dabei will die Gewerkschaft bleiben, solange mögliche Werksschließungen und Entlassungen im Raum stehen. Doch das wird am Mittwoch wohl so bleiben, denn VW werde „konkrete Vorschläge zur Senkung der Arbeitskosten machen“, kündigte das Unternehmen am Montag an.
Beide Seiten haben sich offenbar verkeilt wie noch nie in der bewegten VW-Geschichte. Cavallo droht bereits mit dem Platzen der Verhandlungen und mit Streiks: Der Vorstand spiele „massiv mit dem Risiko, dass hier bald alles eskaliert. Und damit meine ich, dass wir die Gespräche abbrechen und machen, was eine Belegschaft machen muss, wenn sie um ihre Existenz fürchtet.“ Außerdem nimmt sie zunehmend Konzernchef Oliver Blume in die Pflicht, der das Thema bisher weitgehend dem für die Marke VW zuständigen Thomas Schäfer überlässt. „Dieser Vorstand, und ich meine hier explizit den VW-Markenvorstand ebenso wie den Konzernvorstand, dieser Vorstand gibt ein erbärmliches Bild ab.“
Außerdem müsse die Politik „mal endlich aufwachen“ – über den Fall VW hinaus: „Wir brauchen einen umfassenden Plan aus der Politik, wie die Elektromobilität endlich zum Fliegen kommt. Und ich sage: Wir brauchen darüber hinaus auch einen Masterplan für den Industriestandort Deutschland.“ Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lädt für diesen Dienstag zum „Industriegipfel“. Mit Blick auf VW sagte sein Sprecher am Montag, die Haltung sei klar – „nämlich, dass mögliche falsche Managemententscheidungen aus der Vergangenheit nicht zulasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen dürfen“. Es gehe darum, Arbeitsplätze zu erhalten und zu sichern.
Die Betriebsratschefin wirft dem Management vor, sich zu verstecken und außer Sparen keine Strategie zu haben. „Der Vorstand hat der Belegschaft hier alles angezündet, er hat alles in Flammen gesetzt – und sich dann verdrückt.“ Das Unternehmen hält dagegen, dass man dem Betriebsrat „Lösungswege vorgestellt“ habe. Die Diskussionen würden zuerst intern geführt, sagte Personalvorstand Gunnar Kilian, der selbst lange für den Betriebsrat gearbeitet hat. „Die Lage ist ernst und die Verantwortung der Verhandlungspartner ist enorm.“
Nach Darstellung des Betriebsrats beschränken sich die Vorstandspläne bisher allerdings auf eine „Giftliste“. Auf der stehe nicht nur die Schließung von drei der zehn VW-Werke in Deutschland. Außerdem sollten verschiedene Abteilungen und Bereich ausgelagert werden. Damit verbunden seien unvermeidlich betriebsbedingte Entlassungen, die nach der Kündigung der Beschäftigungsgarantie im nächsten Jahr möglich wären.
Auch die verbleibenden Beschäftigten müssen Kürzungen hinnehmen
Den verbleibenden Beschäftigten sollten pauschal 10 Prozent vom Monatsentgelt gestrichen werden, zudem stünden verschiedene Sonderleistungen bis hin zu Jubiläumszahlungen zur Disposition. Die sind bei VW allerdings ungewöhnlich hoch: Bei 25 oder 35 Jahren Werkszugehörigkeit gebe es bisher „rund das Anderthalbfache oder Dreifache von einem Monatsentgelt“.
Die Situation ist auch deshalb besonders vertrackt, weil bei VW aktuell drei große Verhandlungsrunden laufen, die alle entscheidend für die Zukunft des Konzerns sind. Neben dem Haustarif geht es auch um den Investitionsplan der nächsten fünf Jahre, mit dem gleichzeitig über neue Modelle, Projekte und damit die Arbeit an verschiedenen Standorten entschieden wird. Die dritte Großbaustelle ist ein bereits begonnenes Programm zur Ergebnisverbesserung, das für die nächsten Jahre noch Lücken hat und zudem wegen der schwierigen Lage nachgebessert werden muss.
Cavallo will alles verbinden: Zugeständnisse im Tarif sind für sie nur bei Zusagen für die Werksauslastung denkbar. Der Vorstand denkt andersherum: Erst nach Einsparungen im Tarif stehen die Aufträge für die verschiedenen Standorte auf der Tagesordnung.