Würstchenbude mit Domblick - nur im Tatort

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Zwei Kommissare, eine Würstchenbude: Max Ballauf und Freddy Schenk müssen im Tatort alle Kölsch-Klischees bedienen.

Zwei Kommissare, eine Würstchenbude: Max Ballauf und Freddy Schenk müssen im Tatort alle Kölsch-Klischees bedienen.

Fernsehen und Wirklichkeit haben nicht viel miteinander zu tun - das weiß jeder, das vergisst aber auch jeder gerne. Und deswegen sind Köln-Besucher auch immer wieder empört, wenn sie feststellen, dass es die Würstchenbude aus dem „Tatort“ gar nicht gibt - zumindest nicht mit dem Postkarten-Panorama von der rechten Rheinseite. Die Stadt, in der die Kommissare Freddy Schenk und Max Ballauf ermitteln, heißt zwar Köln. Sie ist aber ein Kunstprodukt aus Studioaufnahmen, Film-Schnitten, Archivmaterial und diversen Drehorten. Sogar Schauplätze in Düsseldorf, Bonn, Aachen oder Belgien werden dem Zuschauer als Köln verkauft. „Die Filmemacher interessieren sich für die Geschichte und für ihr Budget“, sagt Björn Bollhöfer. „Die Stadt ist ihnen erst mal egal.“

Bollhöfer hat gerade seine Doktorarbeit in Geographie veröffentlicht. Thema: der Kölner Tatort. 32 Folgen hat er dafür untersucht - angefangen bei der ersten Folge, die 1997 unter dem Titel „Willkommen in Köln“ lief. Man wolle Geschichten erzählen, die „besonders regional verwurzelt“ sind, kündigte der Sender damals in einer Pressemitteilung an: „Die Menschen werden original sein, die Kölner Originale eingeschlossen.“

Über die Stadt erfährt der Zuschauer nichts

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Diesen Anspruch hat der Kölner Tatort nicht eingelöst, findet Björn Bollhöfer: „Die meisten Geschichten könnten überall in Deutschland spielen.“ Für das Lokalkolorit sorgen nur noch Autokennzeichen und Klischees wie Kölsch-Flaschen oder eben der unvermeidliche Dom. Über die Stadt und ihre Menschen erfährt der Zuschauer nichts, findet der Geograph.

Kein Wunder, wenn die Autoren in einem Café am Prenzlauer Berg arbeiten: „Wenn ein Berliner das Drehbuch schreibt, dann steht da überall »xxx-Straße« und »xxxPlatz«“, erzählt Katja De Bock, zuständige Redakteurin des WDR, in Bollhöfers Buch.

Diese Leerstellen zu füllen ist dann vor allem Sache so genannter Location-Scouts, Szenenbildner und Requisiteure. Dass die in den letzten Jahren immer mehr auf Drehorte außerhalb der Kölner Stadtgrenzen zurückgreifen, hat verschiedene Gründe: Geld ist einer, die von den Filmteams genervten Anwohner ein anderer. „Man muss zwangsläufig ausweichen, weil die Motive in Köln nicht immer zu einem erschwinglichen Preis zu kriegen oder abgefrühstückt sind, man hat ja alles schon gesehen von Köln“, zitiert Bollhöfer den Szenenbildner Frank Polosek. Produzentin Anke Scheib berichtete dem Doktoranden von anderen Problemen: „Wir haben große Schwierigkeiten, in Marienburg zu drehen. Da gibt es richtige Einwohnerzusammenschlüsse, die wollen nicht, dass wir da drehen.“

So manch eine Ungereimtheit

Und so kommt es, dass Kölner Zuschauer sich manchmal verwundert die Augen reiben, wenn sie ihre Stadt am Sonntagabend auf dem Fernsehbildschirm sehen. Eine Fahrt über die Severinsbrücke dauert 20 Minuten, dafür schafft es ein Tatverdächtiger in fünf Minuten aus der Südstadt nach Nippes. Statt in grauen Betonbauten befindet sich die Universität plötzlich in einer malerischen Abtei, und ein Box-Club in Kalk hat einen direkten Ausgang zu den Poller Wiesen. Mit detektivischem Ehrgeiz fahnden Tatort-Fans in Internetforen nach solchen Unstimmigkeiten. „Ist keinem aufgefallen, dass der gezeigte Park gar nicht in Köln war? Gegen 21.30 Uhr konnte man im Hintergrund den Post-Tower in Bonn erkennen“, schreibt „Busley“ auf der Seite „tatort-fundus.de“.

Es ist also eine merkwürdige Visitenkarte, die der Tatort der Stadt ausstellt. „Auch in Holland, Österreich und der Schweiz wird so ein Bild von Köln konstruiert, dass kein Tourist hier antreffen wird“, sagt Bollhöfer. Wenigstens sollten sich eifrige Tatort-Gucker mit regionalen Besonderheiten wie Halver Hahn oder dem Nubbel auskennen. Denn die Figuren der Kommissare sind extra so angelegt, dass der eine dem anderen ständig Nachhilfe im kölschen Brauchtum geben muss: Freddy Schenk ist der Prototyp des klüngelnden Kölners, der Kölsch trinkt und Mitglied im Karnevalsverein ist. Stellvertretend für die Zuschauer muss sich Pilstrinker und Westfale Ballauf von ihm über die Kölner Lebensart belehren lassen.

Diese Reduzierung der Stadt auf Klischees wie Karneval, Kölsch und Klüngel ärgert Björn Bollhöfer. Trotzdem guckt er gerne den Kölner Tatort und freut sich, wenn er die Thesen aus seiner Arbeit bestätigt sieht. Außerdem kann er sich damit trösten, dass es den Münsteranern nicht viel besser geht: Ihr Tatort wird hauptsächlich in Köln gedreht.

Björn Bollhöfer: Geographien des Fernsehens. Der Kölner Tatort als mediale Verortung kultureller Praktiken, Transcript-Verlag, 25,80 Euro.

 www.tatort-fundus.de

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