WunderkammerDie Faszination von altem Eisen

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Bei Eisenwaren Bosen in der Marsiliusstraße 4 scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. (Bild: Eickler)

Bei Eisenwaren Bosen in der Marsiliusstraße 4 scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. (Bild: Eickler)

Sülz – Etwas, das auf jede denkbare Weise seltsam ist, bezeichnet man als Kuriosum. Seltsam ist, was sich hinter der Adresse Marsiliusstraße 4 verbirgt, allemal. Die Neugier des Passanten weckt es auf jeden Fall. Über dem etwas blind gewordenen Schaufenster blättert die Farbe ab. Der Schriftzug „Eisenwaren Bosen“ ist seit 1875 unverändert. Eine Uhr ragt in die Straße. Sie ist irgendwann gegen Viertel vor Sieben stehen geblieben.

Hinter dem Schaufenster des 1873 erbauten Dreifensterhauses findet sich in dem gut fünf Meter breiten, 18 Meter tiefen und drei Meter hohen Ladenlokal Überkommenes, Vergessenes, Gehütetes - das aber manchmal noch und manchmal umso dringender benötigt wird.

Wo bekommt man denn heute noch Herdringe oder Glaszylinder für Petroleumlampen in verschiedenen Größen oder Aschenschösser für Kohleöfen? Im Eisenwarenladen Bosen liegen sie und schlafen einen Dornröschenschlaf. Schon deshalb darf der Laden als Kuriositätenkabinett gelten. Eigenartig ist aber auch die Tatsache, dass seine Besitzer ihn einfach lassen wie er ist, geschlossen für immer. Geöffnet für Menschen, die ihrer Neugierde gehorchend klingeln und darum bitten, den Laden sehen zu dürfen.

Seit 1998 geschlossen

„Wenn uns die Leute sympathisch sind, dann machen wir das auch schon mal“, sagt Bernd Marpert, der über dem Laden wohnt. Zu viel Trubel aber scheuen er und seine Frau Marianne, die Tochter des letzten Inhaber-Ehepaars, Edmund und Agnes Bosen.

Pappstifte, Küchenbrettösen, Klosettscharniere und Glimmerscheiben - die Regale bis unter die Decke gefüllt, im staubigen Halbdunkel, dazwischen noch eine stehen gebliebene Uhr. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein. Versonnen greift die Tochter Marianne Marpert nach dem Musikautomaten mit den gestanzten Metallscheiben, einem Grammophon-Vorläufer, der auch gut aus der Gründungszeit des Ladens stammen könnte. „Von denen legte sich mein Vater bis zuletzt mal eine auf, wenn er spät abends noch Unterlegscheiben oder Schrauben sortierte.“ „Funiculi funicula“ oder das „Transvaal'sche Volkslied“ mag sich Edmund Bosen beim Sortieren angehört haben. Die Scheiben liegen angerostet im Kasten. Angerostet ist fast alles im Eisenwarenladen Bosen, seit er im Jahr 1998 geschlossen wurde.

Kölner Wirtschaftsgeschichte

Seitdem wird dort Geschichte konserviert, Veedelsgeschichte in den Erzählungen der Bosen-Kinder. So erinnert sich Bernd Marpert daran, dass bei all der Vielfalt, die der Laden abertausendfach bietet, jeder Kunde eigentlich immer nur dasselbe wollte, nämlich „su en Ding“. „Die kamen alle und sagten »Ich brauch da su en Ding, för öm zo . . .« Und dann wurde beschrieben und gestikuliert, manchmal auch aufgemalt. Und dann ging Edmund, nach dessen Tod dann Agnes nach hinten oder in den Keller und tauchten mit dem Gewünschten wieder auf.“ Auch Kölner Kultur- und Wirtschaftsgeschichte bis hin zur Handwerksgeschichte, in Eisen gegossen, in Gegenständen, die heute kaum noch einer kennt, kann hier angeschaut und angefasst werden.

In der geschichtlichen Entwicklung gingen aus Kuriosiätenkabinetten, die es schon in der Antike gab, die Wunderkammern der Renaissance und des Barock hervor. „Die Wunderkammer der Agnes Bosen“ heißt denn auch ein heute leider vergriffener, im Jahr 2002 erschienener Bildband des Sülzer Fotografen Eusebius Wirdeier. In seinem Begleittext zu den poetischen Fotografien schreibt Wirdeier: „Ich fühle mich in eine andere Zeit versetzt, wenn ich hier bin.“

Notadresse für Ausgefallenes

Gegründet wurde Eisenwaren Bosen 1875 von Johann Wilhelm Bosen und Anna Bosen, geborene Fey. Edmund Bosen führte es dann bis zu seinem Tod im Jahr 1984. Seine Frau Agnes schloss den Laden am 21. November 1998 endgültig, aus Altersgründen. Bis dahin war Eisenwaren Bosen noch jeden Werktag von 10 bis 13 Uhr geöffnet - ein „Kommunikations-Knotenpunkt und eine Notadresse für Ausgefallenes, fast Verschwundenes“, wie Wirdeier es formuliert.

Im weiteren geschichtlichen Verlauf wurden im Zeitalter der Aufklärung aus den Wunderkammern die Museen. Ein Museum ist Eisenwaren Bosen nicht, weil nicht öffentlich zugänglich. Zwischendurch sah es mal so aus, als könne daraus eins werden. Bernd Marpert sagt: „Zuletzt war das das Kölnische Stadtmuseum interessiert, als es vor einigen Jahren um die Erweiterung ging. Doch daraus wurde dann nichts.“ So schläft Eisenwaren Bosen weiter einen märchenhaften Dornröschenschlaf. Denn wenn die Marperts selbst mal eine Schraube brauchen, „dann gehe ich lieber in einen gut sortierten Baumarkt“, sagt Bernd Marpert.

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