Zünder aus dem Modellbaukasten

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Auf einem solchen Fahrrad der Marke Cyco befand sich möglicherweise der Sprengsatz. Das Rad wurde über die Firma Aldi vertrieben.

Auf einem solchen Fahrrad der Marke Cyco befand sich möglicherweise der Sprengsatz. Das Rad wurde über die Firma Aldi vertrieben.

Die Bombe bestand aus einer Gasflasche, die mit Schwarzpulver gefüllt war.

Der Bombenleger von Mülheim hat den Sprengsatz ferngezündet. Das hat nach Angaben von Staatsanwaltschaft und Polizei die Untersuchung der Überreste der Nagelbombe ergeben, die vorigen Mittwoch in der Keupstraße explodierte und 22 Menschen teils schwer verletzte. Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, löste der Täter den Zünder mit einer handelsüblichen Modellbau-Fernsteuerung aus. Er hatte eine drei Kilogramm schwere Gasflasche mit Schwarzpulver gefüllt. Um den Eigenbau hatte er entweder einen mit Zimmermannsnägeln gefüllten Kunststoffmantel herumgelegt oder aber die Nägel nebst Sprengkörper in einem Hartschalenkoffer platziert. Mittlerweile gilt es als weitestgehend gesichert, das die Bombe auf einem am Tatort gefundenen Fahrrad deponiert wurde.

„In dieser Form ist ein solcher Sprengkörper bundesweit noch nicht verwandt worden“, sagte gestern Polizeisprecher Jürgen Laggies. Durch die Wucht der Explosion hatten die Nägel wie Projektile mehr als ein Dutzend Autos durchschlagen. Heutzutage sei es nicht schwierig, eine solche Bombe zu bauen, wenn man über die Betriebsanleitung verfüge, führte Laggies weiter aus. Schwarzpulver enthalte jede Silvesterrakete. Im Internet sei es ein Leichtes, sich solche Baupläne zu beschaffen.

Wie einfach es ist, beweisen die Recherchen der Hamburger Internet-Sicherheitsfirma PAN AMP AG. Nach den verheerenden Terroranschlägen in Istanbul fanden die IT-Experten binnen vier Stunden etliche Hundert Bauanweisungen für Sprengsätze: Entdeckt wurden Pläne zur Herstellung von Splitter- und Briefbomben oder Landminen bis hin zu Kalzium-Karbid-Bomben. Überdies seien in Softwareentwicklungsforen News-Gruppen entdeckt worden, die in allen Einzelheiten über eine „ideale Fernzündung“ debattierten. Gleich mitgeliefert würden Adressen, wo die nötigen Bauteile zu finden sind. „Die Sachen bekommen sie meist mühelos in jedem Baumarkt oder Spielwarenladen“, sagte PAN-AMP-Chef Bert Weingarten. Die Bundesministerien des Inneren und der Justiz seien alarmiert worden. Dort habe man aber mit dem Hinweis abgewunken, es sei nicht strafbar, Anleitungen zum Bombenbau zu veröffentlichen, berichtete Weingarten.

Woher der Bombenleger von Mülheim seine Kenntnisse bezogen hat, wird man wohl erst nach seiner Festnahme wissen. Diesem Ziel ist die 20-köpfige Mordkommission noch nicht entscheidend näher gekommen. Nach wie vor, so berichtete Oberstaatsanwalt Rainer Wolf, werde in alle Richtungen ermittelt. Ergebnislos verlaufen seien bisher Befragungen von Extremisten der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und der rechtsextremen türkischen Gruppierung „Graue Wölfe“. Gleiches gelte für Ermittlungen im Rotlicht- und Türstehermilieu. Etliche Milieugrößen verkehrten in dem Frisörladen, vor dessen Front die Bombe explodierte. Eine von ihnen wurde bei dem Anschlag verletzt. Diskutiert werde derzeit der Einsatz von Tatortanalytikern aus dem Landeskriminalamt. Sie sollen anhand der Spuren Hinweise auf den Täter liefern. Für einen Einsatz dieser so genannten Profiler sei es aber noch zu früh, sagte Wolf, da noch nicht sämtliches Material ausgewertet sei.

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