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Kurioser FitnesstrendMenschen, die wie Tiere laufen

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Beim Fitnesstrend Quadrobics bewegt man sich auf allen Vieren fort. Dabei werden manchmal Tiermasken getragen.

Beim Fitnesstrend Quadrobics bewegt man sich auf allen Vieren fort. Dabei werden manchmal Tiermasken getragen.

Menschen, die sich wie Tiere fortbewegen und dabei filmen: Das ist der neue Fitnesstrend „Quadrobics“. Angeblich soll er Kraft, Ausdauer und das innere Gleichgewicht fördern. 

Alexia Kraft de La Saulx bewegt sich gerne auf allen Vieren fort. Sie läuft auf Händen und Füßen, wobei sie den Po steil in die Höhe reckt – eine Haltung, die an ein Äffchen erinnert. Auf ihrem Instagram-Kanal kann man sehen, wie Kraft de La Saulx so durch die freie Natur, aber auch durch belebtes Stadtgebiet rennt, und wie sie in einem Baum von Ast zu Ast springt. Sich wie ein Tier fortzubewegen: Das ist ein neuer Fitnesstrend, der sich „Quadrobics“ nennt. Und Kraft de La Saulx ist einer der Stars der Szene.

Quadrobics sieht ziemlich lustig aus, Praktizierende nehmen ihren Sport aber durchaus ernst. Sie preisen ihn als Weg zu mehr Kraft, Beweglichkeit und Ausdauer, der Körper und Geist gleichermaßen stärken soll. Der Ursprung der Bewegung lässt sich bis ins Jahr 2008 zurückverfolgen. Damals stellte der japanische Sprinter Kenichi Ito einen Guinness-Weltrekord auf, indem er 100 Meter auf allen Vieren lief. Inzwischen ist die Disziplin rasant schneller geworden. 2024 etwa schaffte der Japaner Ryusei Yonee die 100 Meter in unglaublichen 14,55 Sekunden. Nach eigener Aussage, weil er jahrelang Hunde, Katzen und Affen studiert hatte, um deren Bewegungsabläufe zu perfektionieren.

Identifizieren sich mit Tieren

Was als sportliche Kuriosität begann, hat sich in den sozialen Medien zu einem globalen Phänomen entwickelt. Besonders junge Nutzerinnen und Nutzer posten nun Clips, in denen sie auf allen Vieren durch Parks galoppieren oder über Hindernisse hüpfen. Dabei tragen sie häufig Tiermasken oder Tierschwänze aus Plüsch. Ein großer Teil der Quadrobics-Online-Community stammt nämlich aus der sogenannten Therian-Bewegung: einer überwiegend jugendlichen Szene, deren Mitglieder sich mit Tieren identifizieren.

Auf den Punkt

„Während nicht alle Therians Quadrobics betreiben, sehen diejenigen, die es tun, das Krabbeln und Springen auf allen Vieren als verkörperten Ausdruck ihrer Identität“, schreiben Samuel Cornell, Doktorand an der University of New South Wales, und Hunter Bennett, Sportwissenschaftler an der University of South Australia. Sie hatten den Trend in einer Veröffentlichung auf der Plattform „The Conversation“ wissenschaftlich analysiert. Nicht zu verwechseln sind Therians übrigens mit Anhängern und Anhängerinnen der Furry-Szene, die in Ganzkörper-Tierkostümen („Furry-suits”) auftreten, sich aber nicht als Tiere verstehen.

Zurück zum ursprünglichen Selbst

In Russland ist eine ganze Subkultur entstanden, die Quadrobics mit Fantasie-Rollenspielen verbindet. Onlinevideos zeigen Menschen, die mit Tiermasken durch Wälder kriechen – ein Anblick, der Kirchen- und Regierungsvertretern nicht geheuer ist. Ein russisch-orthodoxer Geistlicher bezeichnete Quadrobics als „soziale Technologie, die Kinder psychologisch auf die Annahme von Anti-Werten vorbereitet, auch auf Vielgeschlechtlichkeit und LGBT“, wie die Neue Zürcher Zeitung berichtet. Und ein russischer Politiker nannte den Sport ein „vom Westen gestartetes Projekt der Entmenschlichung.“ In Usbekistan warnte das Innenministerium Eltern sogar davor, es könne als Zeichen von Vernachlässigung gewertet werden, wenn ihre Kinder Quadrobics praktizieren.

„Erfolg von Quadrobics hat weniger mit Sportwissenschaft zu tun – mehr mit Schauwert“

Quadrobics ist aber nicht nur Ausdrucksform einer Nischenszene. Praktizierende sehen es als Ganzkörpertraining, das „Fitness, Stärke und Mobilität fördern soll“ und hilft, „sich mit der Natur und dem ‚primal self‘ zu verbinden (dem ursprünglichen Selbst)“, heißt es in dem „The Conversation“-Beitrag. „Es gehört zu einer Welle von ‚ancestral‘ oder ‚primal‘ Wellness-Trends“, erklären Cornell und Bennett, „vergleichbar mit Paleo-Diäten, Eisbädern oder der Rohfleisch-Diät.“

Die Bewegung lebt von ihrer visuellen Kraft. Wer auf allen Vieren durch den Park sprintet, bekommt garantiert Zuschauende, Likes, Kommentare und Klicks. Die Wissenschaftler sehen darin auch ein Symptom unserer Aufmerksamkeitsökonomie: „Der aktuelle Erfolg von Quadrobics hat weniger mit Sportwissenschaft zu tun – und mehr mit Schauwert“, schreiben sie. Es sei aber durchaus ein Trainingseffekt zu erwarten: „Es gibt Hinweise darauf, dass quadrupedale Bewegungen Gleichgewicht, Flexibilität und Rumpfstabilität verbessern können“, schreiben die Autoren.

Lars Donath ist Professor am Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik der Deutschen Sporthochschule Köln. Ungewohnte Bewegungsabläufe wie Quadrobics in ein Training einzubauen, hält er für eine gute Idee. Weil dabei Muskeln genutzt werden, die wir im Alltag sonst zu wenig beanspruchen. „Im Sitzen und Stehen sind Rumpf und Schultern fixiert, während wir Arme und Hände viel bewegen. Beim Quadrobics ist es genau umgekehrt: Man setzt die Hände auf und bewegt die Schulter darüber hinweg“, erklärt Donath. Für die Schulter sei das ein guter Trainingsreiz, ebenso würden beim Laufen auf allen Vieren die Rumpfstabilität und die Oberschenkelmuskulatur – auch die hintere – aktiviert.

Außerdem werde der Kalorienverbrauch gesteigert und der Stoffwechsel in besonderer Weise angeregt: „Das ist wie beim Skilanglaufen: Wenn alle Extremitäten gleichzeitig benutzt werden, steigt der Energieumsatz“, so Donath. Ursprünglichere oder tierische Bewegungsformen zu imitieren, um den Körper zu stärken, sei übrigens keine neue Idee, sagt er. Er verweist auf das „Klappsche Kriechen“, ein Verfahren der Physiotherapie: Dabei werden Fortbewegungsarten wie der Vierfüßlergang, Kriechen oder Schlängeln praktiziert, um die Wirbelsäule zu entlasten und den Rumpf zu trainieren.

Am Anfang nicht übertreiben

Quadrobics jedenfalls könne bei allen Vorteilen auch belastend für den Körper sein, wenn man es damit übertreibt. So werde zum Beispiel die Hüfte stark gebeugt und auch der Rücken stark beansprucht. „Deshalb sollte man immer nur einige Minuten lang trainieren“, empfiehlt Sportwissenschaftler Donath. Auch wenn es zum Beispiel in den Videos von Alexia Kraft de La Saulx so aussieht, als würde sie sich den ganzen Tag lang so fortbewegen, ist das wohl kaum der Fall: „Das kann man nicht eine Dreiviertelstunde lang machen“, sagt Donath. Er schlägt für den Anfang zum Beispiel zehn Sätze zu je 20 Sekunden vor. Außerdem empfiehlt er, langsam zu beginnen – zum Beispiel mit dem Vierfüßlerstand auf den Knien – und sich allmählich zu steigern.

„Wer Quadrobics ausprobieren möchte, sollte sehr langsam beginnen und seinem Körper Zeit geben, sich an die Belastung zu gewöhnen“, schreiben auch Cornell und Bennett in ihrer Veröffentlichung. Und auch sie sagen: „Da Quadrobics ein hohes Maß an Geschicklichkeit erfordert, ist es schwierig, die Bewegungen über längere Zeit und in hoher Intensität durchzuführen.“ Wer seine Kondition verbessern wolle, sei mit klassischem Laufen besser beraten. Quadrobics sei auch wahrscheinlich weniger effektiv als Gewichtheben, wenn es darum gehe, Kraft und Knochendichte zu verbessern. Sie warnen zudem vor orthopädischen Risiken, vor allem für Handgelenke, Ellenbogen und Schultern.

Was aber halten die Experten von dem angeblich positiven Effekt auf die Psyche, von dem Quadrobics-Fans berichten? „Jeder Sport regt den Kreislauf und die Hirnaktivität an, das hat eine beruhigende und entspannende Wirkung zur Folge“, sagt Donath. Denkbar sei auch, dass viele beim Erlernen einer neuen Sportart Begeisterung empfinden, sagt er: „Das ist aber kein Alleinstellungsmerkmal von Quadrobics.“ (RND)