Kölner Alleinerziehende„Ich brauche kein Yoga. Ich brauche eine Wohnung“

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On-Uma Jeebhojo in ihrer Wohnung in Köln Porz.

On-Uma Jeebhojo in ihrer Wohnung in Grengel. Eigentlich muss sie hier raus. „Mein Rücken schmerzt, ich bin kaputt, leer, manchmal schließe ich mich in der Toilette ein, um mich auszuheulen.“

Fast 12.000 Menschen in Köln sind wohnungslos, ein Viertel davon Kinder. Besuch bei einer Alleinerziehenden, die von Obdachlosigkeit bedroht ist.

Jeden Tag um 16.30 Uhr steht On-Uma Jeebjoho ein Kraftakt bevor. Ihre 13 Jahre alte Tochter kommt von der Schule nach Hause, ein Bus bringt sie an den gepflegten gelben Wohnblock in Grengel. Am Treppenabsatz geht es aber nur noch mit der Hilfe der Mutter weiter. Denn Jeebjohos Tochter ist behindert. Sie sitzt im Rollstuhl, in einer Körperhälfte fehlt ihr jegliche Kraft. Drei Stockwerke schleppt die zierliche 38 Jahre alte Frau ihr Kind deshalb täglich morgens nach unten zum Bus und nachmittags wieder nach oben. 40 Kilogramm etwa. Manchmal hilft Jeebjohos 22 Jahre alter Sohn, der macht aber derzeit eine Ausbildung und ist deshalb um halb fünf meist noch nicht zu Hause. Durch die Zweizimmerwohnung kann sich das Mädchen nur robbend fortbewegen, ein Rollstuhl passt hier durch keine Tür.

Jeebjoho hebt die Schultern, ihr Blick huscht zwischen dem Kühlschrank, an dem lachende, gelbe Magnetgesichter Stundenpläne und Adresslisten festhalten, und dem engen Flur hin und her. „Mein Rücken schmerzt, ich bin kaputt, leer, manchmal schließe ich mich in der Toilette ein, um mich auszuheulen“, sagt sie. „Sie braucht eine andere Wohnung, dringend“, sagt Corinna Schröder, die beim Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) arbeitet und heute zu Besuch gekommen ist.

Leerstandsquote in Köln liegt bei nicht einmal einem Prozent

Eine neue Wohnung braucht On-Uma Jeebjoho nicht nur wegen der Stockwerke. Sie hat für ihre derzeitige Bleibe in Grengel auch gar keinen Mietvertrag. Seit vier Jahren lebt sie hier nur geduldet von der Familie einer Freundin. Nach einer gescheiterten Ehe in Bayern ist sie mit zwei ihrer Kinder quasi hierher geflüchtet. An Mitgefühl mangelt es also nicht, allein die Wohnungseigentümer, die Jeebjoho „Oma und Opa“ nennt, brauchen die Wohnung selbst. „Ihre Miete erhöht sich auch dauernd, das kann ich ja verstehen“, sagt sie. Das Problem: Wohnungen in NRW und erst recht in Köln sind Mangelware. Ein paar Zahlen, die die Situation verdeutlichen: Im Jahr 2010 gab es 17.000 freie Wohnungen auf dem Kölner Markt, im Jahr 2022 waren es nur noch 7000. Die Leerstandsquote liegt bei nicht einmal einem Prozent.

Laut der Fachstelle Wohnen der Stadt Köln sind etwa 4000 Mietverhältnisse jährlich bedroht, es sind also Räumungsklagen zu erwarten, die in der Obdachlosigkeit enden könnten. Im Jahr 2023 wurden laut der Stadt Köln Förderzusagen für 531 Wohnungen mit Mietpreis- und Belegungsbindungen für Haushalte mit Wohnberechtigungsschein erteilt.

„Wenn man bedenkt, dass fast die Hälfte aller Kölnerinnen und Kölner einen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein haben, dann ist das deutlich zu wenig“, sagt Ute Theisen, Vorstandsvorsitzende vom SkF. Und die Lage verschlechtert sich. Im Ganzen gab es im vorvergangenen Jahr 44.000 geförderte Wohnungen in Köln. Bis 2045 fallen mehr als die Hälfte dieser Wohnungen aus der Mietpreisbindung heraus.

Ute Theisen vom Sozialdienst katholischer Frauen

Ute Theisen vom Sozialdienst katholischer Frauen: „Wenn man bedenkt, dass fast die Hälfte aller Kölnerinnen und Kölner einen Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein haben, ist die Zahl der Förderzusagen deutlich zu gering.“

Bei derlei knappem Angebot bleiben die Schwächsten auf der Strecke. Anfang des Jahres befragte die NRW-Bank 284 Experten nach den Chancen für Alleinerziehende, ein neues Zuhause zu finden. Das Ergebnis: 45 Prozent schätzen sie als schlecht ein, 23 Prozent als sehr schlecht. Das hängt einerseits mit der mangelhaften Betreuungssituation, andererseits mit der wirtschaftlichen Lage zusammen. Fast die Hälfte aller Alleinerziehenden in NRW gelten nach den aktuellen Zahlen des Statistischen Landesamtes als armutsgefährdet. Obwohl 55 Prozent aller Alleinerziehenden mindestens einen mittleren Schulabschluss haben.

Und dann kommen da natürlich noch die Vorurteile von Vermietern gegenüber Alleinerziehenden hinzu. Bei der Fachtagung des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) im vergangenen Jahr trug man die Liste der befürchteten Minuspunkte folgendermaßen zusammen: „Bonitätsrisiko“, „ungeregelte Lebensverhältnisse“, „kein dauerhaftes Mietverhältnis“, „Störungen der Hausgemeinschaft“, „Härtefallentscheidung des Gerichts wahrscheinlich bei vermieterseitiger Kündigung“, „wechselnde Liebschaften“.

Für Frauen wie On-Uma Jeebjoho – keine Ausbildung, kein Arbeitsvertrag, kein Partner, dafür ein paar Kinder – ist die Sache fast aussichtslos. Dass Jeebjoho außerdem keinen deutschen Pass besitzt, verschlechtere die Lage, aber: „Das Problem der drohenden Wohnungslosigkeit ist für deutsche Alleinerziehende ebenso groß“, sagt Theisen vom SkF.

11.735 Menschen in Köln sind wohnungslos, mehr als 3000 davon sind Kinder

Reißt der Geduldsfaden von „Oma und Opa“, dann droht Jeebjoho dasselbe Schicksal wie etwa 50.000 anderen Menschen in NRW, 11.735 davon allein in Köln. Laut Wohnungsnotfallberichterstattung sind sie wohnungslos. Mehr als 3000 davon sind Kinder. „Dann muss sie in ein Hotel für Wohnungslose ziehen“, sagt Corinna Schröder. Das sei seit einigen Jahren auch im Falle von Familien durchaus üblich. „Die Stadt hat keine Wohnungen mehr.“

Auch die Kölnerin Katrin Schwarz (Name geändert) steht mit ihrer Tochter vor der Wohnungslosigkeit. Die 46 Jahre alte Frau muss noch im Mai wegen eines Streits mit ihrem Vermieter aus ihrer Wohnung ausziehen. Ein Zuhause gefunden hatte sie dort vor 15 Jahren während der Schwangerschaft, ihre Tochter ist mittlerweile 14 Jahre alt. Seit sechs Jahren sucht sie nach eigenen Angaben nach einer neuen Wohnung. „Ich schreibe fast täglich Bewerbungen, nutze dafür Ebay-Kleinanzeigen, Immowelt, kaufe Zeitungen, belästige Nachbarn und frage, ob die nicht was wüssten“, sagt Schwarz gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Sie habe aus Verzweiflung auch schon alle Kirchen in Köln angeschrieben.

Genutzt hat es nichts. „Ein einziges Mal bin ich zu einer Besichtigung eingeladen worden.“ Schwarz weiß, dass sie für Vermieter nicht die erste Wahl ist. Sie lebt von Erwerbsminderungsrente sowie ergänzender Grundsicherung, ihre Jobs im Einzelhandel und in Call-Centern habe sie wegen ihrer chronischen Erkrankung immer wieder verloren. Sie hat Schulden und einen negativen Schufa-Eintrag. 

Wenn sie in zwei Wochen ihre Wohnung räumen muss, soll ihre Tochter zu ihren Eltern ziehen. „Aber die haben auch nur eine Zweizimmerwohnung und sind über 70 Jahre alt.“ Sie selbst müsse dann mit einem Schlafplatz in einer Obdachlosenunterkunft vorliebnehmen. Wenn, ja, wenn nicht noch ein Wunder geschieht. Schwarz ist bereit, an dieses Wunder zu glauben. Nächste Woche hat sie tatsächlich die Zusage für eine Besichtigung. Der Traum: Einziehen, Privatinsolvenz anmelden, gesund werden, wieder arbeiten gehen, eine Aufgabe in der Gesellschaft haben und eigenes Geld verdienen. Vielleicht irgendwann sogar mit der Tochter in den Urlaub fahren. „Es muss doch auch für uns eine Wohnung geben. Ich hoffe einfach, dass mir jemand hilft.“

Gemäß Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat tatsächlich jeder Mensch ein Recht auf eine Wohnung. Nach deutschem Grundgesetz beschränkt sich das aber auf eine Staatszielbestimmung, einklagbar ist daher lediglich die „Unverletzlichkeit der Wohnung“ sowie der „Schutz des Eigentums und des Erbrechts“. Ein subjektiv einklagbares Recht auf angemessenen Wohnraum lässt sich daraus laut wissenschaftlichem Dienst des Deutschen Bundestages nicht ableiten. Die schwarz-grüne Landesregierung in NRW hat die Bekämpfung der Obdachlosigkeit in ihrem Koalitionsvertrag als großes Ziel ausgegeben und gar den Plan gefasst, zu prüfen, ob das „Recht auf Wohnen“ analog zu einer bereits bestehenden Verankerung in Bayern in die Landesverfassung aufgenommen werden sollte. Allerdings ebenfalls als „Staatsziel“, nicht als individuell einklagbares Recht.

„Ich habe Nein gesagt. Ich brauche kein Yoga. Ich brauche eine Wohnung“

Ich habe Nein gesagt. Ich brauche kein Yoga. Ich brauche eine Wohnung
On-Uma Jeebjoho, alleinerziehende Mutter auf Wohnungssuche

Nicht zuständig, keine Termine, ein Kopfschütteln, Mitleid, das ist das, was On-Uma Jeebjoho bei ihren Bittstellergängen zu verschiedenen Stellen bislang geerntet hat. Und ein Nein bedeutet für Jeebjoho auch Nein. „Ich bin nicht so forsch, ich traue mich nicht zu widersprechen, ich will keinen Ärger.“ Sturheit ist ihr fremd. „Man wird weggeschickt. Viele sagen, das tut mir leid. Ich hoffe für Sie. Aber das brauche ich nicht. Ich brauche Hilfe“, sagt Jeebjoho. Einmal habe eine Mitarbeiterin einer Hilfsstelle ihr geraten, einen Yogakurs zu machen, neue Hobbys auszuprobieren. Da hat Jeebjoho dann doch widersprochen. „Ich habe Nein gesagt. Ich brauche kein Yoga. Ich brauche eine Wohnung.“

Corinna Schröder in der Wohnung von On-Uma Jeebhojo in ihrer Wohnung in Köln Porz.

Corinna Schröder arbeitet beim SkF und betreut dort unter anderem On-Uma Jeebjoho. Sie sagt: „Dass eine Familie mit Kindern in ein Hotel für Wohnungslose ziehen muss, kam früher nicht vor. Heute ist es nicht unüblich. Die Stadt hat keine Wohnungen mehr.“

Auch Corinna Schröder vom SkF kann da nicht zaubern. Sie begleitet Jeebjoho zu Besichtigungsterminen, sie hilft bei der Beantragung des Wohnberechtigungsscheins, sucht nach neuen Möglichkeiten, neuen Adressen, gerade ruht die Hoffnung auf dem „Wohn mobil“ des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. „Die bieten eigentlich genau das, was Frau Jeebjoho braucht: Sie schlagen Menschen mit Behinderung oder Senioren für geeignete Wohnungen vor.“ Schröder formuliert mit ihrer Klientin zusammen auch Anschreiben für Vermieter. Allerdings: „Nach einem halben Jahr setzen wir uns immer zusammen und gucken, wie weit wir gekommen sind, was sich geändert hat. Und dann muss man sagen: eigentlich nichts.“

Dabei ist On-Uma Jeebjoho nicht anspruchsvoll. Sie ist Sparsamkeit und Enge gewohnt. „Wenn ich kein Geld habe, dann esse ich nicht viel. Ich spare Strom, im Winter gibt es drei Decken für die Kinder, damit ich die Heizung höchstens ganz kurz anmachen muss.“ Die Möbel, in denen sie lebt, gehören fast alle den Menschen, die sie „Oma und Opa“ nennt. Ihr einziger Besitz: „Die Matratzen und unsere Kleidung.“ Allein, was den Wohnort betrifft, hätte sie den Wunsch, in der Nähe zu bleiben. Hier hat sie ihr Netzwerk, hier geht ihre Tochter zur Schule, hier fühlt sich die Familie wohl.

Rund 9000 Kilometer trennen Jeebjoho von zwei ihrer Kinder

Das Leben hat Jeebjoho schon durch einige Täler geführt. Geboren in Thailand, aufgewachsen und zur Schule gegangen in der Nähe von Limburg, mit der Mutter nach dem Hauptschulabschluss zurück nach Thailand, dort vier Kinder geboren, die Ehe ist gescheitert. Der neue Mann, ein Deutscher, habe sie nach Deutschland gebracht, ihr aber nur erlaubt, zwei ihrer Kinder mitzubringen. Auch die zweite Ehe stand unter keinem guten Stern. Am Ende wohnt sie im Keller, muss dennoch immer noch die Hälfte der Miete und das Essen bezahlen, obwohl sie als Beiköchin nur 1200 Euro auf ihr Konto überwiesen bekommt.

Wenn sie über ihre Kinder spricht, rinnen die Tränen aus ihren Augenwinkeln. Jeebjoho steht auf, entschuldigt sich und holt ein Taschentuch. Gut 9000 Kilometer trennen die Mutter von ihrem elf Jahre alten Junge und ihrem 17 Jahre alten Mädchen, die sie bei einer Freundin zurückgelassen hat. „Wir telefonieren einmal die Woche. Sie fragen: Wann dürfen wir kommen? Meine Tochter weint. Sie ist in der Pubertät, sie braucht Unterstützung. Und ich bin nicht da.“

Jeebjohos Traum: Eine ausreichend große Wohnung, um all ihre Kinder nach Köln holen zu können. Ihnen im Winter den Schnee zeigen, den sie so liebt. In die Weinberge bei Limburg fahren, durch die sie als Kind streifte. Eine Arbeitsstelle in der Gastronomie finden. Kochen könnte sie gut, am liebsten Thaicurry oder Salat mit scharfen Nudeln. Jeebjohos Augen strahlen für einen Moment, dann schlägt sie schnell die Lider bescheiden nieder. Sie ist gläubige Buddhistin. „Einer unserer Grundsätze ist: Löse das wichtigste Problem zuerst, dann erst hast du Zeit für die anderen.“ Deshalb zwingt sich Jeebjoho, sich auf die Wohnungssuche zu konzentrieren. „Immer wenn ich im Tempel war, bin ich kurz erleichtert und schöpfe Mut. Ich glaube, ich schaffe das.“ Irgendwann auch in die Weinberge mit allen vier Kindern.

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