AfD gegen VerfassungsschutzGericht lässt Anträge durchfallen – und fällt vielleicht schon bald ein Urteil

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Münster: Bei dem Berufungsverfahren im Streit um die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz sitzt Roman Reusch (AfD), Beisitzer im Bundesvorstand der AfD, (12.3.2024) im Foyer des Oberverwaltungsgerichts.

Bei dem Berufungsverfahren im Streit um die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz sitzt Roman Reusch (AfD), Beisitzer im Bundesvorstand der AfD, im Oberverwaltungsgericht (Archivfoto vom März 2024)

Im Rechtsstreit der AfD gegen den Verfassungsschutz gelingt dem Gericht inhaltlich kein Schritt nach vorne.

Der fünfte Senat des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster hat erneut Befangenheitsanträge der AfD zurückgewiesen. Obwohl Termine bis in den Juli angesetzt waren, könnte es nun deutlich schneller gehen mit der Entscheidung. In dem Gerichtsstreit klagt die AfD gegen ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz.

Wie war die Dynamik am Montag im Prozess?

Zäh. Der Gerichtsprozess schlich so langsam voran wie an den Tagen zuvor.  Noch bevor die Verhandlung eröffnet wurde, zog sich der Senat zur ersten Beratung zurück: Am Abend zuvor hatte die AfD erneut einen Befangenheitsantrag gegen alle Mitglieder des Senats eingereicht, begründet mit der Ablehnung ihrer 470 Beweisanträge.

Der Senat kehrte zurück, nannte den Antrag „rechtsmissbräuchlich, gänzlich untauglich und damit unbeachtlich“. Die Klägerin würde den Antrag stellen, um den Prozess zu verschleppen. Letzteren Vorwurf bestreitet die AfD.

Was geschah sonst noch?

Die AfD beantragte, den Prozess bis zum kommenden Montag zu unterbrechen, der Verhandlungstag am Dienstag (7. Mai) solle wegfallen. Diese Zeit werde benötigt, um die schriftlichen Gegenvorstellungen der 470 abgelehnten Beweisanträge vorzubereiten. Dies lehnte der Senat ab – die AfD soll sich mündlich im Prozess dazu äußern.

Um den inhaltlichen Streit zwischen Verfassungsschutz und AfD ging es an diesem sechsten Prozesstag erst spät. Es war eine Verhandlung voller Anträge und Unterbrechungen, voller Diskussionen über Rechtschreibfehler und eine E-Mail der AfD, die in einem Spam-Ordner gelandet ist.

Eine Szene am Morgen ist beispielhaft für die erste Tageshälfte. Beim Verlesen seines Antrages unterbrach sich der Anwalt der AfD selbst: Er hatte von „Richter:innen“ gesprochen. „Ich weiß nicht, gendern Sie?“, fragt er Richtung Richterpult. „Sie kennen doch meine Protokolle“, erwidert der Vorsitzende Richter Gerald Buck, „ich gendere nur, wenn es im Gesetz steht.“ Wenige Minuten später kommt das Thema wieder auf: „Ich werde versuchen, die Richter:innen als Richter vorzulesen“, sagt der Anwalt. Buck: „Sie können gendern, wie Sie möchten.“

Worum geht es in dem Prozess?

Der Verfassungsschutz hatte die Gesamtpartei im März 2021 als rechtsextremen Verdachtsfall eingestuft, dieselbe Einstufung gilt für die Parteijugend Junge Alternative (JA). Den völkischen Zusammenschluss innerhalb der AfD (ehemals „Flügel“) zählt der Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistische Bewegung. Gegen alle drei Einstufungen klagt die AfD. Zuvor hatte das Verwaltungsgericht Köln dem Verfassungsschutz in erster Instanz Recht gegeben, daraufhin zog die Partei vor das nordrhein-westfälische Gericht in Münster.

Wieso beobachtet der Verfassungsschutz die Gesamtpartei AfD?

Seit ihrer Gründung im Jahr 2013, damals noch als Euro-kritische Partei angetreten, hat sich die AfD stetig radikalisiert. Der Verfassungsschutz wirft der AfD unter anderem vor, zwischen einem ethnisch definierten deutschen Volk und einem rechtlichen Staatsvolk zu unterscheiden. Deutsche mit Migrationshintergrund seien in den Augen von Parteivertretern Staatsbürger zweiter Klasse. In einem weiteren Punkt geht es um den Islam: Migranten würden pauschal als Kriminelle bezeichnet, Muslime stereotypisch mit islamistischem Terror in Verbindung gebracht. Als Beweis für die Vorwürfe listete das erstinstanzliche Urteil des Verwaltungsgerichts Köln mehr als 100 Zitate von AfD-Politikern auf. 

Was macht diesen Prozess so besonders?

Es ist das erste Mal, dass eine Partei mit so großem Wählerpotenzial vom Verfassungsschutz beobachtet wird. In Umfragen liegt die AfD derzeit bei 18 Prozent – wäre morgen Bundestagswahl, würde sie demnach nach der CDU zweitstärkste Kraft. Für die rechtliche Bewertung, was die Beobachtung durch den Verfassungsschutz angeht, spielt das Wählerpotenzial jedoch keine Rolle. 

„Prüffall“, „Verdachtsfall“ und „gesichert rechtsetxremistisch“ – Wo ist der Unterschied?

Der Inlandsgeheimdienst kann mutmaßliche und tatsächlich extremistische Gruppierungen in drei Kategorien einstufen: Als „Prüffall“, „Verdachtsfall“ oder „erwiesen extremistische Bestrebung“. Ab der Kategorie „Verdachtsfall“ darf der Verfassungsschutz nachrichtendienstliche Mittel zur Beobachtung einsetzen – auch V-Leute. Mit der Einstufung als „erwiesen extremistische Bestrebung“ sinkt die rechtliche Schwelle für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel weiter – bei einem Verdachtsfall ist sie verhältnismäßig hoch. Grundsätzlich gilt: V-Leute dürfen nur in Einzelfällen eingesetzt werden, wenn keine anderen Mittel möglich sind.

Der nordrhein-westfälische Landesverband der AfD wird nicht vom Verfassungsschutz beobachtet, mit Ausnahme der Anhänger des ehemaligen „Flügel“. Die Junge Alternative in NRW gilt seit Dezember 2023 als rechtsextremer Verdachtsfall

Wie geht es in Münster weiter?

Die Verhandlung wird am Dienstag (7. Mai) fortgesetzt. Das Gericht hat Termine bis zu den Sommerferien im Juli angesetzt, es sieht jedoch so aus, als könnte das Urteil schneller fallen: „Der Rechtsstreit ist entscheidungsreif“, sagte der vorsitzende Richter am OVG Gerald Buck am späten Nachmittag.

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