Kommentar zum Angriff auf SPD-PolitikerDer „Schlägertrupp“ zielt auch auf unsere Demokratie

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Ein Wahlplakat von Matthias Ecke (L.) and Katarina Barley in Dresden.

Ein Wahlplakat von Matthias Ecke (L.) and Katarina Barley in Dresden.

Die Attacke auf den SPD-Politiker Matthias Ecke trifft alle politisch Engagierten. Was wir jetzt tun müssen.

Gewaltsame Angriffe auf Politiker und Politikerinnen haben in Deutschland ein zutiefst beunruhigendes Ausmaß angenommen. Die jüngste Attacke eines vierköpfigen Schlägertrupps auf den sächsischen SPD-Europa-Spitzenkandidaten Matthias Ecke ist alles andere als eine entsetzliche Einzeltat, sondern zeigt nur erneut die systematisch werdende Bedrohung unserer Demokratie.

Der 41-Jährige wurde am Freitagabend in Dresden so schwer verletzt, dass er im Krankenhaus liegt und operiert werden muss. Angegriffen wurde er beim Wahlplakate-Kleben, ein zutiefst demokratischer Akt. Kurz zuvor hatte der offenbar gleiche Trupp einen grünen Wahlhelfer angegriffen. Zu Recht spricht Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) von einer „neuen Dimension antidemokratischer Gewalt“.

Politische Gewalt nicht nur im Osten Deutschlands

Wer vermutet, dass vor allem politische Engagierte im Osten Deutschlands Gewalt fürchten müssen, liegt falsch – auch wenn die Verrohung dort besonders offensichtlich ist. Nur ein Beispiel aus dieser Woche, nicht weit weg von Köln: Am Donnerstagabend wurden in Essen der grüne Bundestagsabgeordnete Kai Gehring beleidigt und der dritte Bürgermeister von Essen Rolf Fliß ins Gesicht geschlagen.

1219 Angriffe allein auf Grünen-Politiker im Jahr 2023 hat der Staatsschutz ermittelt. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher sein. Dass die Grünen weitaus überproportional, wenn auch längst nicht allein zur Zielscheibe werden, verwundert kaum. Sie sind die erklärten Hauptfeinde der AfD - und werden leider auch von Mitgliedern der CDU und CSU weit über akzeptables politisches Konkurrenz-Gebaren hinaus teilweise grotesk unsolidarisch unter der Gürtellinie verbal angegriffen.

Katrin Göring-Eckardt an Abfahrt gehindert

Neben häufiger werdenden Fällen roher Brutalität gibt es etliche weitere Aktionen zu verzeichnen, die vom Volk parlamentarisch gewählten Politikern Angst und Schrecken einjagen sollen: Am vergangenen Wochenende bedrängten Demonstrierende das Auto der Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) nach einer Veranstaltung in Lunow-Stolzenhagen in Ostbrandenburg und hinderten sie an der Abfahrt. Erst mit Hilfe der Polizei konnte der Weg freigemacht werden.

So schlimm jeder einzelne Angriff für sich allein ist, noch weitaus schlimmer sind die Signale, die solche Taten an alle Menschen aussenden, die darüber nachdenken, sich politisch zu engagieren oder es bereits tun – von der winzigen Gemeinde bis zur Millionenstadt. Viele Ehrenamtliche hadern schon heute damit, warum sie sich Beleidigungen und Drohungen noch antun sollen. Und selbst bezahlte Bürgermeister oder Oberbürgermeister bekommen längst nicht genug Geld, um sich neben den mit dem Amt einhergehenden persönlichen Opfern noch um ihr Leben sorgen zu müssen.

Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker überlebte bekanntlich einen Mordanschlag nur knapp, doch damit nicht genug: Auch neun Jahre später landen immer noch fast im Wochentakt übelste Drohbriefe im Büro der Oberbürgermeisterin. Und bei einer Umfrage der Heinrich-Böll-Stiftung aus dem Jahr 2023 gaben 50 Prozent der befragten Kommunalpolitiker an, mit strafrechtlich relevanten Beleidigungen zu tun hatten. Ein Drittel war von tätlichen Angriffen betroffen.

Gute Nacht, Demokratie!

Wenn aber Ratssäle und Gemeindestuben kaum noch gewilltes Personal finden, dann gute Nacht, Demokratie! Schon jetzt berichten Parteichefinnen- und Chefs, zuletzt Lars Klingbeil, Chef der Bundes-SPD, am Freitag beim Redaktions-Besuch im Kölner Stadt-Anzeiger, dass es auf dem Land zunehmend schwerer wird, Menschen für die Parteipolitik zu gewinnen, Bürgermeister zu finden. Gab es früher zum Ausgleich für die vielen Stunden ehrenamtlicher Arbeit noch ein gewisses Ansehen oder zumindest Respekt, kann davon heute keine Rede mehr sein.

Bundespolitiker und Minister verweisen gerne darauf, dass sie immerhin Personen- und Polizeischutz bekommen, wenn die auch für sie nur schwer zumutbaren Drohungen überhandnehmen. Für ehrenamtliche Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitiker in der Fläche gilt das aber nicht. Sie müssen mehr oder weniger allein damit klarkommen, wenn anonyme Briefe darauf hinweisen, dass man wisse, wo die Kinder zur Schule gehen.

Feige Angreifer hart bestrafen

Unsere Demokratie ist von vielen Seiten unter Beschuss. Die Angriffe auf Politikerinnen und Politiker zählen dazu, indem sie  ihr Gift bis in die kleinsten dörflichen Strukturen entfalten, die Bereitschaft für Engagement schleichend lähmen. Ja, diese Angriffe gehen auch auf das Konto einer AfD, die verbal Hass säht, wo sie nur kann. Sie gehen auch auf die zutiefst undemokratischen Logiken der so genannten Sozialen Medien, in denen Hass vom Algorithmus nach oben getrieben wird. Sie gehören dringend noch sehr viel schärfer reguliert.

Alle, denen an unserer Demokratie etwas liegt, haben jetzt nicht nur das Recht, besorgt zu sein. Sie haben auch die Pflicht, noch lauter zu werden gegen die Verfassungsfeinde, Respekt gegenüber allen Menschen einzufordern und vorzuleben und sich zu engagieren. Auf ihre Möglichkeit und ihr Weise. Jede Kleinigkeit zählt. Die Behörden müssen noch entschlossener alles tun, und zwar überall im Land, um Recht und Gerechtigkeit herzustellen. Dazu gehört, die feigen Angreifer auf Matthias Ecke zu fassen und hart zu bestrafen.

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