Ein faires und freies InternetWas ist das Fediverse – und wie funktioniert es?

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Eine Frau hält ein Smartphone in der Hand, auf dem Bildschirm ist die Startseite des sozialen Netzwerks Mastodon zu erkennen.

Die bekannteste Plattform im Fediverse ist Mastodon; es funktioniert so ähnlich wie X (früher Twitter).

Von Social-Media-Plattformen sind viele genervt. Aber Internet könnte auch anders funktionieren: fairer und freier. Wir geben einen Überblick.

Soziale Medien fühlen sich an, als hätten sie einen Kater. Früher wurden Menschen von Plattformen wie Facebook, Twitter und Tiktok in Scharen angelockt, haben sich kreativ ausgelebt, Freundschaften geschlossen und diskutiert. Doch die Stimmung ist umgeschlagen. Jedes große Netzwerk hat in den vergangenen Jahren politische Kontroversen erlebt, es gab Regeländerungen, Besitzerwechsel und Umbrüche beim Publikum.

Der negative Prozess kann schleichend beginnen und dann sehr deutlich spürbar werden. Zuerst wächst das Netzwerk. Hat es sich einen Platz im Leben vieler Menschen erkämpft, dann versucht es offensichtlich, mehr Geld zu verdienen. Werbung und Geschrei nimmt auf der Plattform überhand. Immer weniger Inhalte in der Timeline sind Updates von Freunden und persönlichen Kontakten.

Der Autor und Aktivist Cory Doctorow hat einen deftigen Begriff für diese Entwicklung geprägt: „Enshittification“. Und so ist eine idealistische Bewegung ins Rampenlicht gerückt. Das Fediverse.

Das Fediverse: Was ist ein föderales Netzwerk?

Die Idee hinter der Wortschöpfung ist einfach: Verschiedene soziale Plattformen verbinden sich in einem Netzwerk. Alle halten sich dabei an ein allgemein gültiges Protokoll, mit dem sich alle verständigen können: ActivityPub. Es gibt keinen zentralen Ort, von dem aus die Plattformen gesteuert werden. Niemand kann anderen den Hahn abdrehen oder die Regeln für alle ändern.

Die bekannteste Plattform im Fediverse ist Mastodon; es funktioniert so ähnlich wie X (früher Twitter). Doch Mastodon hat keine Firmenzentrale, sondern verteilt sich. Plattformen im Fediverse besitzen verschiedene Anlaufstellen. Sie werden „Instanzen“ genannt; in vielen Fällen ist der Begriff praktisch gleichbedeutend mit Servern, also mit Rechnern, die Inhalte im Internet bereitstellen. Jede Instanz hat eigene Mitglieder und kann eigene Hausregeln aufstellen. Wer das technische Know-how hat, kann einen eigenen Server aufsetzen und eine eigene Instanz einrichten. Millionen von Menschen sind im Fediverse vernetzt.

Wozu ist das Fediverse gut?

Das Internet hat keinen König. Niemand soll es allein beherrschen. Offene Standards helfen, dieses Ideal am Leben zu halten.

Die großen Social-Media-Plattformen sind geschlossene Netzwerke in diesem offenen Netz. Das birgt Konfliktstoff. Wenn etwa ein Milliardär den wichtigsten Microblogging-Dienst der Welt kauft, ihn umbenennt und die Regeln ändert, dann können die Nutzerinnen und Nutzer der Plattform nichts dagegen tun. Sie können sich höchstens damit abfinden, oder woanders hingehen. Doch der Umzug ist in aller Regel schwierig. Ein Freundeskreis lässt sich nicht einfach von einem Netzwerk zu einem anderen mitnehmen.

Mit dem Fediverse würde aber genau das möglich: Halten sich alle Plattformen an denselben, offenen Standard, dann wird es grundsätzlich möglich, Kontakte in andere Netzwerke hinein zu knüpfen, zu anderen Plattformen und Instanzen umzuziehen, oder selbst Instanzen zu erschaffen und eigene Hausregeln zu erlassen. Plattformen im Fediverse sind grundsätzlich werbefrei und erlauben eine größere Kontrolle über die eigenen Daten.

Wie groß ist das Fediverse?

Inzwischen sind es Millionen: Nach Jahren im Schatten hat das Fediverse einen kleinen Boom erlebt. Der anhaltende Social-Media-Frust auf großen Plattformen hat Menschen verjagt, und ein Bruchteil dieses Publikums ist im Fediverse gelandet. Mit Abstand die größte Rolle im Fediverse spielt Mastodon. Von den über zehn Millionen Menschen, die sich mehr oder weniger oft im Fediverse aufhalten, sind mit Abstand die meisten auf Mastodon unterwegs.

Die Zahl mag groß klingen, ist aber vergleichsweise klein. Eine Milliardenplattform wie Facebook konnte sich zu ihren besten Zeiten so anfühlen, als seien praktisch alle dort, von der alten Schulklasse über Familienmitglieder bis zu den Arbeitskolleginnen und -kollegen. Von diesem Eindruck ist das Fediverse weit entfernt. Es ist zwar möglich und auch gängig, Menschen verschiedener Instanzen zu folgen. Doch insgesamt zieht das Fediverse bisher nicht die große Allgemeinheit an, sondern bestimmte Interessengemeinschaften.

Hat Threads auch etwas mit dem Fediverse zu tun?

Ja. Threads gilt als der aktuell schärfste Konkurrent von X und wird betrieben vom gigantischen Internetkonzern Meta. Dass Meta damit kein Geld verdienen will, ist unwahrscheinlich. Und doch hat der Konzern einige Schritte auf das Fediverse zu getan. Threads arbeitet mit dem Protokoll ActivityPub. Langsam und in Phasen will Meta sein Netzwerk öffnen. Schon jetzt können Mitglieder in den USA, Kanada oder Japan ihre Inhalte mit dem Fediverse teilen.

Doch nicht jede Art von Inhalt kann bisher geteilt werden. Und im Fediverse kann sich jede Instanz aussuchen, welchen Plattformen und Servern sie lieber doch nicht folgen will. Deswegen werden sehr viele Menschen auf Mastodon und Co. nach wie vor keine Inhalte von Threads sehen.

Der Dienst von Meta ist aus Sicht mancher eher eine Bedrohung. Er würde die Kultur in den Communitys sicher ändern. Denn Threads hat mehr als zehnmal so viele Mitglieder wie der ganze Rest des Fediverse.

Ist das Fediverse etwas für mich?

Wer diesen Artikel bis hierhin gelesen und halbwegs verstanden hat, muss sich eigentlich vor nichts mehr fürchten. Der Start ins Fediverse ist nur ein kleines bisschen komplizierter als bei den meisten anderen sozialen Netzwerken. Drei mögliche Wege für Neulinge:

Threads – bin ich schon drin?

Wer heute in Deutschland bei Threads ist, der hat mit dem Fediverse noch wenig zu tun. Inhalte wandern nicht hin und her. Es ist nicht möglich, sich mit Mastodon-Accounts anzufreunden. Doch das kann sich ändern. Meta wird wohl weitere Schritte unternehmen, auch wenn nicht sicher ist, was genau wann passiert. Wer bereits ein Konto bei Instagram besitzt, muss nicht einmal ein neues für Threads anlegen.

Mastodon – nur ein kleiner Schritt mehr

Der Anfang mit Mastodon ist nur ein kleines bisschen verwirrend. Wichtig zu verstehen: Es gibt keine Firma, die so heißt und keine einheitliche Website. Wer aus Deutschland kommt und möglichst schnell irgendwo einsteigen will, der landet bei dem populären mastodon.social. Der Name der Instanz ist auch die Internetadresse. Wer Lust hat, sich mit anderen Literaturliebhabern, Nachbarn, Studierenden oder Menschen anderer Interessensgruppen zu vernetzen, der sucht vorher nach einer passenden Instanz. Hier werden auch die offizielle App und zahllose Alternativen vorgestellt. Ist das Konto einmal angelegt, erklärt sich vieles ganz von selbst – wer je ein soziales Netzwerk genutzt hat, erkennt vieles wieder.

Andere Dienste – kopfüber ins Abenteuer

Wer sich einigermaßen sicher im Internet bewegen kann, Computergrundlagen beherrscht und idealerweise Englisch versteht, der ist reif für größere Abenteuer. Mastodon ist nur ein Dienst aus einer ganzen Palette. Viele kleinere Plattformen warten auf ihre Entdeckung. Auf PeerTube gibt es Videos, auf Funkwhale finden sich Podcasts und Musik, und Lemmy sammelt Linktipps. Einen ersten Überblick der Plattformen bietet Fediverse.Party, eine gute Detailsuche nach Instanzen gibt es auf Fediverse.to.

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