Der Country-Star spielte ein seltenes Deutschland-Konzert im Mülheimer Carlswerk Victoria. Unsere Kritik.
Konzert in KölnKacey Musgraves ist Balsam für die spröden Stellen des Lebens
In „Deeper Well“, dem Titeltrack ihres neuen Albums verabschiedet sich Kacey Musgraves von Menschen und Gewohnheiten, die ihr nicht guttun. Sie habe in sich eine reichhaltigere Quelle der Erfüllung und der Ruhe gefunden, einen tieferen Brunnen.
Nichtsdestotrotz, erzählt die Country-Sängerin aus Golden, Texas, im Carlswerk Victoria, sei der Tourstart äußerst holprig verlaufen. In Irland – genauer gesagt auf der Aran-Insel Inis Oírr – verunglückte sie beim Radausflug, kurz darauf zog sie sich eine Lebensmittelvergiftung zu, die nach und nach auch die Mitglieder ihrer achtköpfigen Band ereilte. „Fast hätte ich die Tournee in ‚The Deeper Unwell Tour‘ ungetauft“, scherzt Musgraves in Köln und driftet – noch bevor man ihr zurufen kann: Das war keine Lebensmittelvergiftung! – in unappetitliche Details ab, bevor sie sich selbst zur Ordnung ruft.
Kacey Musgraves' Tour begann mit Fahrradunfall und Lebensmittelvergiftung
Es ist schon bemerkenswert, wie unbefangen sich Musgraves auf der Bühne bewegt, wie frei von der Leber weg sie plaudert, vor allem aber: wie mühe- und schwerelos auch ihr Gesang und ihre Musik daherkommen. Countrymusik stellt man sich ja in der Regel hart zupackend und maximal angepisst vor – „you load sixteen tons and what do you get“, „take this job and shove it“ – und auch Musgraves’ Songs haben seit ihrem Debüt „Same Trailer, Different Park“ nie den unverstellten Blick auf die Widrigkeiten des Alltags gescheut. Aber sie klingen dabei bereits wie die Lösung des jeweiligen Problems, ein Balsam für die spröden Stellen des Lebens.
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Zum lieblichen Auftaktstück „Cardinal“ etwa hat sie der Corona-Tod ihres Idols John Prine inspiriert. Der schmerzlich vermisste Songwriter flötet der Sängerin nun in Gestalt eines Rotkardinals die süßesten Botschaften aus dem Jenseits zu.
Später besingt sie noch Schmetterlinge und Regenbögen – allein vom Klavier begleitet – und stünde damit selbstredend unter Kitschverdacht, hätte sie nicht ebenso direkt und lieblich über ihre Scheidung und ihren exzessiven Cannabisgebrauch tiriliert – und wohnte ihrer Musik nicht stets eine Mikrodosis LSD inne.
In ihrer Jugend hat Musgraves mehrfach nationale Jodelwettbewerbe gewonnen, heute ist ihre ungetrübte Stimme vielleicht die beste, auf jeden Fall aber die angenehmste in der zeitgenössischen Popularmusik. Live vibriert ihre Band – an diesem Abend in schwarze Adidas-Trainingsanzüge gekleidet – in fortgesetzter Schwingung mit ihren Stimmbändern. Ganz sachte in den beiden Akustiknummern, dem gnostizistischen Gospelsong „The Architect“ und dem vom Publikum enthusiastisch gefeierten Frühwerk „Follow Your Own Arrow“, damals, 2013, ein seltener LGBTQ-freundlicher Countrysong, erst im vergangenen Monat wurde er von Orville Pecks & Willie Nelsons „Cowboys Are Frequently Secretly Fond of Each Other“ getoppt.
Folkig verspielt schwingt die Band in „Giver/Taker“, psychedelisch eingefärbt in „Slow Burn“. Und mit elegantem Discofox-Schwung bei „High Horse“ (aus dem Grammy-gekrönten Meisterstück „Golden Hour“), in dem Musgraves mit unerschütterlich guter Laune einen allzu sehr von sich überzeugten Kollegen zurechtstutzt. Große Ballons hüpfen dazu durch den Saal und die Seele hüpft mit.
Sie glaube nicht an Zugaben, hatte Musgraves vorsorglich im Carlswerk verkündet, wolle keine Erwartungshaltungen bedienen, sondern zusammen den Moment erleben. Ihre Songs verhalten sich zum Mainstream der Countrymusik wie Dubversionen zum Roots-Reggae, sie zerdehnen die lineare Zeit, bis sie auszusetzen scheint und in einen tiefen Brunnen stürzt.
Das letzte Stück des Abends, „Three Little Birds“, stammt dann tatsächlich von Bob Marley. „Every little thing is gonna be alright“, verspricht Kacey Musgraves und einen Augenblick lang glaubt man das wirklich.