Premieren in Bauturm, FWT, Studio TrafiqueDiese Stücke des Sommerblut-Festivals sollten sie sehen

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Queere Revolution im FWT

„Queere Revolution“ im Freien Werkstatt Theater

Drei Theaterpremieren und eine Installation: Wir stellen Höhepunkte des Sommerblut-Festivals vor.

„Queere Revolution“ im Freien Werkstatt Theater

„Queere Revolution“ schickt das Publikum im FWT auf eine Zeitreise ins Jahr 1966. Walter Brambach sitzt mit seinem Stammgast Hidde von Quitten in der Kölner Schwulenkneipe „Monokel“. Ein verrauchter Keller, in dem noch die Reste vom Kneipenabend des Vortags auf den Tischen stehen. Während die beiden Alten an der Theke tratschen, hat der junge Hans Rillow die undankbare Aufgabe, die verranzte Bar bis zur Öffnung wieder präsentierbar zu machen.  Die Kneipe ist Heimat und Hort einer schwulen Gemeinde, für die damals immer noch der von den Nationalsozialisten verschärfte Paragraf 175 galt. Er stellte sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. Die drei Männer sind die fiktiven Protagonisten aus dem Roman „Lavendelschwert“ (1966) des Kölner Autors Felix Rexhausen, der den Versuch einer „homosexuellen Revolution“ beschwört.

Das partizipative Theaterprojekt „Queere Revolution“ greift die Handlung des Buches auf und fragt gleichzeitig nach den Zentrifugalkräften der heutigen queeren Szene. Der Blick zurück in unselige Zeiten zeigt, wie viel seitdem erreicht wurde. Damals endeten Demos für die Rechte von Homosexuellen nicht selten mit gewaltsamer Auflösung durch die Polizei. Heute ist der CSD ein Riesenspektakel mit Millionenpublikum.

Rosarot ist die Gegenwart dennoch nicht: Viele Errungenschaften sind von wachsendem Populismus und Rechtsradikalismus bedroht. Das Stück lässt in Live- und Videobeiträgen unterschiedliche Vertreter der Queeren Szene zu Wort kommen. Zeigt deren Vielfalt und beschwört ihren Zusammenhalt. Dass Vorreiterinnen der Emanzipation wie Alice Schwarzer nun öffentlich gegen Transfrauen zu Felde ziehen, ist für die Theatermacher eine Mahnung, engstirniges Denken im Ansatz zu hinterfragen.

Der Namen des Regisseurs und Autors Sebastian Kreyer bürgt obendrein dafür, auch schwierige Themen mit Humor und boulevardesker Bravour anzugehen. Gemeinsam mit Daniel Breitfelder feuert er als tragikomisches Thekenduo zotige Pointen im Minutentakt ab, wobei hinter jedem Lacher gleich die Melancholie und Verzweiflung zu spüren sind. Humor ist Tragik plus Zeit, heißt es, „Queere Revolution“ findet hier den richtigen Tonfall, als starkes Zeichen gegen Ausgrenzung aller Art.

„Wuthering Heights“ im Theater im Bauturm

Auf einer Romanvorlage beruht auch die Inszenierung von Frederik Werth, der im Theater im Bauturm „Wuthering Heighs“ von Emily Brontë auf die Bühne bringt. „Sturmhöhe“, wie der Titel des berühmten Klassikers hierzulande lautet, wird oft auf die schaurigen Geister- und romantisch-tragischen Liebesszenen reduziert. Höchste Zeit, die Geister von Cathy und Heathcliff aus der Flasche banaler Zuschreibungen zu befreien. Bevor es auf der Bühne aber zum eruptiven Exorzismus kommt, haben erst einmal Locke (Anja Kunzmann) und Nelly (Alina Rohde) das Sagen. Die beiden Podcasterinnen plündern Brontës Buch in einem endlosen True-Crime-Podcast.  Das Publikum wird Zeuge der Aufzeichnung von Folge 1801 (!). In bester „Fack ju Göhte“-Manier wird hier mit Nonchalance die Deutungshoheit über das „geschriebene Wort“ gesucht, um dann die Versatzstücke in ein behagliches Environment für die „Generation Z“ zu verwandeln. Wie die beiden Schauspielerinnen im orange-braunen Retro-Look das Bühnenstudio in eine Spielwiese diverser Befindlichkeiten und Beziehungskonstellationen verwandeln, ist ungemein gut gespielt und wahnsinnig komisch in seiner Selbstentlarvung.

Umso harscher dann der Bruch, wenn die (Theater)-Geister, die sie gerufen haben, sich der Domestizierung widersetzten und ihrerseits nach Dominanz streben. Mithu Sanyals („Identitti“) aufregende Abhandlung „Über Emily Brontë“ wird hier zum heimlichen Leitfaden, um neue Lesarten zu erkunden, die mit Missverständnissen und Vereinfachungen aufräumen. Heathcliff als erster nicht weißer Held der Literaturgeschichte wird hier ebenso gegenwärtig, wie die Rassen- und Klassengesellschaft der Kolonialzeit, deren Auswirkungen immer noch greifbar sind. So sind die Bilder von der Fußgängerbrücke zum Kölner Zoo, die in den Videoeinspielungen zu sehen sind, auch ein Verweis auf die „Völkerschauen“, in denen Menschen aus den Kolonien wie exotische Kuriositäten ausgestellt wurden. Zwischen Rassismus-Erfahrungen und Rachefantasien begibt sich „Wuthering Heights“ auf die Suche nach erlösenden Liebesökonomien, auch wenn die Liebenden dafür zum Geist werden müssen.

„Crossing Common Borders“ im Studio Trafique

Grenzerfahrungen in unterschiedlichen Formen thematisiert „Crossing Common Borders“ von Studio Trafique. Regisseur und Autor Björn Gabriel hat dabei erstmals im Rahmen von „Sommerblut“ mit den Autoren des Bonner Kulturmagazins „Ohrenkuss“ zusammengearbeitet. Deren Hefte erscheinen mittlerweile im 26. Jahr und werden ausschließlich von Menschen mit Down-Syndrom gemacht. Auf der Bühne in der Kölner Orangerie entwickelt sich aus der Zusammenarbeit ein Theaterabend, bei dem biografische und fiktionale Erzählungen in der für das Studio Trafique so stilbildenden Form des Live-Film-Theaters zur Aufführung kommen: 70 Minuten, prall gefüllt mit sinnesfrohen Schauwerten.

Mal sprachgewaltig theatral, mal verschmitzt selbstironisch suchen die Beteiligten das Glück zwischen persönlichem Streben und gesellschaftlichen Ansprüchen. „Einsamkeitserfahrungen sind ein Massenphänomen geworden“, heißt es im Stück. Ist es etwa sinnvoll, sich mit KI zu behelfen, um Hürden im Alltag zu überwinden? Oder gehen die Menschen damit einen fatalen faustischen Pakt ein? Private Problemstellungen und philosophisch-politische Diskurse greifen hier so selbstverständlich ineinander, wie die unterschiedlichen Spielebenen im Stück. Die (Video)-Technik macht es möglich, Bühnenschauspieler mit Akteuren im Bild korrespondieren zu lassen. Physische Grenzen werden so aufgehoben oder suggeriert die Videoschaltung nur ein Versprechen von Nähe, das nicht eingelöst wird? Das Leben ist in „Crossing Common Borders“ keine Baustelle, sondern ein mobiler Baustellenwagen, der munter weiterrollt, während alle gemeinsam oder einsam an ihrem Glück werkeln. Ein intensiver Abend.

„Muttersein“ im Freien Werkstatt Theater

Einen symbolträchtigen Premierentag zum Muttertag feierte Eva-Maria Baumeisters Installation „Muttersein“ im FWT. „Eine vielstimmige Sammlung“ heißt es im Untertitel und mit den vielen Stimmen eines Frauenchores eröffnet der Abend im Theater-Foyer. Mal in Liedform, mal als spitzfindiger Wortbeitrag fächern die Frauen hier in einem zwanzigminütigen Konzert unterschiedliche Aspekte des Mutterseins auf. Eigene Erfahrungen mit Kindern, das Verhältnis zur eigenen Mutter, harte Fakten um die mangelnde gesellschaftliche Würdigung von Care-Arbeit und ein paar alberne „Deine-Mudda“-Witze bilden als musikalisches Infotainment das perfekte Warm-up für den Besuch der Sammlung. Dass das Thema Muttersein nicht in Form einer Geschichte, sondern als Ausstellung unterschiedlicher Sammelstücke behandelt wird, ist für Baumeister folgerichtige Umsetzung eines feministischen Blicks auf die Welt, der Dinge nicht zwangsläufig in eine dramaturgische Hierarchie ordnet, sondern gleichberechtigt zum Diskurs anbietet. Vorneweg geht es in „Muttersein“ zuerst einmal um Sichtbarkeit von Care-Arbeit, von physischen und psychischen Belastungsgrenzen zwischen Burn- und Boreout. Ausstellungsstücke zum Anschauen und teilweise Anfassen vereint Artefakte mit Alltäglichem.

Teilweise sehr persönliche Gegenstände von Müttern sind hier zusammengekommen, sie alle erzählen ganz eigene Geschichten, unbedingt nachzulesen in dem Ausstellungskatalog-Flyer, wie etwa die FFP2-Maske, die eine Mutter zur Corona-Zeit im Kreißsaal tragen musste. Ein Foto von einem Kindergrab kündet vom Drama eines frühen Kindstodes und dem Umgang mit dieser traumatischen Erfahrung. Im Zentrum des Bühnenraumes hängt als gewaltige Textilskulptur „Die Mutter*“ von Theresa Mielich, gefertigt aus den Strickröcken einer kinderlosen Frau. Interviews von Frauen, zu hören auf Kopfhörern, und Audiocollagen erweitern den Erzählkosmos um zusätzliche Aspekte. Für jeden Gast gilt es hier, sich beim Erkunden der Erzählungen seinen eigenen Erlebniskosmos zu kreieren.


Termine: Queere Revolution: 16., 17.5. 19.30 Uhr, FWT

Wuthering Heights: 16., 17.5. 20 Uhr, Theater im Bauturm

Bei allen Stücken sind weitere Aufführungstermine im Sommer oder Herbst geplant.

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