Bedrohliche Worte des Kremlchefs„Endgültig ausrotten“ – Putin dehnt „Nazi“-Vorwurf auf Baltikum aus

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Wladimir Putin bei seiner Rede bei der Eröffnungszeremonie eines Gedenkkomplexes in der Region Leningrad.

Wladimir Putin bei seiner Rede bei der Eröffnungszeremonie eines Gedenkkomplexes in der Region Leningrad.

Nicht nur in Kiew, auch im Baltikum sei „Nazismus“ am Werk, behauptet Putin. Bereitet Moskau unter diesem Vorwand den nächsten Angriff vor?

Es sind keine neuen Behauptungen, die in Russland am Wochenende aufgestellt wurden. Immer wieder hat der Kreml den haltlosen Vorwurf erhoben, in der Ukraine sei ein „Nazi-Regime“ an der Macht. Es ist eines der zentralen Narrative von Kremlchef Wladimir Putin, um den brutalen Angriffskrieg auf das Nachbarland zu rechtfertigen. Nun nutzte Putin das Gedenken an die Folgen der Blockade Leningrads durch Nazi-Deutschland, um den Vorwurf auf das Baltikum auszudehnen.

„Wir tun alles, alles, um den Nazismus zu unterbinden und endgültig auszurotten“, sagte der Kremlchef bei der Eröffnung eines Denkmals für zivile Opfer des faschistischen Terrors nach dem Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion. Die Ukraine und das Baltikum führte Putin dabei als aktuelle Beispiele für das Erstarken des Nazismus auf.

Wladimir Putin dehnt „Nazi“-Vorwurf auf Baltikum aus

Die baltischen Staaten „erklären Zehntausende zu Untermenschen, nehmen ihnen die elementarsten Rechte und setzen sie Hetze aus“, behauptete Putin. Die Ukraine wiederum „heroisiert Hitlers Helfer und SS-Leute, setzt Terror gegen Missliebige ein“, erklärte der Kremlchef weiter.

Der russische Präsident Wladimir Putin am 27. Januar bei einer Kranzniederlegung am Denkmal „Vaterland“ in Sankt Petersburg.

Der russische Präsident Wladimir Putin am 27. Januar bei einer Kranzniederlegung am Denkmal „Vaterland“ in Sankt Petersburg.

Bereits in der Vergangenheit hat Moskau seinen fast zwei Jahre währenden Angriffskrieg auf die Ukraine immer wieder mit der angeblichen Notwendigkeit gerechtfertigt, die dort lebende russischsprachige Bevölkerung vor Angriffen ukrainischer Nationalisten schützen zu müssen. Nun erhebt Putin derartige „Nazi“-Vorwürfe offenbar auch gegen das Baltikum. Zuvor hatte der Kremlchef bereits Lettland vorgeworfen, die russischsprachige Bevölkerung „wie Schweine“ zu behandeln.

Putins drastische Wortwahl: „Untermenschen“ und „Schweine“

„Das ist ein bekanntes Drehbuch“, hatte der Kölner Politikwissenschaftler Thomas Jäger die zunehmend aggressive Wortwahl gegenüber dem Baltikum kürzlich im Gespräch mit dieser Zeitung eingeordnet. Nach Putins noch drastischeren Worten vom Wochenende warnen nun auch die Analysten des amerikanischen Instituts für Kriegsstudien (ISW).

„Putin beschuldigt speziell die baltischen Staaten, den ‚Nazismus‘ übernommen zu haben, wahrscheinlich als Teil der fortgesetzten Bemühungen des Kremls, Informationsbedingungen für zukünftige russische Aggressionen gegen Nato-Mitglieder zu schaffen“, schreiben die ISW-Analysten. „Die Planungen in Russland gehen über die Ukraine hinaus“, hatte auch Jäger zuvor gewarnt.

Russischsprachige Bevölkerung angeblich in Gefahr: „Das ist ein bekanntes Drehbuch“

Der Leningrad-Gedenktag sei für Putin möglicherweise eine willkommene Gelegenheit gewesen, um die seit langer Zeit konstruierte Ideologie des Kampfes gegen den Nazismus weiter unter das Volk zu bringen, heißt es weiter in der aktuellen Analyse der amerikanischen Kriegsforscher. Diese Erzählung nutze Putin, „um eine geopolitische Konfrontation mit dem Westen zu unterstützen, die an den Kalten Krieg erinnert“.

Nun könnte der Kreml beschlossen haben, dass es „wirksamer“ sei, das Narrativ vom Kampf gegen eine „Nazi-Macht“ in der Ukraine auszudehnen, um so „russischsprachige Menschen auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion mit der Ideologie der ‚Russkiy Mir‘ anzusprechen“. Putins Idee der „russischen Welt“ umfasst nicht nur Russland, sondern alle Regionen, in denen Russisch gesprochen wird.

„Russland wird nicht auf halbem Wege Halt machen“

Für eine Ausdehnung der „Nazi-Vorwürfe“ und eine wachsende Bedrohung des Baltikums durch den Kreml sprechen laut ISW auch Aussagen des Chefs des russischen Auslandsgeheimdiensts. Gegenüber dem kremlnahen Journalisten Pawel Zarubin hat Sergej Naryschkin demnach kürzlich erklärt, die Ukraine erwarte ein „sehr trauriges Schicksal“. Zudem habe der Geheimdienstchef seine vorherige Aussage bekräftigt, dass „Russland in seinem Kampf mit heutigen Anhängern der Nazi-Ideologie nicht auf halbem Wege Halt machen wird“.

Der Vorsitzende der russischen Staatsduma, Wjatscheslaw Wolodin, dehnte das russische Narrativ von „Nazi-Regimen“ noch weiter aus und behauptete laut den US-Analysten in seinem Telegram-Kanal kürzlich, „die faschistische Ideologie ist für die Führung der Nato-Länder zur Norm geworden“. 

Pistorius, Nato und Norwegen warnen vor russischem Angriff in der Zukunft

Die nunmehrigen Worte Putins folgen unterdessen auf Warnungen von Nato-Staaten vor einem russischen Angriff auf einen Bündnispartner in den kommenden Jahren. Sowohl der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius, als auch das Verteidigungsbündnis selbst hatten zuletzt vor einem solchen Szenario gewarnt.

In die gleiche Kerbe schlug am Wochenende schließlich auch der norwegische Oberbefehlshaber Eirik Kristoffersen und erklärte im Interview mit dem „RND“, die Bedrohung durch Russland sei „nur vorübergehend“ geringer geworden. Die russische Rüstungsproduktion sei stärker als gedacht, dennoch werde Russland „wohl drei Jahre“ brauchen, um in der Ukraine verlorene Kräfte zu ersetzen, so der Norweger. Es bleibe „nicht mehr viel Zeit“, um sich für ein solches Szenario vorzubereiten, so Kristoffersen. (mit dpa)

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