Plaßmanns Karikaturen des JahresWir sind alle Helden, kommen nur gerade nicht dazu

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Eine Menschenmenge protestiert für die Klimarettung. Eine Demo, die daneben Verzicht fürs Klima fordert, ist verwaist.

„Rettet das Klima“ von Karikaturist Thomas Plaßmann. Sein Rückblick auf 2023 ist jetzt im Klartext Verlag erschienen.

Der Karikaturist Thomas Plaßmann schaut auf 2023 zurück. Kein schöner Anblick, aber wegsehen hat noch nie geholfen.

Die große Politik ist das eine, das alltägliche Kleinklein etwas ganz anderes. Aber natürlich hängt das eine mit dem anderen zusammen, wer wüsste das besser als ein professioneller Beobachter des deutschen Politiktheaters? Als im Winter 2023 der Hustensaft knapp wurde, fing Thomas Plaßmann eine seiner „nachdenklich stimmenden Szenen“ ein: Eine junge Mutter schiebt den Kinderwagen in eine jener dunklen Ecken, in denen Gras, Schnee und andere Drogen zu kaufen sind. Aber ihr steht der Sinn nach etwas anderem: „Tschulligung!... Wenn Sie gelegentlich Kinder-Antibiotika…“

In der Welt von Thomas Plaßmann sind die Politiker eher Randfiguren (es sei denn, sie drängen sich in putinesker Weise auf) und die sprichwörtlichen kleinen Leute ebenso sprichwörtliche Alltagshelden. Sie erdulden, was ihnen Politik und Weltläufe an Zumutungen auferlegen, seien es die Klimakrise, das Heizungsgesetz, die Inflation oder die Deutsche Bahn. Wo andere mit dem Stift auf einzelne „Schuldige“ zeigen, lässt Plaßmann seine Jedermänner und Jederfrauen die Pfeile des Schicksals hamlethaft erdulden. Was bleibt ihnen (und uns) auch anderes übrig: Das nächste Jahr, die nächste Regierung kommt bestimmt und niemand garantiert, dass deswegen irgendetwas besser oder weniger schrecklich wird.

Thomas Plaßmann zeigt die große Politik im Alltäglichen

Für Leser des „Kölner Stadt-Anzeiger“ ist das nichts Neues. Sie werden von Thomas Plaßmann regelmäßig mit gezeichneten Einsichten „Unterm Strich“ beliefert, von denen sich viele nun auch in Plaßmanns gleichnamigen Rückblick auf 2023 wiederfinden. Auf dem Buchtitel prangen unter anderem eine defekte Ampel, ein Bundeskanzler mit Augenklappe und eine vom Himmel geschossene Friedenstaube. Wladimir Putin feiert ein blutiges Kriegsjubiläum und ein Mullah droht mit dem Strick. Selbst das Corona-Virus ist nicht gebannt. Man muss schon starke Nerven haben, um hinter diesen Buchdeckel zu blicken. Aber wegschauen hat noch nie geholfen.

Das erste Kapitel ist eher untypisch für Plaßmann – es „gehört“ Putin und seinem Krieg. Dieser „große“ Mann lässt keinen Platz für kleine Leute, außer im Fleißwolf oder in Gestalt der Schützengilde „Gut Ziel“, die ihre Munitionsbestände der Nato und/oder der Ukraine überlässt. Vermutlich hätte sich Plaßmann, eindeutig ein Ziehkind der friedensbewegten Sozialdemokratie, auch nicht träumen lassen, dass er einmal die fehlende Wehrtüchtigkeit der Bundeswehr beklagen oder wenigstens karikieren würde. Aber auch dies gehört zum „Lagebild“ des Jahres dazu.

Innenpolitisch bot die Ampel-Regierung verlässlich Futter, ein älterer Herr im Lehnstuhl sehnt sich sogar nach der Großen Koalition zurück. Trost findet sich bei Plaßmann noch in der schlimmsten Lage: Ein Vater denkt auf grasgrünem Winterberg an die gesparten Heizungskosten und der Fisch geht dem Hochseefischer bereits gargekocht ins Netz. Nur die Jugend spielt nicht mit, klebt sich auf Straßen fest und rechnet den Eltern die Energiebilanz ihrer Erziehungsmethoden vor. Die Weltlage spiegelt sich eben auch im Privaten, bei uns allen. Und im eigenen Heim ist es von der Einsicht ins Notwendige bis zum Handeln oft ein ähnlich langer Weg wie in Berlin. Plaßmann zeigt es sehr schön und gleich mehrfach: In Gedanken sind wir alle Klimaretter, aber in Verzicht üben wollen wir uns deswegen noch lange nicht.

Und wo bleibt die Hoffnung? Sie liegt bei Thomas Plaßmann gerade in den gebeutelten kleinen Leuten. Wenn die große Politik bei jedem selbst beginnt, erscheint sie gleich nicht mehr so schicksalhaft.


Thomas Plaßmann: „Unter Strich. Die Karikaturen des Jahres 2023“, Klartext Verlag, 128 Seiten, 18,95 Euro

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