AfD-Urteil gefallenRichter: „Der Rauchmelder der Verfassung schrillt“

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Nach dem Urteil im Berufungsverfahren im Streit um die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz am Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen stehen Roman Reusch (M.l), Beisitzer im Bundesvorstand der AfD, und Peter Boehringer (r. daneben), Stellvertretender Bundessprecher der AfD, in der Lobby des OVG und geben den Medien ein Statement.

Nach dem Urteil im Berufungsverfahren im Streit um die Einstufung der AfD durch den Verfassungsschutz am Oberverwaltungsgericht für das Land NRW stehen Roman Reusch (M.l), Beisitzer im Bundesvorstand der AfD, und Peter Boehringer (r. daneben), Stellvertretender Bundessprecher der AfD, in der Lobby des OVG und geben den Medien ein Statement.

Die AfD darf weiter als rechtsextremer Verdachtsfall eingestuft werden. Einen Vorwurf der AfD weist das Gericht entschieden zurück.

Als der Vorsitzende Richter Gerald Buck am Montagmorgen das Urteil im Rechtsstreit AfD gegen Verfassungsschutz vorliest, wird er bildlich. „Darf die Polizei eine Wohnung betreten, in der ein Rauchmelder Alarm gibt und niemand öffnet?“, fragt Buck. „Trotz des hohen Schutzes der Wohnung ist die Antwort: ja.“ Sollte sich herausstellen, dass es sich nur um einen Fehlalarm handele, müsse die Polizei die Wohnung eben wieder verlassen.

Die Alternative für Deutschland muss ihre zweite Niederlage einstecken: Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf die AfD weiter als rechtsextremen Verdachtsfall einstufen, auch die Junge Alternative bleibt ein Verdachtsfall. Die Einstufung des „Flügels“ im Jahr 2020 war ebenfalls rechtens, urteilt der fünfte Senat des Oberverwaltungsgerichts Münster. Das bedeutet: Der Verfassungsschutz darf die Gesamtpartei weiter mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten.

Damit bestätigt das OVG das vorangegangene Urteil des Verwaltungsgerichts Köln. Die AfD kündigte eine knappe halbe Stunde nach Urteilsverkündigung an, den Fall vor die nächste Instanz zu bringen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Urteilsbegründung: Von Rauchmeldern und Tigern

Es liegen „hinreichende Anhaltspunkte dafür vor“, dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die gegen die Grundsätze der Verfassung gerichtet sind, begründen die Richter ihre Entscheidung. Insbesondere Migranten würden durch Äußerungen von AfD-Vertretern „systematisch ausgegrenzt“, trotz ihrer deutschen Staatsangehörigkeit werde ihre „Zugehörigkeit zum deutschen Staatsvolk in Frage gestellt“. Auch der Verdacht, dass die Bestrebungen der AfD die Menschenwürde von Ausländern und Muslimen missachte, sei gerechtfertigt. Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen seien ebenfalls vorhanden, „wenn auch nicht in der Häufigkeit und Dichte, wie vom Bundesamt angenommen“. 

Den Vorwurf der AfD, ihre Hochstufung sei aus der politischen Motivation entstanden eine Oppositionspartei zu schwächen, weist das Gericht entschieden zurück. Dafür, so Buck, gebe es keinerlei Anhaltspunkte. 

Demokratie beißt nur im nötigsten Fall zu

Beim Vorgehen der Verfassungsschützer sei die Verhältnismäßigkeit gewahrt worden. Es sei mit dem Grundgesetz, dem Völkerrecht und dem europäischen Recht vereinbar. „Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes ist kein zahnloser Tiger“, sagt Buck. „Sie soll aufmerksam und durchsetzungsstark sein. Aber sie beißt nur im nötigsten Fall zu und lässt sich auch nicht zu schnell provozieren.“

Die Bestätigung der AfD als rechtsextremer Verdachtsfall mache eine erneute Hochstufung jedoch nicht zum nächsten logischen Schritt, betonte der Senat. „Was für einen Verdacht ausreicht, führt nicht zwangsweise auf eine erwiesene rechtsextreme Bewegung zu.“

Gegen Ende der Urteilsverkündung kommt der Vorsitzende Richter wieder auf die Rauchmelder-Metapher zurück: „Der Rauchmelder der Verfassung schrillt“, sagte Buck. „Ist das ein Brand oder nur Rauch um nichts? Das zu erhellen und zu überwachen, ist Aufgabe des Verfassungsschutzes.“

AfD: Gericht habe sich „einer Beweisaufnahme verweigert“

Eine Revision ließ das Gericht nicht zu, die AfD kann jedoch einen Antrag auf Zulassung beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig stellen und dort Beschwerde einlegen. Das kündigt Roman Reusch, Mitglied des Bundesvorstandes, kurz nach der Urteilsverkündigung an. In Leipzig können die Richter allerdings nicht inhaltlich prüfen, sondern nur auf Verfahrensfehler in Münster prüfen. 

Diese, so Reusch, habe das OVG mit der Ablehnung der mehr als 470 Beweisanträge seiner Ansicht nach geliefert. Das Gericht habe sich „einer Beweisaufnahme verweigert“, sagt der ehemalige Oberstaatsanwalt. Auch der Bundestagsabgeordnete Peter Boehringer sieht die AfD als Opfer eines unfairen Verfahrens: „Es wurde zu kurzer Prozess gemacht“, sagt Boehringer. „Es ist sicher kein Zufall, dass wir heute hier stehen. Der Prozess war ja angesetzt bis Juli, also bis nach der Europawahl“.

Ursprünglich waren allerdings nur zwei Verhandlungstage im März für das Berufungsverfahren angesetzt. Schon in den beiden Tagen zogen Beweis- und Befangenheitsanträge das Verfahren jedoch derart in die Länge, dass das Gericht vorsorglich 13 weitere Prozesstage ansetzte. Die mündliche Verhandlung endete schlussendlich nach sieben Prozesstagen am 7. Mai, bevor nun am Montag das Urteil verkündet wurde.

AfD flutete das Gericht mit Anträgen

Mit dem Urteil endete am Montag ein Prozess, der von zahlreichen Unterbrechungen und teils aberwitzigen Momenten geprägt wurde. Am fünften Prozesstag stellte die AfD die angekündigten 470 Beweisanträge, bevor der sechste Tag beginnen konnte, musste sich der Senat wegen Befangenheitsanträgen der AfD gegen alle Richter zurückziehen. Kurz darauf stellte die AfD erneut einen Befangenheitsantrag. Das Gericht wies alle Beweisanträge zurück, nannte sie rechtsmissbräuchlich und unsubstantiiert, einige würden der Prozessverschleppung dienen, wiederum andere seien Ausforschungsanträge gegen die Arbeit des Verfassungsschutz. 

So diskutieren die Streitparteien im Gerichtssaal viele zähe Stunden gar nicht die Frage, ob die AfD noch auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Es ging eher darum, ob die AfD alle 470 Beweisanträge nacheinander laut vorlesen darf. Nach der Ablehnung wollten die Anwälte zu jedem einzelnen abgelehnten Antrag eine fünfminütige Gegendarstellung vortragen. Den Vorwurf der Prozessverschleppung bestritt die AfD dabei vehement. 

Immer wieder ging es vor Gericht um die Verwendung des Volksbegriffes: Wer ist für die AfD „das Volk“? Der Verfassungsschutz warf der AfD mehrfach vor, zwischen einem deutschen Staatsvolk und einer ethnisch deutschen Abstammung zu unterscheiden. Menschen mit Migrationshintergrund seien „Bürger zweiter Klasse“ für die AfD, sagte der Anwalt des Verfassungsschutzes. Das Grundgesetzes mache jedoch keinen Unterschied zwischen Staatsangehörigkeit und Ethnie. 

Maximilian Krah und der Volksbegriff

Ausgerechnet Maximilian Krah sollte das Volksverständnis der Partei retten - Krah, der mit Blick auf Schleswig-Holsteins Sozialministerin Aminata Touré, der ersten schwarzen Ministerin in Deutschland, einmal sagte: „Wer ethnische Afrikaner und Afghanen in die Regierung nimmt, macht die Regierung auch kulturell afrikanischer und afghanischer“.

Der Spitzenkandidat für die Europawahl erschien am vierten Prozesstag kränkelnd im Gerichtssaal, hustete so viel, dass Richter Gerald Buck ihm ein Bonbon zuwarf, und gab sich weltoffen. Er könne kein Rassist sein, erklärte Krah schließlich, die Mutter zweier seiner Kinder sei Slowakin, im Europaparlament beschäftige er einen gebürtigen Chinesen als Mitarbeiter. Gerade dieser Mitarbeiter wurde nur eine Woche später festgenommen: Jian G. soll für China spioniert haben. 

Die Alternative für Deutschland wurde bereits 2019 als Prüffall eingestuft, 2021 folgte die Hochstufung zum Verdachtsfall. In erster Instanz ging die AfD vor dem Kölner Verwaltungsgericht gegen die Beobachtung vor. Nachdem das dortige Gericht dem Verfassungsschutz Recht gab, zog die AfD vor das OVG Münster. Da der Verfassungsschutz in Köln sitzt, waren die NRW-Gerichte zuständig. 

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