Falsche Erwartungen an Schönheitschirurgie„Man kann aus Schwarzbrot keine Torte machen“

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Immer häufiger wünschen sich junge Menschen eine Nase, „so wie sie in der Natur gar nicht vorkommt und nur von der KI generiert werden kann“, sagt der ästhetisch-plastische Chirurg Helge Jens.

Die Brüste zu klein, die Lippen zu schmal, der Po zu flach. Chirurg Helge Jens erklärt, was Tiktok und Instagram damit zu tun haben.

Herr Jens, wie oft bekommen Sie Anfragen von Menschen, die mit einem auf Social Media bearbeiteten Selfie zu Ihnen kommen und sagen: Bitte operieren Sie mir so eine Nase!

Dr. Helge Jens: Auf jeden Fall immer häufiger. Es handelt sich aber bei weitem nicht nur um Nasen. Die vorwiegend jungen Menschen kommen mit Bildern von Brüsten, Lippen, Wangenknochen, Augenlidern, ganzen Gesichtern oder Pos. Von sich selbst, aber stark bearbeitet, von Stars, aber auch von KI-generierten Models. Diese schönen Wesen gibt es alle gar nicht. Um das klarzumachen, fordern wir als Verband eine Kennzeichnungspflicht von bearbeitetem Bildmaterial. Dieses führt nämlich unter anderem auch dazu, dass die Menschen komplett unrealistische Erwartungen an uns ästhetisch-plastische Chirurgen haben. Vielen dieser Patientinnen muss ich erst mal erklären, dass das, was sie wollen, gar nicht geht. Jede Fünfte schicke ich wieder nach Hause.

Man kann aus Schwarzbrot keine Torte machen
Dr. Helge Jens,Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie

Die plastisch-ästhetische Chirurgie hinkt den Möglichkeiten der KI und der Bildbearbeitung also hinterher?

Auf jeden Fall. Wir haben etliche Werkzeuge, mit denen wir als Chirurgen arbeiten können. Aber es gibt Grenzen. Zum einen sieht man am Ende vielleicht doch eine Narbe. Zum anderen, hier zitiere ich sinngemäß meinen früheren Oberarzt: Man kann aus Schwarzbrot keine Torte machen. Es muss am Ende auch zum restlichen Körper passen. Und ich muss hinter der OP stehen können. Sowohl als Arzt als auch als Mensch. Da kommen manchmal Frauen und zeigen mir das Bild von ihren Idealbrüsten, die ich ihnen operieren soll. Sie verkennen aber, dass die Frau, der die Brüste gehören, 1,80 Meter groß ist, sie selbst aber fast 30 Zentimeter kleiner. Die stelle ich dann erstmal vor den Ganzkörperspiegel und dann überlegen wir gemeinsam: Was ist realistisch?

Ästhetisch-plastischer Chirurg Helge Jens

Ästhetisch-plastischer Chirurg Helge Jens aus Aachen sagt: „Man kann aus Schwarzbrot keine Torte machen.“

Was ist denn realistisch? Welche Wünsche erfüllen Sie gerne?

Den der 25-Jährigen, die fast keine Brüste hat. Oder der 35-Jährigen, die nach drei Kindern über leere Schlauchbrüste klagt. Oder der 60-Jährigen, die seit Jahrzehnten unter Rückenschmerzen wegen ihrer großen Brüste leidet und fragt: Kann man die auch verkleinern? Das alles kann ich gut nachvollziehen und operiere ich gerne. Aber natürlich versuche ich auch Menschen mit riesigen Warzen oder entstellenden Nasenhöckern zu helfen oder denjenigen, die wegen ihrer schweren Lider ständig müde aussehen. Das empfinde ich als erfüllende Aufgabe.


Dr. Helge Jens ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) und praktiziert in Aachen als „Facharzt für Plastische und Ästhetische Chirurgie“. Auf diese Bezeichnung sollten Patientinnen und Patienten achten, der Titel „Schönheitschirurg“ ist nämlich nicht geschützt.


Wie problematisch sind Selfies auf Social Media für die Psyche junger Menschen aus Ihrer Sicht?

Sehr problematisch. Zumindest wenn das Ganze seine spielerische Seite verliert. Wenn das jemand ernst nimmt und ein Leidensdruck entsteht. Wir verbringen heute unglaublich viel Zeit damit, uns selbst anzugucken. Bei manchen Menschen führt das zu einer Manie. Sie müssen sich ständig aus allen Blickwinkeln betrachten, ihre Bilder manipulieren und optimieren. Und entdecken irgendwann vermeintliche Fehler. Die Nase ist da ein besonders beliebtes Hassobjekt. Probieren Sie es selbst mal aus! Wenn Sie Ihre Nase dauernd ansehen, dann verändert sie sich, bekommt eine groteske Größe. Irgendwann werden Sie verrückt. Es ist ja auch ein ästhetisch fragwürdiges Organ. Manche Menschen entwickeln daraus eine Dysmorphophobie, eine krankhafte Fehleinschätzung des eigenen Körpers. Da können andere noch so oft sagen: Du hast einen Knall, deine Nase ist ok. Für sie gibt es nur einen Ausweg: Der Plastische Chirurg muss dran.

Was die Lippen betrifft, ist tatsächlich der Mund von Julia Roberts noch sehr gefragt. Den Po wünscht man sich von Kim Kardashian
Dr. Helge Jens, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie

Kommen auch Männer zu Ihnen und was wünschen die sich?

Meist minimalinvasive Eingriffe wie Facelifts, sie wollen hängende Lider gestrafft haben oder ihre Männerbrust loswerden. Nicht selten kommen auch beruflich sehr erfolgreiche Manager, die es nicht mehr zum Sport schaffen und einen Rettungsring um die Hüften haben. Da hilft dann die Fettabsaugung.

Welchen Stars wollen Patientinnen ähnlich sehen?

Was die Lippen betrifft, ist tatsächlich der Mund von Julia Roberts noch sehr gefragt. Den Po wünscht man sich von Kim Kardashian. Letzteres gelingt aber auch nur selten. Versuchen Sie mal, einer 50 Kilogramm schweren, kleinen Frau so einen Po dran zu operieren. Natürlich kann man Fett verpflanzen, aber nicht immer heilt es so an wie gewünscht. Zudem ist das einer der risikoreichsten Eingriffe der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie. Ich selbst operiere Pos deshalb überhaupt nicht.

Und welche Anforderungen gibt es an das Hassobjekt Nase?

Hier geht es oft um absolute Ebenmäßigkeit. So wie sie in der Natur gar nicht vorkommt und nur von der KI generiert werden kann. Grotesk ist dabei, dass absolute Symmetrie von uns gar nicht als schön wahrgenommen wird. Schöne Gesichter generell sind in Bewegung, sie lachen, sie ziehen Grimassen, sie kauen auf der einen Seite mehr als auf der anderen, da ist nicht alles gleich. Absolute Symmetrie sieht immer tot aus.

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