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Interview
Für den Bergneustädter Jazzmusiker Stefan Heidtmann hat Europa nicht nur Vorteile

Lesezeit 4 Minuten
Ein Mann sitzt am Flügel.

Der Bergneustädter Musiker Stefan Heidtmann sieht sich als Vertreter einer europäischen Jazztradition.

Am 9. Juni ist Europawahl. Aber was hat das mit uns zu tun? Diese Frage haben wir Oberberger beantworten lassen, die in besonderer Weise betroffen sind. Reiner Thies sprach mit dem Bergneustädter Jazzpianisten Stefan Heidtmann.

Wann waren Sie zuletzt im europäischen Ausland?

Stefan Heidtmann: Da muss ich überlegen, mein letzter Auftritt im Ausland ist schon etwas her, noch vor Corona. Es war wohl beim Festival „Stranger than Paranoia“ im niederländischen Tilburg, zu dem mich der Saxophonist Paul van Kemenade eingeladen hatte. Ihn kenne ich von der Messe „Jazz Ahead“ in Bremen, da treffen sich viele europäische Musiker. Der Konzertmarkt ist schwieriger geworden, in Deutschland fokussieren sich viele Veranstalter auf Zugpferde aus den USA.

Welchen Nutzen hat die Europäische Union für Sie und Ihre Arbeit?

Die hiesige Szene profitiert davon, dass die Kölner Musikhochschule viele Studenten aus dem europäischen Ausland anzieht. Neben heimischen Kollegen habe ich bei meiner eigenen Konzertreihe, dem Blue Monday im Schauspiel-Haus, oft auch Musiker aus Luxemburg oder der Schweiz zu Gast.

Gibt es einen europäischen Jazz?

Auf jeden Fall, klar. Ich selbst bin stark beeinflusst von einem europäischen Klangideal, das eigentlich erst in den 1970er Jahren von Manfred Eichers Label ECM Records geprägt wurde. Der skandinavische Jazz von Musikern wie Jan Garbarek gehört dazu. Da gibt es eine andere Herangehensweise, einen anderen, seriellen Groove als beim amerikanischen Jazz, der stark am Swing orientiert ist. Auch die großen amerikanischen Jazzpianisten wie Keith Jarrett oder Herbie Hancock haben eine klassische Ausbildung. In Europa hat sich aber, seit in den 70ern der Jazz in die Lehrpläne der Musikhochschulen aufgenommen wurde, eine eigene Musikästhetik entwickelt, die dem Selbstbewusstsein der Jazzmusiker gut tut.

Aber gibt Ihnen die EU nicht manchmal auch Anlass für Ärger?

Natürlich bin auch ich oft genervt von Regularien, die zu weit gehen. Als Beispiel fällt mir die   überstürzte Abschaffung der Glühbirne ein. Das Absurde an dieser Richtlinie war ja, dass – weit vor Einführung der LED – die mit umweltschädlichem Gas gefüllten „Energiesparlampen“ den Markt fluteten. Der EU-weiten Pflicht, dass Geräte repariert werden können, kann ich andererseits einiges abgewinnen, wenn ich an einige tolle elektronische Musikinstrumente denke, die ich wegschmeißen musste, weil ich keinen Spezialisten gefunden habe.

Wie sollte sich die EU verändern? Sollte das Europaparlament mehr Einfluss haben?

Als Bürger kann ich oft nicht erkennen, wie die Entscheidungen in Brüssel zustande kommen. Aber ich sehe positive Entwicklungen. Die deutsche Musikverwertungsgesellschaft Gema beispielsweise mag für viele Konzertveranstalter ein bürokratisches Ärgernis sein. Für uns Musiker und Komponisten ist sie sehr wichtig. Nicht umsonst war die Gema Muster für die EU-Richtlinie zum Urheberrecht. Der erfolgreiche Kampf gegen große Internetdienste wie YouTube zeigt, dass Europa eine politische Macht darstellt, die für ihre Bürger viel bewegen kann.

Welche Hoffnungen verbinden Sie mit der europäischen Integration?

Weniger Bürokratie wäre oft hilfreich. Es gibt schöne Kulturförderprogramme, aber dafür muss man dann 50-Seiten-Anträge ausfüllen. Als Mitglied des Aufsichtsrats der Jägerhof-Genossenschaft habe ich erlebt, dass der Umbau zum Kulturzentrum europaweit ausgeschrieben werden musste. Das finde ich übertrieben. Grundsätzlich ist es ein Fehler zu glauben, dass Europa ein Staatengebilde wie die USA werden könnte. Dafür sind die Sprachen und Mentalitäten zu verschieden. Das merkt man auch im Jazz. Die Musiker in Frankreich und Italien wollen lieber unter sich bleiben. Allerdings denke ich gern an den Auftritt zurück, den ich damals in der Bergneustädter Partnerstadt Châtenay-Malabry hatte. Und an das französische Radio, das eine große stilistische Vielfalt bietet.


Musikalischer Grenzgänger aus Bergneustadt

Stefan Heidtmann (66) lebt und arbeitet in seiner Heimatstadt Bergneustadt, studiert hat er an der Musikhochschule Köln. Seine Projekte   bewegen sich laut Selbstbeschreibung „zwischen zeitgenössischer Kammermusik und offenem, europäisch geprägtem Jazz“. Seine Aufnahmen veröffentlicht er auf dem eigenen Plattenlabel Shaa-Music. Er war 2002 Preisträger beim Kölner „Jazz-Art-Festival“, 2011 wurde ihm der Kulturförderpreis des Kreises zugesprochen. Tourneen führten ihn   bis nach Lateinamerika. Sein aktuelles Album heißt „Blind Date“, es ist eine ungewöhnliche Zusammenarbeit mit dem Bassisten Peter Schönfeld unter dem Namen V-Trio. Die CD wurde aufgenommen, ohne dass sich die Musiker in einem Studio trafen, sondern indem sie Audiospuren austauschten. Heidtmann hat auch die Schlagzeugparts eingespielt, und zwar mit einem speziellen Tablet-Programm.

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