Nach Angriffen auch in NRWPolitiker im Rhein-Erft-Kreis lassen sich beim Straßenwahlkampf nicht einschüchtern

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In der Brühler Innenstadt steht Wahlkampfstände.

Überschattet von den tätlichen Angriffen auf Politikerinnen und Politiker in den jüngsten Tagen haben die Mitglieder der Parteien in Brühl ihren EU-Wahlkampf fortgesetzt.

Im Vorfeld der Europawahl am 9. Juni hatten die hiesigen Parteien Informationsstände in der Fußgängerzone in Brühl aufgebaut. 

Der Wahlkampf um die Sitze im neuen EU-Parlament, bei dem Themen wie Klima, Krieg und Migration dominieren, findet hierzulande auch überschattet von den jüngsten tätlichen Attacken auf politisch Aktive statt. Für alle Lokalpolitiker, die am Samstag in der Fußgängerzone ihren Europawahlkampf fortsetzten, galt, dass sie sich davon nicht einschüchtern lassen.

„Ich finde es erst mal gut, dass man sich hier informieren und diskutieren kann, bestenfalls mit Argumenten“, sagte Passantin Kerstin Fischer. Die Zunahme von Gewalt und Hass machten ihr Angst. „Ich möchte das Feld vor allem nicht rechtsextremen Kräften überlassen. Ich werde wählen gehen“, ergänzte Rene Schmitz. „Dass von uns jemand körperlich bedroht worden ist, kann ich nicht sagen“, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende Holger Köllejan an seinem Stand.

„Wir haben schon verbale Angriffe und Beleidigungen, besonders auch in den sozialen Medien erfahren. Man darf sich aber nicht von so einer Minderheit jagen lassen.“ „Klar ist auch, dass wir nicht hinter jeden Politiker einen Polizisten stellen können“, meinte André Hess, Vorsitzender des CDU-Stadtverbandes. Dass das politische und gesellschaftliche Klima insgesamt rauer geworden sei, liege auch darin begründet, dass in der Vergangenheit die Gefahren von Rechts- und Linksextremismus zu wenig dargestellt worden seien. 

Bundeskriminalamt: Straftaten gegen Parteienvertreter bundesweit gestiegen

Aus der Statistik des Bundeskriminalamtes geht hervor, dass mit mehr als 10.500 Straftaten gegen Parteienvertreter zwischen 2019 und 2023 bundesweit diese Zahl gestiegen ist. Die Übergriffe betreffen alle Parteien, zuletzt häufig die Grünen und die AfD. „Das ist jetzt unsere vierte oder fünfte Veranstaltung in der Innenstadt“, sagte der Sprecher des AfD-Stadtverbandes, Jobst Schmidt. „Wir haben aktuell keine Übergriffe erlebt, wir informieren die Bürger über unser Programm.“

Klar lasse man derzeit mehr Vorsicht walten. „Aber die Demokratie lebt von den Bürgern und Wählern“, betonte FDP-Fraktionschef Jochem Pitz. In Brühl gebe es an ihrem Stand friedliche Gespräche. Mit Blick auf die Europawahl am 9. Juni wünsche sich seine Partei, „dass viele wählen gehen und die demokratischen bürgerlichen Parteien stärker rauskommen und nicht der rechte Rand.“

„Uns haben die jüngsten Überfälle auf Politiker schwer erschüttert, aber die Mitglieder haben keine Angst, ihren EU-Wahlkampf fortzusetzen“, betonte der Vorstandssprecher der Grünen, Robert Saß. So seien die Infostände immer mit mehreren Parteimitgliedern besetzt und auch Plakate würden nicht allein aufgehängt. Bereits in der Vergangenheit hätten die Grünen-Mitglieder heftige verbale Auseinandersetzungen, oft auch im digitalen Raum, erlebt. „Unsere Politik polarisiert. Wir erleben aber auch gerade vor Ort eine Phase, wo wir eine starke Wählerbasis haben.“

Am Tisch der Linken befand Sprecher Karsten Peters: „Die Menschen hier sind aufgeschlossen“. Jetzt erst recht präsent zu sein, sei ihnen wichtig. Oft gehe es in Gesprächen darum, demokratische Prozesse verständlich zu machen. Notwendig seien mehr Präventionsprogramme, eine bessere Aufklärung über Desinformation im Netz, „um gerade den rechtsextremen Inhalten und Ideologien in den sozialen Medien viel mehr entgegen zu setzen“, betonte seine Mitstreiterin Sirin Seitz.


Beleidigungen, Sachbeschädigungen und aggressive Stimmung 

Auch die Erftstädter Grünen sehen sich damit konfrontiert, dass der Ton gegen ehrenamtliche Politikerinnen und Politiker zunehmend rauer wird und Sachbeschädigungen sich häufen. Am Wahlstand seien laut der Parteivorsitzenden Tina Conrady Beleidigungen an der Tagesordnung. So seien Äußerungen wie „Ihr Rassisten“ und „Ihr Kriegstreiber“ schon gefallen.

Andere Passanten hätten ihr und anderen grünen Wahlkämpfern „Früher hätte man euch alle vergast“ oder „Ich sollte euch besser überfahren“ zugerufen. Auch Würge- und Erbrechengeräusche im Vorübergehen seien nicht selten. Beim Aufhängen von Wahlplakaten zeigten vorbeifahrende Autofahrer den Wahlkämpfern den Mittelfinger, berichtet Tina Conrady.

Diese aggressive Stimmung beobachten die Erftstädter Grünen auch an ihrem Fraktionsbüro. Regelmäßig würden Fensterscheiben bespuckt und beschmiert. Folien mit der Aufschrift „We stand with Ukraine“ wurden abgerissen, zudem verzeichnet Conradys Mitvorsitzender Christian Schubert einen Anstieg anonymer Anrufe mit unterdrückter Nummer mit Nachrichten wie „Ich hoffe, ihr scheiß Grüne seid bald weg vom Fenster! Heil AfD!“. Anonyme Briefe mit ähnlich lautenden Drohungen haben die Grünen der Polizei übermittelt.

Ein Sprecher der zuständigen Kölner Polizei bestätigt eine Zunahme solcher Schreiben und auch Sachbeschädigungen an Wahlplakaten. Persönliche Angriffe und körperliche Gewalt gegen Politikerinnen und Politiker habe es in der jüngeren Vergangenheit im Rhein-Erft-Kreis nicht gegeben. Er räumt aber ein, dass die Hemmschwelle von verbaler zu körperlicher Gewalt mitunter gering sei.

Die Polizei Rhein-Erft-Kreis steht nach Angaben ihres Sprechers Thomas Held in engem Austausch mit den Sicherheitspartnern auf Bundes- und Landesebene. Insbesondere der regelmäßige Informationsaustausch mit dem polizeilichen Staatsschutz sei im Hinblick auf mögliche Angriffe auf Politikerinnen und Politiker wesentlich. Die Beamtinnen und seien sensibilisiert und behielten die Wahlkampfstände im Blick. (jtü)

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