Exilautoren bei „Weiter Schreiben“Deshalb sollten wir mehr arabische Literatur ins Deutsche übersetzen

Lesezeit 5 Minuten
Deniz Utlu und Reber Yousef sitzen beide an einem kleinen Tisch und schauen in die Kamera.Sie haben die Hände ineinander verschränkt und auf dem Tisch angelehnt. Im Hintergrund eine holzvertäfelte Wand und eine Lampe.

Deniz Utlu und Reber Yousef arbeiten im Projekt "Weiter Schreiben" zusammen

Deniz Utlu („Vaters Meer“) und Reber Yousef lesen am 29. Februar in Kölner Literaturhaus. Das Projekt „Weiter Schreiben“ hat sie zusammengeführt.

In Deutschland anzukommen ist eine Sache, hier angekommen zu sein eine völlig andere. Es können Jahre der Einsamkeit sein, wie Deniz Utlu im Roman „Vaters Meer“ beschreibt. Darin erinnert sich ein Sohn an die Geschichte seines Vaters, die ihn aus Mardin an der syrisch-türkischen Grenze nach Istanbul und schließlich nach Hannover führte: „In den Jahren des Alleinseins in Deutschland, stelle ich mir vor, hatte Vater fast gar nicht gesprochen, doch wenn er sprach, muss das Deutsch gewesen sein. Es war also auch die Sprache seiner Einsamkeit und saß vielleicht dort, wo Schriftsteller auf ihre Schreibsprache stoßen.“

„Weiter Schreiben“ führt Exilautoren mit deutschen Autoren zusammen

Diese Erfahrung dürften auch Autorinnen und Autoren miteinander teilen, die in Deutschland im Exil leben. Selbst wenn sie mit fertigen Werken ankommen, fehlt ihnen oft der Kontakt zu Verlagen oder sie haben kein Budget für Übersetzungen. Ein Projekt hilft ihnen, besser in den deutschen Literaturbetrieb zu finden: „Weiter Schreiben“ vernetzt Autoren miteinander und veranstaltet Lesungen mit Autoren-Tandems. Im Netzwerk des Projekts ist auch der iranische Lyriker Ali Abdollahi, der in der diesjährigen Poetica zu Gast war.

Annika Reich hat das Projekt 2017 ins Leben gerufen. Im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtet sie, dass die Exilautorinnen und –autoren in den Tandems oft ihre ersten Buchverträge bekommen und irgendwann eigenständig zu Festivals, Preisen und Residenzen eingeladen werden, wodurch sie nicht mehr auf „Weiter Schreiben“ angewiesen sind. Gleichzeitig betont sie: „Es ist kein Mentoring-Programm. Es ist ein Austausch in beide Richtungen.“ „Weiter Schreiben“ bedeute für sie auch eine Erweiterung des deutschen Literaturbetriebs. „Gerade die arabische und die persische Literatur sind ja zwei uralte, sehr reiche und vielfältige Literaturtraditionen, von der wir viel zu wenig wissen.“ Wohingegen viele Exilautoren ganze Vorträge über Brecht halten können.

Deniz Utlu liest mit Reber Yousef im Kölner Literaturhaus

Auch Deniz Utlu macht bei „Weiter Schreiben“ mit, der kürzlich den mit 15.000 Euro dotierten Literaturpreis LiteraTour Nord für sein Werk und insbesondere für „Vaters Meer“ gewann. Der in Hannover geborene Autor berichtet, dass er schon zuvor positive Erfahrungen mit solchen internationalen Begegnungen gemacht hatte, in seinem Fall mit dem iranischen Autor Abbas Maroufi. „Weiter Schreiben“ betrachtet Deniz Utlu als den Versuch, für solche Begegnungen einen institutionellen Rahmen zu schaffen und sie damit zu erleichtern, zum Beispiel mit Übersetzungen oder Dolmetscherinnen und Dolmetschern.

Das war auch im Austausch mit seinem Tandem-Partner hilfreich, dem syrischen Autor Reber Yousef. Der hat zwar durchaus Deutsch- und Englischkenntnisse, konnte aber bei ihrem ersten Kennenlernen über Zoom auf Arabisch über Literatur sprechen und so aus dem Vollen schöpfen. Eine gemeinsame Lesung haben Utlu und Yousef bereits hinter sich, die nächste findet am 29. Februar im Kölner Literaturhaus statt. In den Veranstaltungen lesen sie nicht nur aus ihren Romanen, sondern tragen auch Briefe vor, die sie einander geschrieben haben.

Reber Yousef löschte Facebook-Posts, um seinen Vater nicht zu gefährden

Reber Yousef etwa erzählt in seinem Brief von seinem Vater in Syrien, der wegen einer drohenden Erblindung für eine medizinische Behandlung nach Damaskus muss, obwohl die Fahrt ihn das Leben kosten könnte. „In jener Nacht öffnete ich meine Facebook-Seite und löschte einige Texte, die ich gegen das syrische Regime verfasst hatte“, schreibt Yousef in dem Brief.

In Deniz Utlus Roman spielt das Auge ebenfalls eine zentrale Rolle: Hier kann der Vater des Protagonisten nach einem Schlaganfall nur noch mit den Augen kommunizieren, und eines von ihnen muss irgendwann abgedeckt werden, sodass ihm nur ein Auge als Verbindung zur Welt bleibt. Die Briefe des Autoren-Tandems sind also mehr als ein gegenseitiges Kennenlernen, sie bilden einen poetologischen Austausch, an dem das Publikum teilnehmen kann.

Hafis war laut Goethe der größte Dichter aller Zeiten

Die Begegnung der beiden verdeutlicht, wie bereichernd so ein Austausch sein kann. Deniz Utlu bedauert, dass nur wenig aus dem Arabischen, Persischen, Türkischen und Kurdischen ins Deutsche übersetzt werde. „Ich denke, das ist einschränkend und traurig für Literaturinteressierte. Wir könnten aus der ganzen Welt schöpfen und uns ganz viele Geschichten von überall erzählen lassen, weil es überall auf der Welt wunderbare Autor*innen gibt. Im Augenblick sind Lesende, sehr beschränkt, wenn sie die Sprachen nicht verstehen.“

Umso besser, dass zumindest die Werke einiger Exilautorinnen und -autoren über „Weiter Schreiben“ auf Deutsch zur Verfügung stehen. Denn letztlich könne man durch das Lesen von arabischer oder persischer Literatur auch die deutsche Literaturgeschichte besser verstehen, so Deniz Utlu. „Goethe zum Beispiel war stark geprägt von nahöstlicher Literatur. Er hat Hafis, der auf Persisch geschrieben hat, als den größten und wichtigsten Dichter aller Zeiten beschrieben und sich an ihm orientiert.“

Auch die griechische Antike, die so wichtig für die Renaissance, die europäische Aufklärung und die Literatur der deutschen Klassik war, sei über den Umweg arabischer Übersetzungen in Europa zugänglich gemacht worden. Und auch in nahöstlichen Ländern kenne man den europäischen Kanon. „Ich glaube, wir erfassen die eigene Literaturtradition nicht ausreichend, wenn wir nicht verstehen, dass die Literaturtradition keine nationale ist.“

Zur Veranstaltung

Deniz Utlu („Vaters Meer“) und Reber Yousef („Die Tuberkulose-Frauen“) lesen am 29. Februar im Kölner Literaturhaus aus ihren Romanen und Briefen. Die Lesung findet im Rahmen von „Weiter Schreiben“ statt. Alle Infos dazu gibt es hier

Deniz Utlu liest am 1. März auch im Kulturbunker aus „Vaters Meer“. Alle Infos dazu gibt es hier

Zu den Personen

Deniz Utlu, geboren 1983 in Hannover, ist ein deutscher Autor. Er gab von 2003 bis 2014 das Kultur- und Gesellschaftsmagazin freitext heraus. Sein Debütroman, „Die Ungehaltenen“, erschien 2014 und wurde 2015 im Maxim Gorki Theater für die Bühne adaptiert. 2019 erschien sein zweiter Roman „Gegen Morgen“. Er forscht am Deutschen Institut für Menschenrechte und veranstaltet am Maxim Gorki Theater die Literaturreihe „Prosa der Verhältnisse“. 2024 erhielt Deniz Utlu den Literaturpreis Literatour Nord.

Reber Yousef, geboren 1981 in Al Hassaka, ist ein syrischer Autor. Er schreibt Romane und Lyrikbände auf Arabisch und Kurdisch. In Syrien war er Regisseur eines kurdischen Kindertheaters und organisierte Lesungen, Sprachunterricht und Seminare. Da kurdische Aktivitäten offiziell verboten waren, floh er 2009 nach Deutschland.

KStA abonnieren