Ein Wegweiser von Diagnose zu KlinikHält der Klinik-Atlas, was Lauterbach verspricht?

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17.05.2024, Berlin: Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, stellt während einer Pressekonferenz den Bundes-Klinik-Atlas vor.

Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, stellt während einer Pressekonferenz den Bundes-Klinik-Atlas vor.

Wo bin ich mit meiner Hüftgelenksarthrose am besten aufgehoben? Wer operiert häufig Darmkrebs? Der Klinikatlas soll den Weg weisen.

Wer das beste Krankenhaus für seine Diagnose finden wollte, der stand bislang meist vor einer Rechercheaufgabe größeren Ausmaßes. Mussten sich Patienten, die sich vorab informieren wollten, doch durch manchmal mehr als 1000 Seiten dicke Qualitätsberichte von Kliniken arbeiten, um neben den Zahlen zum Desinfektionsmittel- und Mullbindenverbrauch auch zu der Komplikationsrate beispielsweise bei Kniegelenk-Operationen zu gelangen. Nun ist der sogenannte Bundes-Klinik-Atlas des Bundesgesundheitsministeriums online und verspricht eine transparente und übersichtliche Vergleichbarkeit der Krankenhäuser. Wir haben uns das Angebot angesehen und beantworten die wichtigsten Fragen.

Wie benutzerfreundlich ist die Suche?

Die Übersicht der 1661 Klinikstandorte in ganz Deutschland ist als Landkarte gestaltet, einzelne Städte oder Gebiete können herangezoomt und einzelne Kliniken angezeigt werden. Angegeben sind auf einer weiteren Seite dann allgemeine Informationen wie Adresse und Träger, Bettenzahl, Fachabteilungen sowie die stufenweise Bewertung einer Notfallversorgung. Mittels eines Tacho-Piktogramms sind die Behandlungsfälle sowie der Pflegepersonalquotient angegeben. Im ersteren Fall ist es günstig, wenn der Tacho Richtung grünen High-Speed-Anschlag nach rechts rückt, da viele Behandlungsfälle mit viel Erfahrung übersetzt werden können. Im Falle des Patientenquotienten sollte die Nadel eher im linken roten Bereich bleiben. Je weniger Patienten pro Pflegekraft, umso besser sollte der Service sein. Zwar wird letzteres in einer Legende aufgelöst, könnte manche Nutzer vielleicht dennoch verwirren.

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Hinterlegt sind 13.000 Krankheitsbilder sowie 28.000 Behandlungskonzepte

Guten Service bietet die Möglichkeit des Vergleichs. Dazu kann man eine Diagnose eingeben sowie einen Ort. Nutzerfreundlich ist die Tatsache, dass nicht der medizinische Fachbegriff eingegeben werden muss. Ein Algorithmus versucht, die Anfrage einem von 13.000 hinterlegten Krankheitsbildern oder 28.000 Behandlungsarten zuzuordnen. Alle verfügbaren Werte der angegebenen Kliniken können dann übersichtlich in einer Tabelle dargestellt und miteinander verglichen werden. Über einen Filter lassen sich auch Kliniken ausschließen, die weiter entfernt liegen sowie etwa über keine Kinderabteilung verfügen oder nicht auf Demenz eingestellt sind. Kleiner Haken: Mehr als zehn Häuser können nicht miteinander verglichen werden, was gerade in Köln ungünstig ist, da es hier eine hohe Klinikdichte und damit bei fast allen Diagnosen viele mögliche Anlaufstellen gibt.

Screenshot von www.bundes-klinik-atlas.de, dem Klinik-Atlas oder Krankenhaus-Atlas der Bundesregierung

Zu sehen ist eine Abfrage über PLZ 50677 Köln mit dem Stichwort Geburt

Ein Teil der Angebote des Klinikatlasses in Köln, Postleitzahl 50677 bei der Eingabe „Geburt“.

Welche Informationen werden noch nachgerüstet?

Viel diskutiert wurde die Abbildung der Komplikationsrate bei bestimmten Eingriffen. Diese Daten sind derzeit noch nicht abrufbar, sollen aber im dritten Quartal dieses Jahres nachgeliefert werden. Auch Detailangaben über Zahl und Spezialisierung der Ärzte sowie Zuordnungen zu allen 65 Leistungsgruppen (etwa Herzchirurgie, Geburtsheilkunde usw.) sollen später hinzukommen. Auch einige Qualitätssiegel müssen noch überprüft werden, weshalb hier erst 2025 Vollständigkeit zu erwarten ist. Die umstrittene Level-Zuordnung wird vom Bundesgesundheitsministerium erst für das vierte Quartal dieses Jahres angekündigt.

Studien zeigen: Sterblichkeit könnte sinken, wenn in spezialisierten Kliniken behandelt wird

Warum sind diese Informationen wichtig für Patientinnen und Patienten?

Wissenschaftliche Studien zeigen: In Deutschland könnten jedes Jahr tausende Todesfälle vermieden werden, wenn Patienten in einer spezialisierten Klinik behandelt werden. Allein bei den Schlaganfällen könnten 5000 Todesfälle pro Jahr vermieden werden; bei Brustkrebs sei die Sterblichkeit um 25 Prozent niedriger, wenn die Behandlung in einer spezialisierten Klinik erfolge.

„Spezialisierung rettet Menschenleben“, sagt Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bei der Vorstellung des Klinikatlasses in Berlin. Ein Beispiel aus der Region: Im Raum Köln bieten 93 Krankenhäuser eine Brustkrebsbehandlung an, aber nur elf von ihnen sind als spezialisierte Klinik von der Deutschen Krebsgesellschaft zertifiziert. Über die Filterfunktion des Atlasses lässt sich das mit einem Klick herausfinden.

Woher kommen die Daten für das Portal?

Die Krankenhäuser müssen die notwendigen Angaben ermitteln und weitergeben. Weitere Daten kommen unter anderem von den Landesverbänden der Krankenkassen und Ersatzkassen sowie Fachgesellschaften und Zertifizierungsstellen. Zusammengefasst und visuell aufbereitet werden die Daten dann vom Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG).

Neu erhoben werden müssen die Daten nicht: Ein großer Teil davon stammt aus Abrechnungen, die ohnehin beim IQTIG eingehen. Auch Komplikationsraten wurden bislang schon übermittelt - aber nicht veröffentlicht.

Patientenschützer befürchtet Diskriminierung von Senioren

Wer kritisiert den Bundesklinikatlas und warum?

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz in Dortmund bemängelt, dass sich Krankenhäuser nicht allein an der Beschäftigtenzahl und der Häufigkeit der Behandlungsfälle sowie der Komplikationsrate bewerten ließen. So weist Vorstand Eugen Brysch auf Anfrage darauf hin, dass ältere Patienten beispielsweise häufiger unter Komplikationen litten als jüngere. Um die Komplikationsrate zu drücken, könnten die Kliniken versucht sein, bevorzugt „jüngere, erfolgsversprechende Patienten“ aufzunehmen. „Die Folge wäre die Diskriminierung von alten, chronisch kranken und pflegebedürftigen Menschen“, so Brysch.

Auch sei noch unklar, wie die Zuordnung zu Leistungsgruppen erfolgt, in welche die Fallzahlen ab Oktober unterteilt sein sollen, kritisiert das Gesundheitsministerium NRW. Man befürchtet, dass der Klinikatlas eine Zuweisung vorwegnähme, noch ehe der Prozess der Einteilung in NRW abgeschlossen sei.  „Dies würde nicht nur den Versuch eines Eingriffs in die Planungshoheit der Länder darstellen, sondern auch zu weniger Transparenz für die Patientinnen und Patienten führen“, so Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) in einem Statement. Zudem habe man Bedenken, der Klinikatlas könne zusammen mit der Meldepflicht der Krankenhäuser zu Doppelstrukturen und einem „zusätzlichen hohen Bürokratieaufwand“ führen.

Krankenhausgesellschaft bezeichnet Atlas als „politischen Aktionismus“

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) bezeichnet den Klinikatlas gegenüber dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ als „politischen Aktionismus auf Kosten des Steuerzahlers“. Mit dem Deutschen Krankenhausverzeichnis habe die DKG seit Jahrzehnten einen Klinik-Atlas angeboten, „in dem sich alle Informationen über Behandlungsqualität, Fallzahlen, Personalausstattung, Komplikationsraten und vieles mehr der einzelnen Krankenhäuser laienverständlich online finden lassen“, so der Vorsitzende Gerald Gaß. Das Verzeichnis sei bis vor wenigen Wochen auf der Gesundheitsinformations-Website des Bundesgesundheitsministeriums eingebunden gewesen. „Leider hat das Lauterbach-Haus den Vertrag im vergangenen Jahr mit Verweis auf fehlende Haushaltsmittel gekündigt.“

Die Länder haben beim Transparenzgesetz auch deshalb bislang gebremst, weil sie fürchten, dass einige Kliniken, die im Atlas nicht so gut abschneiden, von den Patientinnen und Patienten künftig gemieden werden - was durchaus in Lauterbachs Sinne ist: Schließlich will er die Kliniken zu einer größeren Spezialisierung motivieren.

Worauf sollten Patienten achten?

Das Gesundheitsministerium NRW warnt auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor allem davor, die für Ende des Jahres angekündigte Levelzuordnungen überzubewerten. „Nur auf die Level zu schauen, ist trügerisch.“ Unikliniken würden sämtliche Level erfüllen, kleinere, spezialisierte Krankenhäuser nur wenige. „Dadurch kann fälschlicherweise der Eindruck entstehen, das seien schlechtere Krankenhäuser. Aber Krankenhäuser sind nicht schlechter, weil sie sich auf spezifische Leistungen konzentrieren – gerade dadurch entsteht ja Expertise.“ (mit afp)

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