„Uns Sproch es Heimat“Dialekte im Kreis Euskirchen sind lebendige Forschungsobjekte

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Sprachwissenschaftlerin Verena Krautwald hält einen Vortrag. Hinter ihr wird über einen Beamer eine Skizze der Dialektgebiete im Rheinland an die Wand projiziert.

Den „Rheinischen Fächer“, der Dialektgebiete der Region bezeichnet, erklärte LVR-Sprachwissenschaftlerin Verena Krautwald.

Dialekt zu sprechen galt vor einigen Jahrzehnten auch im Kreis Euskirchen als Zeichen geringer Bildung. Das hat sich deutlich verändert.

Das Ripuarische, die Dialektlandschaft des Rheinlands bis weit in die Eifel, und hier speziell die historischen Varianten in der Zülpicher Börde, waren Thema eines Vortrags im Kulturhof Velbrück in Metternich. Am Ende war klar: Erforschen kann man viel, doch die Dynamik der Sprachentwicklung ist immer einen Schritt voraus.

Und weil die Forscher um Verena Krautwald, wissenschaftliche Referentin des Sprachenteams des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte, das wissen, haben sie ein Sprachportal eingerichtet. Dort kann man Dialektausdrücke finden, die die Alltagssprache bis heute in der Region prägen – und sie ins Hochdeutsche übersetzen lassen. Im Duden findet man solche sprachlichen Kuriosa in der Regel nicht.

In Metternich wurde der Frage nachgegangen, was Dialekte sind

Doch was sind Dialekte? Was sind die Ripuarischen Dialekte? Und was ist der „Rheinische Fächer“? Diese Fragen beantwortete Linguistin Krautwald zu Beginn ihres Vortrags. Im Wesentlichen sind damit die anhand von Merkmalen erkennbaren, regional eingegrenzten, sich an den Rändern aber überschneidenden Sprachgemeinschaften zwischen Rheinland und Eifel gemeint. Es ist ein sich dynamisch änderndes Sprachkontinuum, das im permanenten Wandel ist.

Allgemein verständlich waren und sind Dialekte in Deutschland nie. Seit Martin Luthers Bibelübersetzung und dem Aufkommen des Buchdrucks als Vervielfältigungsmedium wurde daher das Hochdeutsche als übergreifende Normsprache immer wichtiger und schließlich auch verbindlich.

Wissenschaftlerin stellte Besonderheiten aus Zülpich vor

Der Sprachwissenschaftler Johann Arnold Georg Wenker, so Verena Krautwald, habe zwischen 1877 und 1887 mithilfe eines Fragebogens in den Schulen der Zülpicher Börde die sprachlichen Besonderheiten des eigentlich nur mündlich überlieferten Dialekts der Region schriftlich erfasst. Er gab in Hochdeutsch geschriebene Modellsätze vor, die von den Klassen in den Dialekt übersetzt wurden. Die Fragebögen mit den Antwortsätzen gingen per Post zurück an Wenker, der daraus den ersten Sprachatlas einer Dialektlandschaft erstellen konnte.

Aus Zülpich, Vettweiß, Friesheim und Müggenhausen stellte Linguistin Krautwald Beispiele der damals festgestellten Sprachbesonderheiten vor – auch wenn viele heute nicht mehr gesprochen werden oder als veraltet gelten. Abwandlungen von Worten wie „immer“ oder „böse“ etwa. „Immer“ wurde damals in Vettweiß und Zülpich zu „emmer“, in Friesheim zu „lute“ und in Müggenhausen zu „lutter“. „Böse“ wiederum wandelte sich zu „kott“.

Im Kreis Euskirchen gibt es eine selbstbewusste Zweisprachigkeit

In der anschließenden, lebhaften Diskussion wurde deutlich, dass der Dialekt auch heute lebendig ist, ebenso der Regiolekt, das Mittelding zum Hochdeutschen – auch „Kölsch mit Knubbelen“ genannt. Man ist als geborener Ripuarisch Sprechender aus sprachwissenschaftlicher Sicht immer auch ein Koronalisierer: Man spricht das weiche „sch“, meint aber das spitze „ch“.

Noch vor wenigen Jahrzehnten galt, wer Dialekt, aber nichts anderes kann, als ungebildet. Daran konnten sich einige der älteren Zuhörer im Kulturhof lebhaft erinnern. Heute gilt eher eine selbstbewusste Zweisprachigkeit. In der Sprachgemeinschaft wird „jekallt“, wie man es gewohnt ist, außerhalb davon „gesprochen“.

Es war ein unterhaltsamer Vortrag im Kulturhof Velbrück, wo die Veranstaltung Teil des auf drei Jahre angelegten Leader-Projektes „Uns Sproch es Heimat“ ist. Am Ende warb Verena Krautwald um Unterstützung bei der weiteren Auswertung der 44.251 Wenker-Fragebögen. Die seien im alten Kurrent geschrieben, was im jungen Forscher-Team des LVR offenbar kaum jemand richtig entziffern könne. Wer helfen will, kann auf der „Wenkerbogen-App“ der Universität Marburg Transkriptionshilfe leisten oder Beispielfragebögen finden.

Und wer im Alltag wissen möchte, was ein dialektaler Ausdruck aus dem Ripuarischen auf Hochdeutsch bedeutet, findet möglicherweise Antworten auf dem Sprachportal des LVR.

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