„Ich kann Kanzler“Germany’s Next Superkanzler

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Kamen ins Finale von "Ich kann Kanzler!": Die Show-Kandidaten Nuray Karaca (l-r) aus Wiesbaden, Delano Osterbrauck aus München, Antje Krug aus Bad Salzungen, Siegfried Walch aus Inzell, Jacob Schrot aus Brandenburg/Havel und Philip Kalisch aus Hamburg. (Bild: dpa)

Kamen ins Finale von "Ich kann Kanzler!": Die Show-Kandidaten Nuray Karaca (l-r) aus Wiesbaden, Delano Osterbrauck aus München, Antje Krug aus Bad Salzungen, Siegfried Walch aus Inzell, Jacob Schrot aus Brandenburg/Havel und Philip Kalisch aus Hamburg. (Bild: dpa)

Auch wenn es das ZDF niemals zugeben würde: „Ich kann Kanzler!“ ist ein Casting-Format. Die Show wildert im Gehege des Privatfernsehens, kupfert zwei bis drei brauchbare Ideen aus „DSDS“ und Heidi Klums alljährlicher Kleiderständersuche ab und verpasst dem Ganzen einen seriösen Anstrich aus dem Eimer mit der Bildungsauftrag-Farbe. Gesucht wird das junge Politiktalent, das sich den Job des deutschen Regierungschefs zutraut; den Einzug ins Finale haben zwei Kandidatinnen und vier Kandidaten im Alter zwischen 18 und 31 geschafft – gleich geht’s los…

21.12 Uhr: In der Jury sitzen: Anke Engelke, Komikerin; Henning Scherf, SPD, ehedem Bürgermeister von Bremen und jetzt Darsteller des Elder Statesman; Günther Jauch, eingekauft als Günther Jauch, also als universeller deutscher Gesamtliebling.

21.13 Uhr: Praktisch auch, dass Jauchs Firma „I & U TV“ die ganze Angelegenheit produziert – da hat er auf alle Fälle die Kosten im Blick.

21.14 Uhr: Auch voll modern, zumal für ZDF-Verhältnisse: Unter www.zdf.de wird „Ich kann Kanzler!“ auch live im Internet gestreamt.

21.15 Uhr: Moderator Steffen Seibert freut sich über den Applaus: „Das ist man bei den Nachrichten nicht gewohnt.“ Dann wendet er sich an Henning Scherf: „Haben Sie bei den Kandidaten den Stoff gespürt, aus dem Politiker sind?“

21.18 Uhr: Als Preis für den Gewinner ausgelobt: ein Praktikum im Berliner Regierungsviertel und ein Monatsgehalt des Regierungschefs; rund 18.000 Euro verdient ein deutscher Kanzler – vor Abzug der Steuern.

21.20 Uhr: Kurze Zwischenbemerkung: Die sprachliche Verknappung im Sendungstitel ist natürlich nicht schön, sondern eher: Grütze. Da hat die BILD-Zeitung mit ihrem „Wir sind Papst!“ doch einiges versaut.

21.24 Uhr: Begrüßung der sechs Finalisten. „Ihr habt schon zwei Tage zusammen in Bonn verbracht, jetzt seid ihr zwei Tage in Berlin“, merkt Herr Seibert an – da ziehen RTL und ProSieben ihre Castings aber mehr in die Länge.

21.26 Uhr: Erster Bewerber im Finale: Delano Osterbrauck, 18, Schüler aus München. Ist SPD-Mitglied. Allein das verdient Respekt, mittlerweile ja nicht nur in Bayern. Hat 45 Sekunden Zeit für seine Bewerbungsrede. Endet fast sekundengenau. Trägt seine Worthülsen so charmant wie routiniert vor, hat sie erdbebensicher miteinander verschraubt.

21.30 Uhr: „Ich mag ihn“, sagt Herr Jauch, „aber ich möchte mal sehen, wie er seine Thesen im Kommunalwahlkampf anbringt, beim Bierpreis auf der Wies’n.“

21.33 Uhr: Kandidat Nummer zwei: Siegfried Walch, 25 aus Inzell. Besitzt in diesem zarten Alter bereits zwei Autohäuser. Wie er an die gekommen ist, verrät der Einspielfilm – ganz nach RTL-Muster gestrickt – leider nicht.

21.35 Uhr: Der Walch Siggi endet auf „…damit sich Leistung wieder lohnt“. Beklagt die Steuerungerechtigkeit. Wenn das der politische Nachwuchs ist, behalten wir lieber die, die wir schon haben. Aufdringliches Crossover aus Guido Westerwelle und Friedrich Merz. Wenn auch mit bayerischem Zungenschlag.

21.37 Uhr: Kurze Zusammenfassung dessen, was Herr Walch möchte: christliches Wertebild als Fundament der Gesellschaft, vereinfachtes Steuersystem, das möglichst auf einen Bierdeckel passt.

21.40 Uhr: Bewerber Nummer drei: Philip Kalisch, 30, aus Hamburg. Im Hintergrund läuft ein sehr schöner Song von Kettcar, „Landungsbrücken raus“. Relevante Pop- und Rockmusik, läuft sonst so gut wie nie im ZDF.

21.41 Uhr: Uhr Hängt alten Ideen nach, träumt vom Sozialstaat de luxe, der Herr Kalisch. Möchte kostenlose Bildung und bessere Kinderbetreuung. „Sie sind bei der SPD?“, suggestivfragt Herr Jauch, „im nächsten Leben möchte Frau von der Leyen mit Ihnen sieben Kinder!“

21.46 Uhr: Wer von den ersten drei Bewerbern weiterkommt, entscheidet das Studiopublikum. „Im Publikum haben wir alles dabei“, erklärt Herr Seibert, „die katholische Alleinerziehende und auch die fünf Prozent schwulen Pärchen.“

21.48 Uhr: Es scheidet aus: Delano Osterbrauck; er kann sich jetzt getrost auf das wirkliche Leben konzentrieren. Schwein gehabt. Mit über 50 Prozent der Stimmen weiter: Philip Kalisch, St. Pauli- und Hafenstraße-Charme rules, so, scheint’s.

21.52 Uhr: So sieht es also aus, das Potenzial, dass sich unter Migrantenkindern findet: Nuray Karaca, 18, aus Wiesbaden. „Integration funktioniert nicht ohne Bildung“, sagt sie. Recht hat sie. Jeder Wette aber, dass der bodygebuildete Trainingshosenträger, der gerade mit seinem Kampfhund Gassi geht – egal, ob mit oder ohne Migrationshintergrund – das „voll krass inkorrekt“ findet. Sympathisch, dass Nuray Karaca ziemlich aufgeregt wirkt und ihren Text mit Bibbern in der Stimme aufsagt.

21.56 Uhr: Eine interessante Kandidatin: Antje Krug, 31, aus Bad Salzungen, allein erziehende Mutter von vier Kindern, Restaurantfachfrau, Hartz IV-Empfängerin, es gilt: 1.600 Euro für alle.

22.00 Uhr: Hat fraglos kein ganz leichtes Leben, die Frau Krug. Spricht weitgehend ohne Politiker-Stanzen und von „materieller und Gefühlsarmut“ in Deutschland.

22.02 Uhr: Kandidat Nummer sechs: Jacob Schrot, 18, Abiturient aus Brandenburg an der Havel, CDU-Mitglied. Hat bereits 16 Ehrenämter inne. „Wir sind froh, dass Sie trotzdem heute Abend Zeit hatten“, merkt Herr Seibert an.

22.05 Uhr: „Gemeinsam für Deutschland, für ein starkes Deutschland“, endet Herr Schrot. Perfekte Phrasendreschmaschine, diesbezüglich ist kaum Luft nach oben. Hat statt Postern oder Bildern politische Leitartikel und Fotos von Ex-Kanzlern an den Wänden seines heimischen Zimmers. Da kommt jede Hilfe zu spät.

22.09 Uhr: Das Saalpublikum wählt Antje Krug ab. War wohl zu viel echtes Leben und erlebter Alltag dabei. Herr Schrot erhält sagenhafte 71 Prozent. Was ob seines forschen Auftritts nachvollziehbar und fürchterlich zugleich ist.

22.12 Uhr: Launiger Einspieler von Versprechern und Blackouts von Politikern. „Ich weiß was es heißt, Mutter von drei Kindern zu sein“, radebrecht Edmund Stoiber, ehedem – immerhin gewählter – König von Bayern.

22.16 Uhr: Die Jury stellt politische Fachfragen. Zwei davon gehen so: „Wie viel Kindergeld gibt’s für das erste und zweite Kind?“ und „Wer spielt nach dem Bundespräsident protokollarisch die zweite Geige?“

22.20 Uhr: Die verbliebenen vier Finalisten wissen in der Regel besser Bescheid als Politiker aus dem aktuellen Bundestag.

22.25 Uhr: Jetzt wird’s lang und schmutzig. Fotoshooting, Beratung durch eine Werbeagentur, Wahlkampfslogan ausdenken, Luftballons, Fähnchen und Kulis verteilen. Jacob Schrot geht mit „Machen statt Meckern!“ in die bundesdeutschen Fußgängerzonen.

22.29 Uhr: Herr Walch fordert: „Einfach & gerecht: Steuern runter!“ Daneben spielt der Bierdeckel die Hauptrolle. Wie öde. So öde wie viele echte Politiker. Nuray Karaca wuchert indes mit ihrem Migrationshintergrundpfund: „Bunt ist besser!“ – derweil Herr Kalisch sich mit „Macht Kinder. Baut Schulen.“ am Potsdamer Platz abmüht.

22.33 Uhr: Kurze Durchsage an Herrn Kalisch: Gesichtstapete ist privat okay, aber Kanzler mit Vollbart geht nicht; das hat die deutsche Geschichte gezeigt. File under: Rudolf Scharping, Kurt Beck.

22.37 Uhr: Das Studiopublikum wählt erneut. Das Ergebnis: Siegfried Walch hat jetzt wieder reichlich Zeit für seine zwei Autohäuser. Nuray Karaca kommt knapp weiter – obwohl sie auf ihrem blau eingefärbten Wahlplakat aussieht wie die lange verschollene geglaubte Schwester von Mork vom Ork. Jacob Schrot nickt sogar zackiger als die meisten andern Menschen. Unsympathisch.

22.42 Uhr: Diskussionsrunde, die Fragen stellt die Jury: „Sollen homosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen?“ „Soll die Türkei in die EU? Interessant, dass Frau Karaca die Türkei auf einem guten Weg sieht, aber die Zeit für eine Aufnahme noch nicht gekommen sieht.

22.45 Uhr: Brisante und berechtigte Frage, die Herr Jauch da aufwirft: „Sollte Herr Seehofer Antworten zu seinem Privatleben und seinen Liebesdingen geben?“

22.48 Uhr: War vorher klar, ist aber trotzdem schön im Rahmen einer Casting-Show: kein Bohlen, kein Marco Schreyl, es wird nicht gesungen, es gibt keine „Challenge“ und kein „Fotoshooot“ und keine schrill-quietschende Heidi Klum. Dankbarkeit macht sich breit und breiter.

22.50 Uhr: Nachtrag zu 22.48 Uhr: Obwohl’s im ZDF ist, moderiert Kerner nicht. Herrlich!

22.54 Uhr: Fragerunde zum „politischen Riecher“: Wie viel Prozent der Zuschauer im Studio haben eine Deutschlandfahne?“ Herr Seibert lehnt sich für einen Nachrichtenmoderator angenehm weit aus dem Fenster: „Ich hab mal in Deutschlandbettwäsche schlafen müssen, das war eine Scheußlichkeit.“

22.56 Uhr: Das waren’s nur noch zwei: Das Studiopublikum wählt Nuray Karaca ab, im Finale stehen Jacob Schrot und Philip Kalisch. Herr Schrot fährt zuverlässig die höchsten Prozentzahlen ein; mal sehen, wie die Fernsehzuschauer das finale Duell entscheiden werden.

23.00 Uhr: Herr Jauch fordert einen „Ende des Schmusekurses“ zwischen den beiden Finalisten und hält Herrn Schrot für unangepasst. Mal liegt er also richtig, der Herr Jauch – und mal nicht.

23.05 Uhr: Peter Frey vom ZDF-Hauptstadt-Studio nimmt die beiden Kanzler-Azubis ins Kreuzverhör, Thema „Studiengebühren, Bildungsmisere, Studienzeiten, Abi in acht Jahren“. Undsoweiterundsofort.

23.09 Uhr: Herr Jauch spricht von der „Konvergenz der Großparteien“ (sofern die SPD noch eine Großpartei ist) und sieht diese Form der Einigkeit auch bei den beiden Kontrahenten.

23.12 Uhr: Einminütiges Plädoyer der beiden Finalisten. Jetzt kann per TED abgestimmt werden. Die Leitungen sind drei Minuten geöffnet, der Anruf kostet 14 Cent. Bei den Privaten dauert die Prozedur länger und ist teurer.

23.17 Uhr: „Ich bin ganz erkennbar nicht Heidi Klum, wir werden das jetzt nicht ziehen, sondern das Ergebnis bekannt geben.“ Und ebenjenes lautet: 72,6 Prozent für Jacob Schrot.

23.19 Uhr: Herr Seibert hat solide und unfallfrei moderiert, Herr Jauch war der Einzige in der Jury, der nicht ausschließlich milde und handzahm gestimmt war. Jacob Schrot, Germany’s Next Superkanzler in Wartestellung, sei folgendes Buch von Dr. Udo Brömme, dem Fake-Politiker aus der „Harald Schmidt Show“ zu seligen Sat.1-Zeiten, anempfohlen. Es trägt den zeitlos schönen Titel: „Zukunft ist gut für alle!“ (Untertitel: „Geheimrezepte eines Premium-Politikers“).

Na dann: bis dann.

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