„Keiner will mit mir Sex...“

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Viele Jugendliche träumen von der großen Liebe. Aber was, wenn alle Freunde schon längst die ersten Partner haben und man ist immer noch allein? Oft stehen persönliche Probleme einer glücklichen Beziehung im Weg.

Viele Jugendliche träumen von der großen Liebe. Aber was, wenn alle Freunde schon längst die ersten Partner haben und man ist immer noch allein? Oft stehen persönliche Probleme einer glücklichen Beziehung im Weg.

Unsere Medien sind von sexuellen Anspielungen geradezu überflutet. In unserer Gesellschaft dreht sich alles um „Sex“ - das Thema Nummer eins, das bei möglichst jeder Gelegenheit immer wieder gerne aufgegriffen wird. Besonders unter Jugendlichen ist das Gespräch über das erste Mal, den ersten Kuss, den aktuellen Freund oder die Freundin jedes Mal aufs Neue etwas Aufregendes. Viele, besonders Jungs, versuchen bei Freunden Eindruck zu schinden, indem sie mit ihren - vorhandenen oder erfundenen - sexuellen Erfahrungen prahlen - Bett-Experten quasi.

Doch was ist, wenn jemand auch bis ins Erwachsenenalter keinerlei sexuelle Erfahrungen gemacht hat? Wie fühlt sich jemand, der noch keine innige Beziehung erlebt hat, die auf gegenseitigem Vertrauen, Zuneigung, Zärtlichkeitsaustausch und sexueller Aktivität beruht? Diese Menschen, die sich oft hilflos, einsam und aus der Gesellschaft ausgeschlossen fühlen, nennen sich „Absolute Beginners“ (englisch), angelehnt an ein Lied von David Bowie.

Absolute Beginner

Diese Menschen sind keine homogene Gruppe, weshalb es für sie kaum Anlaufstellen oder Selbsthilfegruppen gibt. Sie haben sich aber in diversen Internetforen gefunden, wo sie sich anderen gegenüber öffnen und mit Gleichgesinnten über ihre Probleme sprechen können.

Der Begriff „Absolute Beginners“ (AB) meint im Grunde Menschen älter als 20, die noch nie eine Liebesbeziehung hatten oder noch Jungfrau sind. Doch auch unter Jugendlichen gibt es das Problem der sexuellen Unerfahrenheit, das sich oft auch mit zunehmendem Alter nicht ändert. Die Kölner Sexualtherapeutin Andrea Schaal erklärt dieses Phänomen folgendermaßen: „Der junge Mensch ertastet durch Flirten und sexuelle Angebote seinen Stellenwert als Sexualpartner und damit seinen Stellenwert allgemein in der Hierarchie der Jugendlichen im Sinne von »die Besten sind die Begehrtesten«. Mangelnde Angebote, Ablehnung und daraus resultierende mangelnde Erfahrung kann zu einer negativen Einschätzung des Wertes als Fortpflanzungspartner führen. Der Jugendliche lässt ja die fehlende Erfahrung nicht als solche stehen, sondern interpretiert sie, gibt ihr also eine Bedeutung: »Keiner will mit mir Sex, das bedeutet . . . « Was immer der Jugendliche nun als Bedeutung hier einsetzt, wird sich weiter prägend auf ihn auswirken. Gedanken wie »Ich bin nicht gut genug, ich bin nicht begehrt als Mann / Frau« werden ihre Wirkung nicht verfehlen und in der nächsten Begegnung mit dem anderen Geschlecht das Verhalten beeinflussen, und das meist im Sinne von unsicherem, übertrieben selbstsicherem oder ablehnendem Verhalten. Das, was die Person denkt, wovon sie überzeugt ist und was sie in Zukunft erwartet, wird sich wie eine selbsterfüllende Prophezeiung oft auch einstellen.“

Auch die Omnipräsenz von Sex in den Medien vermittele oft den Eindruck, dass Jugendliche über alles Bescheid wüssten, was aber nicht der Fall sei, so Schaal. So kläre sie 20- bis 40-Jährige in ihrer Praxis grundlegend auf. Sie spricht mit ihnen über Dinge, die Jugendliche meist unter sich austauschen. Allerdings unterlägen viele dem Mythos, alle hätten „Es“ schon getan, was aber nicht immer der Fall sei. Trotzdem lässt sich nur für jeden Menschen individuell klären, warum er keine Erfahrungen sammeln konnte. Jeder „AB“, auch jeder Jugendliche, hat seine eigene Geschichte, seine Ängste und Erfahrungen, die ihn in irgendeiner Weise hemmen, auf das andere Geschlecht zuzugehen und Kontakte zu knüpfen. Oft sind es mangelndes Selbstwertgefühl, körperliche Defizite, Schüchternheit, Kontakthemmung und ungünstige Lebensläufe.

In Internetforen findet man viele verschiedene Geschichten zu diesen Ängsten. Die 19-jährige Lisa zum Beispiel sagt: „Das eigentliche Problem ist nicht das Flirten, sondern dann das Weitergehen.“ Sie erklärt sich das durch ihre Erziehung und ihr Verhältnis zu ihren Eltern. Diese hätten sie immer hinter ihrer Schwester zurückgestellt. In der Schule wurde sie dann wegen nicht modischer Klamotten gemobbt, ihre damals beste Freundin hätte da nach einiger Zeit auch mitgemacht. Angesichts dieser Erfahrungen versteht man, dass Lisas Selbstwertgefühl sehr gelitten hat und sie Angst hat, dass sich Partner gegen sie wenden könnten oder sie Erwartungen des Gegenüber nicht erfüllen kann.

Es ist wie ein Teufelskreis, der sich nur schwer durchbrechen lässt. Viele Jugendliche gehen schon früh davon aus, dass sie ihr Leben lang alleine bleiben werden. So findet man in den Foren Einträge wie, „Ich bin auch noch relativ jung, 23, aber trotzdem hatte ich schon seit ich 15 bin das Gefühl, dass ich wohl ewig alleine bleiben werde. Das hat sich bis jetzt auch bestätigt.“

Andrea Schaal geht davon aus, dass Sexualität einhergeht mit dem Gefühl, geliebt zu werden. Wenn sexueller Austausch nicht vorhanden sei, oder Sex sich nur in Fantasie abspiele, dann müsse dieser Mensch Liebe und Anerkennung aus eigener Kraft schöpfen, was mit großen Schwierigkeiten verbunden sei. Oft kann da nur Hilfe von außen einen Ausweg bieten.

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