Robert Ley„Klein, stiernackig und stotternd“

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Ludwig Neuber las bei der Vorstellung des Buches von Karl Schröder in der vollbesetzten „Arche“ in Ruppichteroth. BILD/ REPRO: JULIA HOHENADEL

Ludwig Neuber las bei der Vorstellung des Buches von Karl Schröder in der vollbesetzten „Arche“ in Ruppichteroth. BILD/ REPRO: JULIA HOHENADEL

Ruppichteroth / Siegburg – „Der Jude ist ein Bazillus mit Menschengesicht und deshalb ist er der gefährlichste Feind der zivilisierten Menschheit“, hetzte der „Westdeutsche Beobachter“ am 11. November 1938. Herausgeber der Brandschriften: Robert Ley. Der Leiter der Deutschen Arbeitsfront war einer der führenden Politiker zur Zeit des Nationalsozialismus.

Mit Akribie und Hingabe hat sich der Ruppichterother Archivar Karl Schröder auf die Spuren des gebürtigen Nümbrechters Ley begeben, der jahrelang in Ruppichteroth zur Schule ging und der Region stets eng verbunden war. „Aufstieg und Fall des Robert Ley“ heißt das 367 Seiten starke Werk, das Schröder im Vorfeld jahrelange Recherchearbeit, zahllose Archiv-Anfragen und Gespräche mit Zeitzeugen kostete. Herausgegeben vom Ruppichterother Bürgerverein, umfasst die Biografie auch Material des Porsche-Archivs, des Nationalarchivs in Washington und des nordrhein-westfälischen Staatsarchivs.

Trotz einer mehr wissenschaftlichen Herangehensweise samt Fußnoten und Querverweisen kann sich der Leser dem bedrückenden Thema kaum entziehen: Schröder vollzieht nach, wie sich Ley, getrieben vom „abgrundtiefen Hass auf die Juden“, als Chemiker bis in den engsten Dunstkreis Adolf Hitlers hochdient. Später wird Ley bei den Nürnberger Prozessen als Kriegsverbrecher angeklagt. Noch vor Prozessbeginn begeht er Selbstmord. Doch wie wurde aus dem zunächst so hoffnungsvollen jungen Mann ein fanatischer Antisemit? Wie konnte Ley, der in frühen Jahren als „kleiner, stiernackiger, stotternder Mann“ und „sonderbare Type“ (Joseph Goebbels über Robert Ley) abgetan wurde, zu einem der wortgewaltigsten Meinungsmacher aufsteigen?

Zu Zeiten seines Schulbesuchs in Ruppichteroth bescheinigten ihm Lehrer eine gute Führung und tadellose schulische Fortschritte. Ein Mentor setzte sich für den weiteren Schulbesuch des Jungen ein - ein Plan, der das wenige Haushaltsgeld der verarmten Mutter zusätzlich strapazieren sollte. Dennoch stimmt Mutter Emilie einer akademischen Laufbahn zu. Sie setzt große Hoffnungen in das siebte ihrer elf Kinder. Tatsächlich wird ihr Robert eines Tages bekannt - berühmt und berüchtigt, betätigt sich als Autor volksverhetzender Schriften und als flammender Redner. Biograf Schröder kann sich eines klaren Kommentars an einigen Stellen nicht enthalten: „Das wohl widerwärtigste antijüdische Pamphlet“ habe Ley herausgeben: „Als die Verschleppung und Ermordung der deutschen und europäischen Juden bereits im Gange war, ließ Ley den 'Pesthauch der Welt' veröffentlichen, ein Machwerk, das 1944 erschien.“

Dennoch deckt der Autor biografische Daten auf, die womöglich Hinweise liefern auf den Ursprung des blinden Hasses: Der ehemals wohlhabende Vater Leys wird nach einem Brand auf seinem Bauernhof des Versicherungsbetrugs angeklagt und ins Zuchthaus geworfen. Die Familie lebt allein und an der Armutsgrenze. Im Ersten Weltkrieg zieht Robert als Freiwilliger in die Schlacht von Verdun, gerät in Gefangenschaft und kehrt erst spät mit Kopf- und Beinverletzungen heim. Die Ehe mit seiner ersten Frau Elisabeth geht in die Brüche, seine zweite Frau Inga erkrankt an Depressionen und erschießt sich im eigenen Schlafzimmer. Schon zuvor leidet Ley selbst an Alkoholsucht, er lispelt und stottert. Die Biografie des großen Agitatoren wird aus der Feder von Karl Schröder zum Resümee einer gebrochenen Persönlichkeit, die im propagandistischen System Halt und Bestätigung fand. Überdies entwirft Schröder ein überaus exaktes Bild der historischen Geschehnisse zwischen Eitorf, Waldbröl, Ruppichteroth und Nümbrecht - Recherchearbeit, die weit über eine Biografie hinausgehen. Vor diesem umfassenden heimatkundlichen Hintergrund wird „Aufstieg und Fall des Robert Ley“ zu einem unbedingt lesenswerten und sorgfältig recherchierten Zeitzeugnis regionaler Geschichte.

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