Die Wahrheit des Harun Yahya

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Der Angriff auf die Naturwissenschaft hat Gewicht: Etwa sieben Kilo schwer und mehr als 800 Seiten dick ist der „Atlas der Schöpfung“. Er wurde an Kölner Biologie- und Philosophielehrer verschickt. Absender des teuren Geschenks ist Adnan Oktar, der unter dem Pseudonym Harun Yahya mit Büchern und Filmen die Welt bekehren will. Die Botschaft seiner „Einladung zur Wahrheit“ lautet: Die Evolutionstheorie ist Betrug, die „göttliche Schöpfung“ eine „Tatsache“.

Oktar ist einer der umtriebigsten Vertreter des so genannten Kreationismus. Fundamentalistische Christen, Juden und Moslems werben für die wörtliche Auslegung der heiligen Schriften und ihrer Schöpfungsgeschichten. In Amerika hat die Bewegung zurzeit Rückenwind. Dort sind es radikale Protestanten, die den Kreationismus in Lehrbüchern der Schulen und Universitäten verankern wollen. Adnan Oktar zitiert den Koran und wirbt für die islamische Variante dieses Schöpfungsfundamentalismus.

Der „Atlas der Schöpfung“ ist sein Meisterstück: ein aufwendiger Band mit fantastischen Fotos von Fossilien auf Hochglanzpapier. Das Wissenschaftsmagazin „Science“ schrieb über die englische Ausgabe, sie sei „die hinreißendste Attacke auf die Evolution seit langer Zeit“. Keiner weiß, wie viele Millionen sich der reiche Mann aus Istanbul seine Mission kosten lässt. Der Vertrieb der Bücher ist perfekt geplant. Alle angeschriebenen Kölner Lehrer erhielten das Buch am selben Tag. Absender war die Düsseldorfer Firma „Weltlog Ltd.“, die bei einem Speditionsunternehmen eine Lagerfläche gemietet hatte. Die Firma ist spurlos verschwunden, berichtet der Schichtleiter der Spedition. Die Frankfurter Okusan GmbH, die auf Oktars Internetseiten als Vertriebspartner genannt wird, bestreitet, irgendetwas mit der Aktion zu tun zu haben, für die offenbar die Lehrernamen auf den Homepages aller Schulen zusammengesucht worden sind. Man führe den Atlas gar nicht. Fragen solle man in Istanbul stellen.

Doch dort kommt man nicht weiter. Schriftliche Anfragen werden mit dem Verweis auf die Internetpräsenz des Autors beantwortet. Fragen nach Finanzierung, Aufwand und Vertrieb werden aber auch dort nicht beantwortet. Stattdessen äußert sich Oktar dazu, „ob jemand, der zur Hölle fährt, jemals wieder herauskommt“.

Der Versand des Atlas hat in den Kölner Lehrerzimmern für heftige Diskussionen gesorgt. „Beunruhigend ist, mit welcher Raffinesse das alles umgesetzt wurde“, sagt Herbert Kalter, stellvertretender Leiter des Montessori-Gymnasiums. „Da ist offenbar viel Geld im Umlauf, um die Wissenschaft kaputtzureden“, sagt Jörg Klusemann, Biologie- und Chemielehrer am Neuehrenfelder Albertus-Magnus-Gymnasium. „Blanker Unsinn“, sei das, was der Atlas vermitteln wolle, sagt Gerhard Weber vom Gymnasium Rodenkirchen. Er fürchtet, dass angesichts der Komplexität der Naturwissenschaften „einfache Antworten“ zunehmend Anhänger finden.

Wenn Kinder und Jugendliche das Buch durchblättern würden, dürfte es durch seine prächtige Aufmachung Eindruck hinterlassen. Der Atlas zeigt Fossilien von Wolfsschädeln, Fischen, Insekten oder Hyänen, um immer die gleiche Botschaft zu vermitteln: Seit Millionen Jahren hat sich nichts verändert. Eine Entwicklung hat nicht stattgefunden. „Das kommt alles sehr glaubhaft rüber“, sagt Biologie-Lehrer Klusemann. „Das Buch vermittelt den Eindruck, es basiere auf wissenschaftlichen Grundlagen, die dann aber komplett angezweifelt werden.“ Naturwissenschaftler würden als Menschen dargestellt, die durch falsche Theorien „verblendet“ seien.

Tatsächlich geht Oktar noch darüber hinaus: Im Anhang des Schöpfungs-Atlas werden die verblendeten Naturwissenschaftler Teil jener Mächte, die den guten Menschen bedrohen. Der Darwinismus, der bei Oktar mit der modernen Evolutionsbiologie gleichgesetzt wird, und der Materialismus seien „die wahren ideologischen Wurzeln des Terrorismus“. Oktar sieht den Nationalsozialismus genau wie den Kommunismus oder die Anschläge auf das World Trade Center als Folge fehlgeleiteter Wissenschaft. „Ganz gleich welcher Ideologie sie auch anhängen, diejenigen, die auf der ganzen Welt Terror verbreiten, sind in Wahrheit Darwinisten. Der Darwinismus ist die einzige Philosophie, die Konflikten einen Wert beimisst und sie dadurch ermutigt.“ Oktar zeichnet das Bild einer Welt, in der die Tugendhaften den Angriffen der Atheisten ausgesetzt sind.

So spannt der Autor den Bogen vom Millionen Jahre alten Fossilienfund zu einer fundamentalistischen Auslegung seiner Religion. Im Vorwort seines Buches heißt es: „Der Ausweg besteht in einem ideologischen Sieg der Religion über den Unglauben, in der Darlegung der Glaubenswahrheiten und darin die koranische Moral so zu erklären, dass sie von den Menschen begriffen und gelebt werden kann. Es ist klar, dass dieser Dienst in einer Welt, die tagtäglich immer mehr in Unterdrückung, Verderbtheit und Chaos versinkt, schnell und wirkungsvoll durchgeführt werden muss, bevor es zu spät sein wird.“ Sein Werk habe die Führungsrolle bei diesem wichtigen Dienst übernommen.

Berührungsängste mit christlichen Eiferern hat Oktar nicht. „Bei seiner Argumentation schöpft er reichlich aus dem vorhandenen Schrifttum amerikanischer christlicher Fundamentalisten“, analysiert der Verfassungsschutzbericht des Landes Baden-Württemberg 2003. Darin wird der selbst ernannte Idealist in enge Verbindung zur extremistischen türkischen Organisation „Milli Görüs“ gebracht. In der Türkei organisiert die von Oktar 1990 gegründete „Wissenschaftliche Forschungsstiftung“ Tagungen, bei denen sich türkische „Experten“ mit Kollegen aus den USA austauschen. In beiden Ländern versuchen die Kreationisten, staatliche Bildungspolitik zu beeinflussen. Jetzt soll die Mission in Europa weitergehen.

In Frankreich hat die Regierung den „Atlas der Schöpfung“ als „extrem gefährlich“ eingestuft und verboten. Das kam manchem übertrieben vor. Dass in Deutschland aber bislang jede Reaktion ausblieb, finden die beschenkten Lehrer genauso falsch. „Ich wünsche mir eindeutige politische Rückendeckung“, sagt Weber in Anspielung auf die hessische Bildungsministerin Karin Wolff (CDU) die mit dem Vorschlag, die Schöpfungslehre in den Biologieunterricht aufzunehmen, zeitweise das Sommerloch füllte.

Noch nicht einmal die Kölner Bezirksregierung habe nun reagiert, sagt Kalter. Die Schulaufsicht verschicke wegen jeder Kleinigkeit eine Unzahl von E-Mails an die Schulen. Der „Atlas der Schöpfung“ sei ihr bislang keine Erwähnung wert gewesen.

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