Salatbar-Mordprozess„Ein Trauma, das man sich nicht vorstellen kann“

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Supersalad Mord

Der Angeklagte Enes S. (links).

Köln – Der Angeklagte hält den Kopf tief gesenkt, das Kinn auf der Brust. Kein einziges Mal schaut er auf, während erst der Bruder, dann die Mutter, und schließlich der Vater der getöteten Anke Schäfer vor den Richtern aussagen. Es lässt sich nicht erahnen, wie das, was sie sagen, auf ihn wirkt, was ihre Worte in ihm auslösen oder auch nicht.

Es ist nur zu vermuten, dass dem 36-jährigen Mann am Donnerstag in Saal 112 des Landgerichts so deutlich wird wie nie zuvor, was er angerichtet hat an jenem Abend des 22. Juli 2007. Dass er – mutmaßlich in der Absicht, Geld zu rauben – mit elf Messerstichen einen Menschen tötete, der bei Freunden und Angehörigen äußerst beliebt war. Und dass er in diesem Moment eine ganze Familie zerstört hat.

Vollkommene Stille im Saal

Vor allem die Mutter kämpft bis heute sichtlich gegen den seelischen Schmerz. „Darüber hinwegzukommen, ist im Leben nicht möglich, glaube ich“, sagt Marion Schäfer. Immer wieder bricht ihr die Stimme weg. Im Saal herrscht vollkommene Stille. Freunde und Verwandte von Anke Schäfer sitzen im Zuschauerraum, niemand rührt sich, manche haben Tränen in den Augen. „Die 25 Jahre, die wir mit Anke hatten, waren für uns alle eine Bereicherung“, sagt die Mutter. „Wir haben alle von ihr profitiert. Sie war so positiv.“

Anke und ihr Bruder Ralf seien ein tolles Team gewesen, sie hätten die Salatbar nach ihren eigenen Vorstellungen aufgebaut und schon nach kurzer Zeit Erfolg gehabt. „Die Salatbar war ihre gemeinsame Zukunft.“ Erst kürzlich sei nun ihr zweiter Sohn in das Geschäft miteingestiegen. „Jetzt sind er und Ralf das gute Team“, sagt die Mutter. „Wir müssen uns unglaublich glücklich schätzen, dass mein Mann und ich uns zwei haben und unsere Söhne.“ Das helfe durch die schweren Phasen.

Sorglos sei ihre Tochter gewesen, nie ängstlich, bis auf eine Ausnahme: Als Dreijährige hatte sie einen großen Tumor im Körper, musste viele Untersuchungen und Operationen ertragen. „Seitdem hatte Anke eine Phobie vor spitzen Gegenständen, vor allem vor Spritzen“, sagt die Mutter – auch vor Messern, ergänzt der Vater. Er bezeichnet seine verstorbene Tochter als „Wonneproppen“. Jeden Morgen hätten sie telefoniert, sie hätten ein inniges Verhältnis gehabt.

Bruder Ralf fand seine tote Schwester im Kühlraum

Als Ralf Schäfer seine damals fast 25-jährige Schwester Stunden nach der Tat im Kühlraum fand, blass und steifgefroren, rief er als erstes seinen Vater an. „Ich sagte zu ihm, er solle sie zudecken und Hilfe holen“, berichtet Heinz Schäfer. Doch Anke war bereits tot. „Ich rief meine Frau an, sie war im Zug auf dem Weg zu einer Beerdigung. Ich konnte es ihr in dem Moment nicht sagen, ich wusste nicht wie.“ Stattdessen rief der 66-Jährige einen Freund an, bat ihn, seine Frau am Bahnhof abzuholen.

Die ersten Jahre nach dem Tod seiner Tochter bezeichnet der Konditormeister, der in Lingen mit seiner Frau eine Großbäckerei führt, als „dramatisch“. In eindringlichen Worten fährt er fort: „Jede Familienfeier ist seitdem vorbelastet. Anke fehlt überall. Jedes Jahr vor Weihnachten verändert sich meine Frau, erst danach wird es wieder besser.“ Dann brechen die Gefühle aus dem 66-Jährigen Vater des Opfers heraus.

Der Bruder der Verstorbenen schildert, dass er bis heute Schwierigkeiten habe, das Geschäft in der Gertrudenstraße zu betreten. Den Kühlraum habe er inzwischen abgeschafft. „Ich mache mir Sorgen um ihn“, sagt seine Mutter. Als er an jenem Morgen den Kühlraum öffnete, fiel ihm seine erstochene Schwester regelrecht entgegen. Er fragte sie: „Was machst du da?“ Dann versuchte er, sie zu reanimieren. „Das ist ein Trauma, das man sich nicht vorstellen kann“, sagt die Mutter.

Als die drei Zeugen den Saal verlassen haben, wendet sich die Richterin an den Angeklagten: „Sie haben sicher gemerkt“, sagt sie, „dass Sie großes Leid über die Familie Schäfer gebracht haben.“ Doch Enes A. zeigt weiterhin keine Regung.

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