Kandidat für Linken-Vorsitz in NRW kritisiert RTL„Hartz und herzlich ist ekelhaft"

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Sascha Wagner, Politiker der Linken in NRW. 

Düsseldorf – Am 29. Oktober beginnt der Parteitag der Linken in NRW in Kamen. Nachdem die bisherige Parteispitze nicht erneut für den Vorsitz kandidieren will, wird eine Führung gesucht. Sascha Wagner, der acht Jahre Landesgeschäftsführer der Partei war, will jetzt der neue Frontmann der Linken werden. Wie will der 41-jährige aus Wesel die Partei wieder konkurrenzfähig machen? Ein Interview.

Warum haben die Linken bei der Landtagswahl nur 2,1 Prozent der Stimmen bekommen?

Viele Stammwählerinnen und Stammwähler haben sich von uns abgewendet. Wir haben ein erhebliches Mobilisierungsproblem, vielleicht auch wegen innerparteilicher Auseinandersetzungen und ausgesparten Debatten, die dringend notwendig gewesen werden. Aber ich möchte jetzt den Blick nach vorne richten. Die jetzige Krise muss zu unserer Stunde werden – denn wir sind die einzige Partei, die Ängste und Nöte der Bevölkerung aufnimmt. Der seichte Zukunftsvertrag von Schwarz-Grün bietet die besten Angriffsmöglichkeiten für uns. Viel Prosa und Prüfaufträge, wenig Konkretes, was zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Menschen in NRW beitragen wird. Ich stehe dafür, dass wir uns kommunal massiver einbringen als je zuvor und gemeinsame Kampagnenschwerpunkte eruieren. Zum Beispiel beim Klimaschutz.

Alles zum Thema Klimawandel

Linke will mit Klimaschutz punkten

Ist das ein Thema, mit dem die Linke tatsächlich bei den Wählern punkten kann?

Ganz bestimmt, denn der Klimawandel ist auch eine Frage von Arm und Reich, so wie eine sozialökologische Wende eine Frage der Gerechtigkeit ist. Je höher die Einkommen sind, desto höher sind die verursachte Umweltbelastung und der CO₂-Ausstoß pro Haushalt. Den Preis dafür zahlen die Armen, die sich nicht gegen Klimaschäden versichern oder bei steigenden Preisen sich die Energie und das Essen nicht mehr leisten können. Klimaneutralität heißt für uns auch internationale Klimagerechtigkeit. Das bedeutet, dass Deutschland sein CO₂-Budget nicht überziehen darf. Ich werde nicht zulassen, dass Schwarz-Grün sich aus der Verantwortung stiehlt. Rund 30 Prozent aller bundesweiten Emissionen kommen aus NRW.

Die Grünen wollen Lützerath für den Kohleausstieg 2030 opfern. Wie ist ihre Position dazu?

Die bis 2030 im Tagebau Garzweiler noch abzubaggernden 280 Millionen Tonnen Braunkohle überschreiten die mit dem Pariser 1,5 Grad-Klimaziel zu vereinbarenden Mengen um ein Vielfaches. Die Gesamtmenge der zu fördernden Braunkohle muss im Rahmen des 1,5 Grad-Klimaziels begrenzt werden. Mehrere Gutachterinnen und Gutachter bestätigen, dass dies voraussichtlich keinerlei Engpässe in der Energieversorgung zur Folge haben wird. Daher darf kein weiteres Dorf für den Betrieb oder Ausbau des Tagebaus Garzweiler II zerstört werden, auch Lützerath muss bleiben. Zumal Schwarz-Grün beim Klimaschutz längst nicht alle Möglichkeiten ausschöpft.

Was meinen Sie damit?

Beim Klimaschutz sind die Gebäude ein zentrales Handlungsfeld, denn dort fallen 30 Prozent der Treibhausgase an. Doch bislang verläuft die energetische Sanierung viel zu langsam und führt allzu oft zu unsozialen Mietsteigerungen. Auch die Umstellung auf klimaneutrale Wärme muss stark beschleunigt werden. Das Land muss die Kommunen jetzt endlich beim Auf- und Ausbau klimaneutraler Wärmenetze unterstützen, finanziell und planungsrechtlich.

CDU und Grüne wollen jetzt eine Armutskonferenz einberufen – klauen die Mitte-Parteien den Linken die Themen?

Die Frage ist vielmehr: Warum machen sie das erst jetzt? Das Phänomen der steigenden Armutsquoten auch bei Kindern in NRW ist ja nicht neu. Die Tafelschlangen werden länger, wir diskutieren in den Kommunen seit Jahren die Frage, ob es ein kostenloses Mittagessen an Kitas und Schulen geben kann. Auch beim bezahlbaren Wohnraum kommen wir nicht wirklich voran. Schauen Sie mal im Koalitionsvertrag, wie oft das Wort „Armut“ vorkommt. Ich kann keine ernsthaften Bemühungen erkennen, wie gerade die Grünen hier Abhilfe schaffen wollen.

Wie stehen Sie zu TV-Formate wie „Hartz und herzlich“ – wird dort ein authentisches Bild von der Armut in Deutschland vermittelt?

Zunächst mal finde ich derlei private TV-Formate ekelhaft. Sich an dem Elend und Leid der Menschen zu ergötzen und abfällig auf die arme Klasse zu schauen ist ein höchst fragwürdiges Instrument der TV-Unterhaltung. Ich kann nur hoffen, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmern in diesen Sendungen wenigstens gut entlohnt werden. Zur Frage der Armutsentwicklung muss es gut recherchierte Dokumentationen geben, die auf Problematiken hinweisen. Armut ist aktuell in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Preissteigerungen bei Lebensmitteln, Energiepreisexplosionen und mangelnder bezahlbarer Wohnraum treffen immer mehr Menschen, ob sie arbeiten oder nicht.

Linke Butterwegge LTW

Ex-Linken-Spitzenkandidatin Carolin Butterwegge

Wie stehen die Chancen, dass die Linken 2027 ein Comeback in den Landtag schaffen?

Wenn ich das heute beantworten könnte, hätte ich entweder eine Glaskugel oder längst einen Lottoschein ausgefüllt. Aber Spaß beiseite. Natürlich hoffe ich, dass es unserer Landespartei gelingen wird, uns wieder in Richtung fünf Prozent zu entwickeln. Es ist uns ja schonmal geglückt, und auch in 2017 haben wir den Einzug in den Landtag mit nur rund 8400 Stimmen bei 4,9 Prozent knapp verfehlt. Damals war ich Wahlkampfleiter, von daher weiß ich was zu tun ist.

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2010 wurde in NRW über Rot-Rot-Grün verhandelt – ist das für Sie immer noch die bevorzugte Bündnisoption?

Diese Frage entscheiden wir dann, wenn sie ansteht. Die Sozialdemokratie und wechselweise auch die Grünen haben sich in 2017 an dieser Frage so sehr abgearbeitet, dass sie verkannt haben, was notwendig gewesen wäre, um die Rechten im Landtag zu schwächen. Im Grunde ist sind Gespräche über Rot-Rot-Grün nie an uns gescheitert

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