Politikerin Strack-Zimmermann über Hass„Die kotzen ihren Frust ins Netz, drücken auf Enter und erreichen sofort tausende Menschen“

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Marie-Agnes Strack-Zimmermann im Profil: Sie guckt in die Kamera, trägt ihre Haare weiß und kurz und hat ein schwarzes Jackett an, an der eine Ukraine-Brosche befestigt ist.

Die Düsseldorfer FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist Vorsitzende des Verteidigungsausschuss im Bundestag.

Die FDP-Politikerin fordert Waffen für die Ukraine. Sie wird dafür angegriffen, beleidigt und bedroht. Ein Gespräch über Hass und Europapolitik.

Frau Strack-Zimmermann, Sie wurden wegen Ihrer Forderungen nach Waffen für die Ukraine häufig Ziel von Hass im Netz. Wie viel Hetze ist Ihnen da begegnet?

Marie Agnes Strack-Zimmermann: Sehr viel. Es handelt sich bei mir auch um Themen, welche ausgesprochen polarisieren: Schließlich geht es um Krieg und Frieden, um Waffen, letztendlich um die Verteidigung unserer Werte. Mit Menschen, die mich persönlich ansprechen, läuft es gut: Sie sind positiv, haben manchmal Fragen, über die wir uns austauschen. Im Netz sieht das anders aus. Anfangs dachte ich noch, die Kommentare könne man ignorieren. Heute sehe ich das anders: Wer mich grob beleidigt und ernsthaft bedroht, kriegt Post von der Staatsanwaltschaft.

Wie viele Anzeigen schreiben Sie?

Aktuell sind es um die 250 im Monat. Es kommt darauf an, wieweit die Debatte gerade hochkocht.


Zur Person

Marie-Agnes Strack Zimmermann (65) ist Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag und Mitglied im Bundesvorstand der FDP. Sie studierte Publizistik, Politik und Germanistik an der LMU in München und promovierte dort. Seit 1999 ist sie in der Düsseldorfer Kommunalpolitik aktiv, von 2008 bis 2014 war sie Erste Bürgermeisterin der Landeshauptstadt und stellvertretende Oberbürgermeisterin.

2017 zog Strack-Zimmermann in den Deutschen Bundestag ein. Dort setzt sie sich seit Kriegsbeginn für die Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine ein. Bei der Europawahl 2024 tritt sie als Spitzenkandidatin der FDP an. Strack-Zimmermann ist verheiratet und Mutter von drei Kindern.


Was sind das für Nachrichten, die Sie da bekommen?

Es sind Gewaltandrohungen, sexualisierte Sprüche, was Trolle eben so im Netz absondern. Kritik muss man in der Politik selbstverständlich hinnehmen. Das ist klar. Ich rede hier von persönlichen Angriffen, massiven Beleidigungen und bedrohlichen Widerwärtigkeiten. Das lasse ich nicht mehr zu. Ich mache das auch für die, die neu im Parlament sind und sich nicht vorstellen können, was im Netz abgeht.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann: „Die Hemmschwelle ist deutlich gesunken“

Sind Politikerinnen Ihrer Erfahrung nach mehr Hass ausgesetzt als ihre männlichen Kollegen?

Der Hass verteilt sich über alle gleichermaßen. Bei den Kolleginnen kommen allerdings vermehrt sexualisierte Drohungen, widerliche Vergewaltigungsfantasien und Beleidigungen hinzu, die sich plump auf das Äußere fokussieren.

Treffen Sie solche Nachrichten nach so vielen Jahren in der Politik noch?

Ich habe ein ausgesprochen dickes Fell. Hassnachrichten habe ich schon in der Kommunalpolitik bekommen. Ich bin ja ein Mensch, der sich deutlich äußert – da wundere ich mich nicht, wenn mich auch entsprechenden Reaktionen erreichen. Aber die Entwicklung, wie die Sprache immer brutaler wird, macht mir schon Sorgen; wenn die Anzeigen vor Gericht landen, erleben Sie dort Leute, die ein angeblich sehr „bürgerliches“ Leben führen. Dass sie verbal derart entgleisen und einen solchen Hass sähen, das ist wirklich unterirdisch. Die Hemmschwelle ist deutlich gesunken.

Früher mussten Absender von Hassnachrichten ihre Briefe noch händisch adressieren. Wie haben sich der Diskurs und die Debattenkultur verändert?

Mir sind einflussreiche Politiker bekannt, deren an sie adressierte Hasspost ganze Aktenordner gefüllt haben. So etwas gab es schon immer. Aber einen Brief zu schreiben war natürlich aufwändiger. Heute gibt es die eine oder den anderen, die kotzen ihren Frust ins Netz, drücken auf Enter und erreichen sofort tausende von Menschen. Das prägt natürlich die Debattenkultur.

„Wir müssen die Europäische Union und deren Bedeutung auf allen politischen Ebenen viel mehr erklären“

In Berlin sind Sie als Vorsitzende des Verteidigungsausschuss eigentlich sehr präsent. Nun treten Sie als Spitzenkandidatin der FDP bei der nächsten Europawahl an. Wieso sehen Sie in Berlin keine Zukunft mehr?

Unsere bisherige Spitzenkandidatin für die Europawahl Nicola Beer wechselt als Vizepräsidentin zur Europäischen Investitionsbank, deshalb haben wir überlegt, wer stattdessen als Spitzenkandidatin antreten könnte. Ich habe daraufhin dem Präsidium der Bundes-FDP angeboten, die Kandidatur zu übernehmen. Verteidigung ist wahrlich kein rein deutsches Thema, sondern auch und besonders eine gesamteuropäische Herausforderung – das wurde mir in den letzten eineinhalb Jahren besonders bewusst. Die Kandidatur ist daher kein geplanter Abschied von Berlin, sondern eine Erweiterung meiner Aufgaben.

Politiker, die ins Europaparlament wechseln, verschwinden häufig aus der öffentlichen Wahrnehmung.

Dass Politiker nach Europa gehen und irgendwo im Nirvana verschwinden, mag vor zehn oder 20 Jahren so gewesen sein. Heute ganz sicher nicht mehr. Ich bin überzeugt davon, wir müssen die Europäische Union und deren Bedeutung für unsere Zukunft auf allen politischen Ebenen viel mehr erklären – da liegt der Ball auch in Ihrem Feld, bei den Journalistinnen und Journalisten. Es obliegt Ihnen, deutlich mehr darüber zu berichten. Ich will meinen Teil dazu beitragen, das Interesse an Europa zu wecken.

Früher gab es einen hämischen Spruch in der Politik. „Hast du einen Opa, schick ihn nach Europa.“ Gilt der in Ihren Augen also nicht mehr?

Der alte Kalauer mag gestimmt haben, als das Europäische Parlament noch lange nicht so wirkungsstark war, wie es das heute ist. Nehmen Sie Ursula von der Leyen oder Katarina Barley, beide ehemalige Bundesministerinnen, die nach Europa gegangen sind. Sie kommen nicht aus dem Nirgendwo und sind auch nicht im Nirgendwo verschwunden. Oder nehmen Sie als positives Beispiel Martin Schulz: Er war ein extrem engagierter Europapolitiker und wurde dadurch erst richtig bekannt – losgelöst davon, was in der SPD später aus ihm wurde. Wenn man seine Aufgabe ernst nimmt, ein Thema richtig beackert, und das auch in der Öffentlichkeit entsprechend deutlich vertritt, kann man vieles erreichen. Sie können sich sicher sein: Das habe ich vor.

Welche Rolle wollen Sie in Brüssel erfüllen?

Europa braucht in Zukunft eine gemeinsame Sicherheits- und Außenpolitik. Darauf will ich mich konzentrieren, denn die gibt es de facto noch nicht. Erst jetzt, durch den erneuten Angriff Russlands auf die Ukraine, schaffen wir es erstmals, auch militärisch europäisch zu denken. Ich setze mich für eine europäische Armee ein, die neben den nationalen Armeen aufgebaut werden könnte.

Stärkere europäische Kooperation bei der Luftwaffe

Derzeit fallen viele Länder in eher nationalistische Strukturen zurück. Halten Sie trotzdem eine europäische Armee in naher Zukunft für realistisch?

Aber das ist doch genau der Punkt: Gerade, weil wir vermehrt nationale Tendenzen sehen, ist es die Aufgabe der Europapolitiker, solche Projekte voranzutreiben. Es wäre ja schrecklich, wenn ich Ihnen jetzt sagen würde: Mit 27 Nationen kriegen wir das nicht auf die Kette. Wir haben in Deutschland 16 Bundesländer, trotzdem machen wir Bundespolitik. So etwas muss auch in Europa möglich sein.

Wie würde eine europäische Armee aussehen? Wer würde die Truppen befehligen?

Wir müssen erst einmal die interessierten Länder an einen Tisch bekommen, mit denen wir dann über diese Details entscheiden. Es gibt ja schon eine enge bilaterale Zusammenarbeit mit einigen Staaten, zum Beispiel die deutsch-niederländische Brigade, die deutsch-französische  und die gemeinsamen Projekte der norwegischen - und deutschen Marine. Auf Initiative von Deutschland entstand auch das Projekt European Sky Shield, zum Aufbau eines gemeinsamen besseren Luftverteidigungssystems. Deutschland ist vorangegangen, 18 Länder unterzeichneten eine entsprechende Erklärung. Auch nicht EU-Staaten wie die Schweiz zeigen Interesse. Das ist ein Beispiel, wie man in Europa vorangehen kann, um in Sicherheitsfragen deutlich stärker zu kooperieren.

Im Januar haben Sie sich nach 24 Jahren auch aus der Kommunalpolitik in Düsseldorf verabschiedet. Was nehmen Sie aus den Diskussionen über Fußgängerüberwege vor Kitas mit nach Brüssel?

Kommunalpolitik ist die beste Schule. Es gibt so viele europäische Richtlinien, welche die Städte und Gemeinden umsetzen müssen. Zum Beispiel auch, wie hoch in Zukunft die Geländer unserer Rheinbrücken sein müssen. Wie kann man solche Regeln umsetzen, ohne die Kommunen wirtschaftlich zu ruinieren. Die kommunale Sicht der Dinge  habe ich mit nach Berlin genommen und werde sie auch mit nach Brüssel nehmen.

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