Interview zum Tracker-Test„Für mich sind das Fantasiewerte“

Lesezeit 6 Minuten
Andreas Schreiber vom DLR erklärt die Technik in den Fitnessbändern.

Andreas Schreiber vom DLR erklärt die Technik in den Fitnessbändern.

Herr Schreiber, Sie leiten eine Softwaretechnologie-Abteilung beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Selbstvermessung spielt dort unter anderem für die Tele-Medizin eine wichtige Rolle. Und Sie organisieren das Quantified Self Meetup seit zwei Jahren in Köln, Sie sind Self Tracker der ersten Stunde. Wie kamen Sie zur Selbstvermessung?

Zum einen aus gesundheitlichen Gründen, nachdem ich 2009 einen Schlaganfall hatte. Zudem haben wir vor Jahren im DLR einen Schrittzählerwettbewerb gemacht – organisiert über einen virtuellen Laufwettbewerb. Alle Mitarbeiter sollten virtuell von Berlin nach München laufen. Damals wurden auch Aktivitäten wie Hausarbeit und Sportarten wie Gewichtheben anhand einer Tabelle in Schritte umgerechnet. Gewonnen hat dann ein Kollege, der für einen Ultramarathon trainierte. Zweiter wurde einer, der jeden Tag mit dem Fahrrad zur Arbeit gefahren ist. Von Hamburg nach Bremen.

Bei unserem Redaktionstest ist die ungenaue Schrittzählung der Fitness-Armbänder besonders aufgefallen. Zu viel, zu wenig, schütteln reicht...

Das liegt an der Methodik. Alle Geräte, die ich kenne, arbeiten mit einem Drei-Achsen-Beschleunigungssensor, messen also die Beschleunigung des Geräts am Arm über drei Koordinaten. Für solch ein Wearable ist es relativ schwer, zu erkennen, welche Bewegung genau ausgeführt wurde. So entstehen Missinterpretationen. Ich hatte mal ein Gerät, das in einem bestimmten Bus von irgendeiner Frequenz gestört wurde. Das schrieb mir dann auf einer Fahrt bis zu 100000 Schritte gut. Zu gut.

Zu Frustration führte auch, dass andere sportliche Aktivitäten wie Reiten, Yoga oder Krafttraining nicht angemessen von den Geräten gewürdigt wurden.

Ja, die Genauigkeit fehlt. Man müsste für jede Bewegung jeder Sportart ein Modell der Körpermechanik haben, das die Sensoren erfassen können, und dann die Bewegung der Beschleunigungssensoren zusammenzubringen mit dem Modell, das die Körpermechanik beschreibt. Das gibt es beispielsweise, um Sit-ups oder Liegestütze zu tracken. Ein Gerät achtet sogar darauf, dass man die Übung auch ganz sauber ausführt. Das für alle Bewegungen zu entwickeln, wäre aufwendig und entsprechend teuer; aber keine prinzipielle Unmöglichkeit.

Von der Kalorienbilanz hatten sich einige auch mehr versprochen. Entweder Essensportionen Pi mal Daumen in begrenzte Produktlisten eintippen oder sich an einem automatischen Wert orientieren – geht das nur so?

Für mich sind das Fantasie-Werte, die ja nicht durch eine tatsächliche körperliche Messung zustande kommen, sondern auch aus der Bewegung errechnet werden. Und die Eingabe in Apps, die die Energiezufuhr aus Essensportionen errechnen, ist viel zu aufwendig. Dieses Problem bildet zwei große Herausforderungen ab, mit denen wir uns im DLR in der Software- und App-Entwicklung auch beschäftigen und wo wir noch nicht am Ziel sind: Wie trackt man Kalorienaufnahme und –verbrauch unaufwendig oder sogar unsichtbar, weil Sensoren das über die Haut messen können? Und wie wird die Auswertung unkompliziert und auch sinnhaft für den Verbraucher? Daten zu sammeln ist ja eins; was aber überhaupt noch nicht ausgereizt ist, ist für den Nutzer Erkenntnisse und Empfehlungen zu generieren. Die Apps der Zukunft sollen sich auf das Lebensziel der Anwender einstellen.

Sie meinen: viel weitreichender eingreifen, statt ein reiner Bewegungs- oder Tablettenwecker sein?

Das große Thema dahinter heißt Machine Learning – Software ermisst auf Datengrundlage selbst, was gut ist für den Benutzer. Nicht immer zur gleichen Zeit Blutdruck zu messen, sondern in einer bestimmten Situation, kann in einigen Fällen für einen Patienten viel wichtiger sein. Und genau dann soll er dazu aufgefordert werden. Das ist noch nicht in Produkten drin, aber ein großer Trend.

Wo liegt denn der Nutzen der einfachen Fitness-Tracker?

Das kommt auf die Maßstäbe an. Ich persönlich weiß, das Schlaf-Tracking ist ungenau, gemessen an den Maßstäben, die ein Schlafforscher ansetzen würde. Meine Datenbetrachtung zeigt mir aber relative Veränderungen, hat für mich also einen relativen Wert: Habe ich besser oder schlechter geschlafen als gestern? Das leisten viele Lifestyle-Produkte: Man nimmt relative Veränderungen wahr, etwa im Bewegungsprofil.

Aber ist das nicht ein bisschen schütter? Wenn ich zu wenig geschlafen habe und zu viel getrunken, dann macht mich mein Körper doch schon ganz von selbst darauf aufmerksam. Und wie kommt es überhaupt, dass gerade Sie als Technik-affiner Wissenschaftler so gnädig mit Ungenauigkeiten sind?

Ich erhoffe mir Perfektion, aber ich erwarte sie nicht. Ich habe für mich akzeptiert, dass es immer Lücken gibt, wenn man Daten sammelt. Das ist für mich als Mathematiker der Datenanalyse auch schon immer ein Problem und eine Herausforderung. Bei Software, die ich selbst geschrieben habe zur Datenanalyse, nenne ich das jetzt mal eine Nickligkeit. Aber: Spannend ist ja, wie man damit umgeht. Was die Tracking-Geräte betrifft, stimme ich Ihnen zu. Interessant wird es nur, wenn es entweder ein sehr genaues Gerät ist, oder der Zusatznutzen über Smartphone-Funktionen hinaus führt. Das Smartphone ist ja schon das ultimative Tracking-Tool mit wesentlich mehr Sensoren als in den meisten Armbändern, etwa GPS.

Sind die Bänder nur eine Mode?

Was ich in Sachen Wearables visionär finde, sind Implantables, implantierbare Geräte, zum Beispiel aus der Tele-Medizin. Diese Welt wird kommen – vielleicht nicht direkt nach den Wearables. Dazwischen könnten sich Sensor-tragende Materialien etablieren, die sich auf die Haut aufbringen lassen. Dinge, die man nicht mehr so stark bemerkt wie ein Armband. Das sehe ich als Trend: Geräte, die Teil des Körpers werden.

So funktionsbegrenzt die Lifestyle-Produkte heute auch noch sind – sind sie nicht trotzdem auch schon Teil des Big-Data-Geschäfts?

Solange die gemessenen Daten nur auf dem eigenen Rechner oder in einer App gespeichert sind, besteht eigentlich kein Problem. Viele Leute haben aber noch nicht realisiert, dass die eigenen Daten eine Währung sind, mit der sie bezahlen. Ich finde es kritisch, dass viele Hersteller automatisch Daten zu ihren eigenen Servern schicken, beziehungsweise in der Cloud speichern. In diesem Sinne muss man auch Entwicklungen wie Apple Health, Google Fit oder Microsoft Health Vault betrachten. Das sind Daten-Aggregationsservices, also riesige Datensammler, die darauf abzielen, dass Nutzer ihre Datenquellen dort anbinden – wie Fitness-Tracker oder medizinische Geräte. Dem User bietet das einen Überblick über seine Daten, die er so auch korrelieren kann. Aber vor allem ist das eine große Gefahrenquelle. Die Plattform-Betreiber haben diese Daten automatisch auch, und das geht weit über ein paar falsch gezählte Schritte hinaus. In deren Traumvorstellung soll dort alles gespeichert werden. Wir wissen nicht, was damit passiert und wer Zugriff darauf hat – Krankenkassen? Andere Versicherer?

Aber ist Datenschutz nicht auch ein Problem Ihrer Arbeit, wenn Sie Software für Telemedizin schaffen?

Die Verletzung der Privatsphäre ist ein aktuelles DLR-Forschungsthema: Wir möchten Datenschutzverletzungen automatisch erkennen, also automatisch gemeldet bekommen, ob jemand unberechtigt auf Daten zugreifen kann. So ähnliche Sachen haben wir schon für die Industrie gemacht. Eine Software erkennt, wenn von Datensätzen im Betrieb Kopien erstellt werden. Jetzt wollen wir ein Warnsystem für alle Datenströme entwickeln.

Andreas Schreiber ist Wissenschaftler und Abteilungsleiter Softwaretechnologie für Verteilte Systeme und High-Performance Computing beim Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt (DLR). Er ist Mitgründer des Start-ups Medando, das Apps im Sinne einer personalisierten Medizin z.B. für Diagnostik und Therapie entwickelt.

KStA abonnieren