Äbtissin Adelheid, die wohltätige Heilige

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Den Pützchen-Besuchern stockt der Atem: Der Räuberhauptmann Schinderhannes ist auf dem Markt verhaftet worden

VON GÜNTHER BEYER

Bonn - Den Bänkelsängern bleibt die Spucke weg, dem Spaßmacher gefriert das Gesicht zur Maske. Die Schmiedemeister aus Solingen zählen ihre Klingen, die Bergischen Weber raffen die Leintücher. Der Platz ist mit Raunen erfüllt. Sie haben Schinderhannes gefasst, hier auf Pützchens Markt. Den Johannes Bückler aus dem Hunsrück, den gefürchtetsten Räuberhauptmann des Rheinlandes. Wo sind seine Kumpane? Sie müssen noch hier sein. Sind es auch. Aber sie haben jetzt Wichtigeres zu tun, als stehlen. Und sie sind erfolgreich. Sie hauen ihren Anführer aus dem Bonner Gefängnis heraus. Schinderhannes sitzt nur für einen Tag ein. Im September des Jahres 1802 war das. Und die Geschichte vom Schinderhannes ist eine der vielen erstaunlichen Episoden rund um den Markt an der Quelle, dessen Beurkundung als Adelheidisborn (Born / Pützchen / Quelle) ins Jahr 1367 fällt.

Der Bonner Autor Karsten Brandt hat Überlieferungen und faktisches Geschehen zu einem erkenntnisbringenden Buch komprimiert, das dem geschichtsinteressierten Pützchen-Gänger ans Herz gelegt werden muss: „Pützchens Markt - Zur Geschichte des größten Volksfestes des Rheinlandes“ heißt der Band (16 Mark), der jetzt - termingerecht - im Buchhandel erhältlich ist. Es ist geschrieben das Jahr 988 nach Christus, und im Rheinland herrscht schreckliche Dürre. Die Feldfrucht verdorrt, das Volk darbt. Die Bauern aus dem Westerwald ziehen mit ihrem Vieh Richtung Rhein, um Wasser zu finden. In dieser Zeit großer Not ist Adelheid Äbtissin des Klosters zu Vilich, eine fromme Frau, die ihr Leben ganz in den Dienst der Armen und Kranken stellt, wie das die Nonne Berta bezeugt hat. So schlägt dann - sagt die Legende - Adelheid unter Bittgebeten einen Stock in die Erde und siehe: Es sprudelt eine Quelle, ein Pützchen. Und sie ergießt sich immer noch: in den Brunnen der St. Adelheid-Kapelle in - eben - heute Beuel-Pützchen.

Gut gezielt

Geologen haben diese Tat ins rechte Licht gerückt. An jener Stelle in Pützchen, am Nordhang des Ennert, zapfte sie eine Grundwasserschicht an, die über Ton in Richtung Nordwesten zur Siegmündung führt. Zwar ist das Grundwasser hier allgemein bis zu zwölf Metern tief im Boden. Allerdings führen Wasserleiter mancherorts bis kurz unter die Oberfläche. Gut gezielt, könnte man sagen. Ein Wunder ist geschehen - davon war aber die Bevölkerung überzeugt, und schon kurz nach dem Tode Adelheids im Jahr 1015 setzten sie ein, die Wallfahrten zum „Pützchen“, dessen Wasser Kranken Heilung versprach.

Die Prozessionen zogen von weit her. Die entferntesten Pilger kamen aus Frankreich. Auch Schilderungen diverser Wunderheilungen sind bekannt: Eine Veronika Mülhens bedurfte ihrer Krücken nicht mehr, der Bonner Herbert von Mondorf fand sein Augenlicht wieder - und so fort. Autor Brandt konstatiert: „In einer medizinisch trostlosen Zeit war Pützchen ein Quell der Hoffnung“.

Klar, dass alsbald auch der Geschäftssinn den Wunderglauben okkupierte. Es fing an mit dem Vermieten von Scheunen. Wirte und Krämer erkannten dann weitergehende Nachfrage und antworteten mit entsprechenden Angeboten. Schließlich etablierte sich - wohl nach dem Dreißigjährigen Krieg - zu September ein fixer Markt am Adelheidisbrunnen, der dann behördlicherseits beurkundet wird in einer Rentmeistereirechnung von 1732 / 1733. Geschrieben wird da schon von einer „Kirmes“.

Genüssliches Geschrei

Die dann geadelt wird durch den Kurfürsten Clemens August. Leopold Bleibtreu, der Begründer der Alaunhütten auf dem Ennert berichtet, der Kurfürst habe sich durch die Töpferauslagen kutschieren lassen, nur um das Geschrei der Marktweiber zu hören. Und: „Er entschädigte sie nach dem Genuss der Aufregung auch fürstlich.“ Die Äbtissin Adelheid: Sie war eine „Volksheilige“. Zunächst. Fast eintausend Jahre später schließlich fand denn auch der Vatikan, dass es an der Zeit sei, dem Wirken der Frau aus Vilich die höchsten katholischen Weihen angedeihen zu lassen. 1966, im Jahr ihrer Heiligsprechung wurde auf Pützchens-Markt nicht ein Portemonnaie geklaut.

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