Die Stasi betete mit

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Joachim Kardinal Meisner - die Stasi wusste früh über seinen Wechsel nach Köln Bescheid.

Joachim Kardinal Meisner - die Stasi wusste früh über seinen Wechsel nach Köln Bescheid.

Die DDR-Staatssicherheit hatte Augen und Ohren auch in den Gremien der katholischen Kirche. Noch vor dem Kölner Domkapitel wusste sie, dass der Papst Kardinal Joachim Meisner, damals noch Bischof von Gesamt-Berlin, nach Köln schicken wollte.

Als Kardinal Joseph Höffner im Oktober 1987 stirbt, schwant kaum einem Kölner Katholiken, dass auf dem erzbischöflichen Stuhl bald der damalige Bischof Joachim Meisner sitzen würde. Ganz im Gegensatz zum Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR: Bereits im Hochsommer 1987 - Höffner hat im Mai mit dem Papst einen Rückzug zum Herbst vereinbart, inzwischen ist der Erzbischof schwer erkrankt - erhält das MfS einen Hinweis, Kardinal Meisner werde möglicherweise versetzt. Noch ist von einer Berufung nach Rom die Rede. „Diskussionen hierzu halten sich im leitenden Klerus hartnäckig“, weiß die Stasi.

Doch lange bevor sich in Köln die Gerüchte verdichten, dass Johannes Paul II. seinen Protegé Meisner auf Biegen oder Brechen an den Rhein schicken will, sind die staatlichen Spitzel in Ostberlin auch darüber bestens im Bild. „Kardinal nach Köln, noch vor wenigen Wochen nein, jetzt durchaus möglich“, heißt es in einem Stasi-Gesprächsprotokoll vom 14. Juni 1988. Die Begründung des Informanten, von der Stasi gewissenhaft protokolliert, ist so offenherzig wie gehässig: „Er hat Erzbischof (Kardinal) von Wien kennen gelernt. Dieser ist so geistig arm, dass auch Meisner in Köln vorstellbar ist.“

Er - das ist der Stasi-„Maulwurf“ mitten in der Berliner Bistumsleitung, Prälat Paul Dissemond. Von 1975 bis Mai 1987 ist der Sekretär der DDR-Bischöfe ganz offiziell Gesprächspartner der Stasi-Abteilung XX / 4, zuständig für die Kirchen. Doch Dissemond „legt sein Mandat äußerst großzügig aus“, wie der FAZ-Redakteur Daniel Deckers in einem druckfrischen Buch schreibt. Deckers' Biografie des Mainzer Kardinals Karl Lehmann (Pattloch Verlag München, 384 Seiten, 19,90 Euro) kommt am 24. September in den Buchhandel. Der Autor hat dafür die Akte Dissemonds ausgewertet. „Ein beträchtlicher Teil“ davon sei im Dezember 1989 „vorvernichtet“ - das heißt: von Hand in vier Teile zerrissen - worden. Inzwischen ist das Material weitgehend rekonstruiert.

Die Papiere bezeugen die intime Kenntnis des MfS vom deutschen Katholizismus und von der Weltkirche. Als „Inoffizieller Mitarbeiter mit Feindberührung“ hat „IM Peter“ alias Dissemond jahrelang Insider-wissen an seinen Führungsoffizier Hans Baethge weitergegeben. Dissemond wird - so Deckers - „nach 1979 zur wertvollsten Quelle der Stasi für Vorgänge in der katholischen Kirche überhaupt“. Die Kontakte zur Stasi reißen auch nach der kirchenoffiziellen Entpflichtung des „Polit-Prälaten“ nicht ab - im Gegenteil. Die Treffen gehen nach Deckers' Recherchen in regelmäßigen Abständen weiter und finden sogar dann noch statt, als die Mauer bereits gefallen ist.

Über den Bischofs-Transfer von Berlin nach Köln jedenfalls ist die Stasi früher und besser informiert als die Wahlmänner im Kölner Domkapitel. Sie erhalten Anfang Juli 1988 aus Rom eine Dreierliste zugestellt, aus der sie ihren künftigen Oberhirten bestimmen sollen. An erster Stelle ein unerwarteter Name: Joachim Meisner. Der Wunschkandidat des Papstes. Nur wenige Wochen später, am 24. August 1988, protokolliert Stasi-Führungsoffizier Baethge ein Treffen mit „IM Peter“ vom Vortag: „Die Gerüchte über eine mögliche Berufung Meisners als Bischof von Köln halten sich weiterhin.“ Am 22. August habe der IM darüber mit Meisner gesprochen. Dieser sei „zu seiner Bereitschaft nach Köln zu gehen, vom Papst angefragt worden; zu diesem Problem hätte es inzwischen drei Unterredungen mit dem Papst gegeben.“ Schon ein Jahr vorher, am 19. August 1987, vermerkt Baethge, dass Meisner und sein Generalvikar „im September eine außerplanmäßige Reise nach Rom unternehmen“ sollen. Grund für die eilige Einbestellung dürfte weniger - wie Dissemond zu diesem Zeitpunkt vermutet - ein Posten in der römischen Kurie als die Personalie Köln gewesen sein.

Und Meisner? Er hat öffentlich stets versichert, dem Papst von einer Versetzung nach Köln abgeraten zu haben. In den Stasi-Unterlagen lesen sich diese Beteuerungen so: „Jedesmal will er dem Papst dringend empfohlen haben, ihn in Berlin zu belassen. (Meisner fügte hinzu: Weiß man denn, was der Papst tatsächlich tut. . .(!?)).“ Doch „IM Peter“ macht sich seinen eigenen Reim darauf: „Meisner dürfte tatsächlich verbal erklärt haben, dass er in Berlin bleiben möchte. Sollte die Wahl an ihm vorbeigehen, wird er allerdings sehr gekränkt sein. Denn er rechnet mit Köln!“

Die Kränkung blieb Meisner bekanntermaßen erspart. Seinem Mainzer Mitbruder Lehmann, der als frisch gewählter Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz zwischen den widerspenstigen Kölnern und Rom vermitteln musste, sei Ende 1988 klar gewesen, „dass der neue Erzbischof von Köln niemand anders sein könne als der Berliner Kardinal Meisner“, schreibt Lehmann-Biograf Deckers.

Wie weit sich Meisner über die Indiskretionen seines Mitarbeiters Dissemond gegenüber der Stasi im Klaren gewesen ist, sei schwer zu beurteilen, meint Daniel Deckers im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Meisner selbst wollte sich auf Anfrage nicht äußern. „Er hat das geahnt“, meint Deckers und stützt diese These mit dem Hinweis, der misstrauische Bischof habe Dissemond „heilige Eide“ schwören lassen, „dass er mit der Stasi gebrochen habe“. Doch „IM Peter“ kümmert sich nicht darum. Wie er über seinen Bischof denkt - die Stasi-Akte gibt nüchtern Auskunft: „M. ist nach wie vor maßlos und hat schon längst kein richtiges Einschätzungsvermögen. Er tritt intern stets so auf, als wäre er der Größte, und als Kardinal könne er alles und auch alles haben. Gesteigertes Selbstbewusstsein nimmt gefährliche Formen an.“ Die Strategie, urteilt Deckers, sei offenkundig: Dissemond habe Meisner „gegenüber der Stasi lächerlich machen und sich selbst als den starken Mann präsentieren“ wollen.

Im Dezember 1988 kommt die sonderbare Berliner Beziehung zwischen dem Kardinal und seinem redseligen Prälaten an ihr Ende: Am 15. des Monats schreitet das Kölner Domkapitel nach einem beispiellosen kirchenpolitischen Eklat zur Bischofswahl. Am 20. Dezember bestätigt der Papst die Entscheidung. Sie ist auf Joachim Meisner gefallen.

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