EssayNimptsch schlägt Oper Köln-Bonn vor

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Bonns Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch. (Bild: Worring)

Bonns Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch. (Bild: Worring)

Bonn – "Es ist in diesen Tagen mitunter die Rede davon, es könne landauf landab bald zu einem„Kulturinfarkt“ kommen, weil der Kulturbetrieb nicht mehr zu finanzieren und zum Teil auchentbehrlich sei. Mein Hausarzt empfiehlt mir zur Senkung meines eigenen Infarktrisikos eineReihe von Dingen, die alle in die Kategorie „Maßhalten“ fallen. Gilt also auch für den Kulturbereich:„Maßhalten“?

Dazu ist ein Bonner eigentlich kein guter Ratgeber. Von „Maßhalten“ konnte nämlich zuHauptstadtzeiten keine Rede sein; Bonn erhielt 1965 zu einem Drittel der Baukosten von 23Mio DM in seinem Zentrum ein neues Haus für Oper, Theater und Tanz, das „Hauptstadttheater“.

Bis dahin hatte das Stadttheater seinen Platz im 1949 errichteten Theatersaal ander Poppelsdorfer Allee; in Bad Godesberg existierte daneben seit 1952 das Stadttheater,welches allerdings ausschließlich für Kinoveranstaltungen und Theatergastspiele konzipiertwar. Dank des 1970 vereinbarten „Hauptstadtzuschlags“ stieg der Theateretat von 10,7 MioDM schrittweise auf 58 Mio DM (Oper 33 Mio DM, Theater 25 Mio DM). 1981 wurde derinternational bekannte Jean-Claude Riber Generaldirektor der Bühnen der Stadt Bonn. Die„Oh´s“ und „Ah´s“ des Publikums ergaben sich aus der Ehrfurcht vor vielen eingeflogenenteuren Stars. Diese wurden nach Ansicht des Generalmusikdirektors Kuhn von GeneralintendantenRiber zwar nur „in phantasieloser Unbeweglichkeit wie in einer Schmiere auf dieBühne gestellt“, da aber trotzdem selbst bei diesem „Opernkäse“ (Kuhn) viele dabei seinwollten, erhielt das Haus in einem weiteren Bauvorhaben seinen „Olymp“, den ZweitenRang.

Intern kriselte es ordentlich. Generalmusikdirektor Gustav Kuhn verabreichte Riber am23. April 1985 als Höhepunkt der „Diskussion“ eine bundesweit beachtete Ohrfeige. SchauspieldirektorPeter Eschberg, seit 1981 für das Theater verantwortlich, wich dem Konflikt mitRiber aus, wollte lieber ein eigenes Haus, am besten gleich mehrere – und bekam sie. Ererschloss sich mit neuen Millionen 1984 die Halle Beuel, eine alte Jutefabrik, und den Umbauder Bad Godesberger Kammerspiele für weitere 13 Millionen DM. Geld spielte in derHauptstadt keine Rolle – übrigens so wie heute, wenn die in Salzburg unter Flimm abgespieltemonströse Inszenierung von Luigi Nonos „Al gran sole“ in Berlin, wieder unterFlimm, in einer alten Fabrikhalle mit pompösem Empfang für einen Abend aufgewärmt und,weil der Staatsopernetat nicht ausreicht, mit 215.000 Euro aus dem Hauptstadtkulturfondsbezuschusst wird. Auf Riber folgte 1992 in Bonn der berühmte Gian-Carlo del Monaco. Erkam in der „Scala am Rhein“ noch nicht einmal mit dem Budget seines Vorgängers aus undzog 1997 weiter.

Ich habe Demonstranten, die sich 2010 gegen jede Kürzung bei Oper, Theater und Tanz inBonn aussprachen, gefragt, ob wir vielleicht wieder zu der Zahl der Spielstätten zurück2kehren könnten, die es in Bonn bis Anfang der 80er Jahre gegeben hatte – und erhielt eineehrliche Antwort: „Nein, wir haben uns jetzt daran gewöhnt, so viele Spielstätten zu haben!“Ob nun „gewöhnt“ oder „verwöhnt“ das richtige Wort ist, sei dahin gestellt. Wichtig ist nureines: Wir wollen keinen „Kulturinfarkt“, sondern die im Schauspiel Bonn derzeit erreichteQualität der Aufführungen halten. Die zentrale Frage lautet: Wie kann das gelingen?

Wir können diese Frage beantworten, denn Jammern ist nicht unser Geschäft und Wandelwar uns niemals fremd. Zur 2000jährigen Geschichte von Bonn gehören Königskrönungen,eine lange Tradition als Landeshauptstadt, Residenzstadt, Finanzhochburg und die Entstehungdes Grundgesetzes. In den fünf Jahrzehnten der „Bonner Republik“ wurden dieerste stabile deutsche Demokratie geschaffen, die Folgen der Nazi-Diktatur bewältigt,Deutschland in den Westen integriert und mit dem Osten versöhnt. In den 90ern stellten wirdas neue Bonn auf fünf Säulen. Als Bundesstadt, internationaler Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort,als deutsche Stadt der Vereinten Nationen und Beethovenstadt bieten wirunseren Bürgerinnen und Bürgern und unseren Gästen einen attraktiven Ort zum Arbeitenund Leben. Und wir wissen, dass man nur dann richtig stolz auf seine Stadt sein kann, wennman stolz auf ihre Kultur ist. „Kultur“ verstehe ich dabei ganz ursprünglich als „Pflege dergeistigen Güter“.

Ich kann also stolz sein auf den vom Geist der Fairness getragenen Einsatzmeiner Fußballmannschaft, die geschlossen bis zur letzten Sekunde kämpft. Ich kann stolzsein auf das brillante Konzert des Beethoven-Orchesters. Ich kann stolz sein, wenn mich dasleidenschaftliche Schauspiel jugendlicher oder bereits erfahrener Akteure anrührt. Und ichbin stolz darauf, dass unsere Bürgerinnen und Bürger durch ihren Einsatz noch viele Gründemehr schaffen, stolz auf Bonn zu sein.Eine so starke und flexible Stadt, die ihre Leistungs- und Anpassungsfähigkeit oft bewiesenhat, wird auch eine gute Antwort auf die Frage finden, wie wir unserem Publikum eine mindestensgleichbleibende Qualität in Oper und Theater bieten können. Natürlich müssen wirdabei auch über Geld sprechen, über unsere Schulden, die wir jeden Tag vermehren, überdie Art und Weise, wie wir die Bühnen organisieren und darüber, wo wir kulturelle Schwerpunktesetzen.

Die Enkel zahlen derzeit die Eintrittskarte ihrer rüstigen Vorfahren, die in derOper mit rund 150 Euro Abend für Abend subventioniert wird, während aktuell das Geldkaum reicht, um die erforderliche Zahl von Kindergartenplätzen zu schaffen, und die Zuschüssefür Sportvereine - auch im Vergleich mit anderen Städten - zu gering sind. Das kannnicht so bleiben. Aber auch dies lässt sich lösen.Vereinfacht ausgedrückt, und DM mit Euro gleichgestellt, haben wir in Bonn in den 90er Jahrenmit den zur Verfügung stehenden 58 Mio DM für 300.000 Einwohner mehr Geld für Oper,Theater und Tanz ausgegeben als die Millionenstadt Köln heute, die aktuell noch nicht einmaldie von den Intendanten gewünschten 55 Mio Euro für Oper und Theater aufbringenkann und will. Da sowohl die Bühnen in Bonn als auch die in Köln von Menschen aus dergesamten Region besucht werden, gilt es, auch die Situation in unserer Nachbarstadt mit zubedenken, wenn wir Qualitätssicherung zum Ziel für das Publikum erklären.

Die Stadt Köln hat einen Schuldenstand von 2,5 Milliarden Euro. Dennoch verlangte derOpernintendant in diesem Jahr eine weitere Verschuldung, um damit den Zuschuss für dieOper Köln von 29,4 Mio auf 34,4 Mio Euro zu erhöhen; nach seiner Einschätzung könne dieSpielfähigkeit sonst nicht erhalten werden. Für das Theater Köln wurde mit einem Zuschussin Höhe von ca.19 Mio Euro kalkuliert, so dass insgesamt rund 54 Mio Euro an städtischemZuschuss für beide Häuser verlangt wurden. Politik und Verwaltung boten ihrem Opernintendantenzwar eine Erhöhung an (Oper 32 Mio Euro, Schauspiel 18,5 Mio Euro, Tanz 0,7Mio Euro); diese wurde aber vom Bühnenchef als nicht ausreichend angesehen, und er warfdas Handtuch.

Hinzu kommt ein ganz besonderer Umstand: Köln saniert derzeit Opernhausund Theater mit einem Finanzvolumen von bis zu 240 Mio Euro und wird die Häuser 2015mit modernstem Standard wieder eröffnen. Für die Interimszeit werden im Haushalt der StadtKöln zusätzlich bis zu 10 Mio Euro jährlich bereitgestellt.Bonn hat mehr als 1,4 Mrd Euro Schulden und gibt derzeit einen Zuschuss in Höhe von etwa58 Mio Euro für den gesamten Kulturbereich aus. Das entspricht 184 Euro pro Einwohner, imStädtevergleich ein Spitzenwert. Davon entfallen 29,3 Mio Euro auf das Schauspiel Bonn(Oper, Theater, Tanzgastspiele). Der Zuschuss soll nach der mittelfristigen Finanzplanungauch 2016 noch 28,4 Mio Euro betragen. Etwa ein Drittel dieses Betrages entfällt auf dasTheater, zwei Drittel auf die Oper. Bonn wird, wie jetzt, mit einem Anteil von 6,3 Prozent fürKulturausgaben im Haushalt (zum Vergleich: Aachen 5,4%, Köln 5,2%, Münster 4,9%, Essen3,6%) auch zukünftig vor anderen Städten liegen. Es liegt aber auf der Hand, dass man inder Millionenstadt Köln, trotz des niedrigeren Prozentrangs, absolut mehr Geld zur Verfügunghaben wird als in Bonn. Köln kann ab 2015 mit 32 Mio Euro in einem Opernhauserster Güte einen anderen Standard in der Oper auflegen als Bonn mit etwa 18 Mio Euro.

Ich gehe davon aus, dass eine weitere Erhöhung der Zuschüsse in der überschaubaren Zukunfthier wie dort nicht möglich sein wird. Wer Qualität aber ohne neue Verschuldung sichernwill, muss alle anderen Wege prüfen. Dazu gehört auch die Möglichkeit, die Qualitätdurch eine intensive Kooperation der Bühnen aufrechtzuerhalten oder sogar zu steigern. Wiekönnte das aussehen?Dr. Bernhard Helmich, zukünftiger Generalintendant in Bonn, hat bereits jetzt, mehr als einJahr vor seinem Dienstantritt, Kooperationsvereinbarungen mit anderen Bühnen vorbereitet.Verabredungen zu einer gemeinsam von Bonn, Düsseldorf-Duisburg und Dortmund für2013/14 zu verantwortenden Kinderoper sind bereits getroffen. Ein guter erster Schritt, demunter seiner Leitung in den nächsten Jahren gewiss weitere folgen werden. Denken wir abereinmal nicht nur einige Jahre, sondern zehn Jahre voraus. Denn Veränderungen, bei der alleBeteiligten eingebunden werden müssen und die ohne einschneidende Veränderungen, wiez.B. Entlassungen, auskommen wollen, brauchen diesen Zeitraum. Es ist übrigens auch dieZeitspanne, die der Gesetzgeber den Kommunen einräumt, um in einem Haushaltssicherungskonzeptzu einem ausgeglichenen Haushalt zu kommen. Welche Strukturveränderungenbei den Bühnen kann man sich vorstellen? Ich will einmal die beschreiben, die aus meiner Sicht naheliegt, ohne dabei ausschließen zu wollen, dass man auf dem jetzt einzuschlagendenWeg zum Ziel auch zu anderen und vielleicht geeigneteren Lösungenkommen kann.

Unterstellen wir einmal, dass eine leistungsfähige Oper von Weltniveau, die „RheinischeOper Köln-Bonn“ mit zwei Spielstätten in Köln und Bonn, 40 Mio Euro benötigen würde; daswären immerhin etwa 5 Mio Euro mehr als die „Deutsche Oper am Rhein“ für ihre Spielstättenin Düsseldorf und Duisburg (noch) zur Verfügung hat. Die großzügigen und saniertenTheaterwerkstätten in Bonn würden beiden Spielorte zur Verfügung stehen und Köln die Sanierungder eigenen Werkstätten weitgehend ersparen. Nebenbei ergäben sich auch Zeitkontingentefür das Beethoven-Orchester und für das Gürzenich-Orchester, um auf Tourneezu gehen und das zu tun, wofür diese Flaggschiffe auch da sind – nämlich als Kulturbotschafterfür ihre Städte im Ausland zu werben.Bei einer sich an der Einwohnerzahl orientierenden Aufteilung der Gesamtsumme für die„Rheinische Oper Köln-Bonn“ würde auf mittlere Sicht in Bonn ein namhafter Betrag für andereBereiche frei. Der Phantasie, wie die eingesparten Mittel umgelenkt werden könnten,sind keine Grenzen gesetzt: Beethoven, Sport, „Freie Kulturszene“, Theater… . Und natürlichwürden wir einen Teil auch dafür einsetzen, Schulden abzubauen, denn das übergeordneteZiel lautet schließlich, nur so viel Geld auszugeben, wie wir auch haben.

Die „Rheinische Oper Köln-Bonn“ würde der Region zukunftssicher an zwei Standorten eininternational renommiertes Kulturangebot ermöglichen, das auf anderem Weg nicht zu finanzierenist. Sie kann in einem angemessenen Zeitraum etabliert werden.Politische Entscheidungsträger in Köln haben in den letzten Monaten signalisiert, dass siemit Bonn auf Augenhöhe über eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Kultureinrichtungenbeider Städte sprechen wollen. Aktuell hat der Oberbürgermeister von Düsseldorfvorgeschlagen, über eine Fusion der Opern in Köln und Düsseldorf nachzudenken und scheintdabei zumindest beim Kölner Kulturdezernenten wegen des dann mutmaßlich bestehenden„Mammut-Etats“ für eine „Weltoper“ von 50 Mio Euro auf Gegenliebe zu stoßen. Es liegt nun ander Bundesstadt, um am Ende tatsächlich mit Goethe sagen zu können: „Ein Schauspiel fürGötter, zwei Liebende zu sehn!“ und dabei nicht Düsseldorf und Köln zu meinen, sondernKöln und Bonn."

Essay von Jürgen Nimptsch, Oberbürgermeister der Stadt Bonn

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