Familienpolitik im Vergleich

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Deutschland braucht mehr Kinder. Mit 1,63 Prozent bei der Geburtenrate hinkt Deutschland international hinterher. "KSTA"-Korrespondenten haben sich in USA, Frankreich und Deutschland umgeschaut. Ein Vergleich.

Steuerpolitik für die US-Familie

Wie heißt die derzeitige amerikanische Familienministerin? Richtig: Die gibt es gar nicht. Nicht nur ein Familienministerium im deutschen Sinne ist in den USA völlig unbekannt. Auch der jetzt in Deutschland so heftig diskutierte Begriff der „Familienpolitik“ existiert gar nicht. Vielleicht liegt das daran, dass niemand so recht weiß, was genau Familienpolitik sein soll: Kindergeld und Erziehungsurlaub? Sicher. Aber was ist mit Wohnungsbau, Schulpolitik, Steuern und medizinischer Versorgung? Das alles kann Familienpolitik sein.

Natürlich gibt es auch in den USA eine Diskussion um sozialstaatliche Leistungen und gezielte Unterstützung von Frauen und Müttern. Allerdings liegt die Zuständigkeit dafür nicht ausschließlich und in erster Linie beim Bund, sondern in den 50 Staaten. Schon deshalb hinkt jeder internationale Vergleich. Kindergeld gibt es in den USA nur in indirekter Form einer Steuerrückerstattung von 1000 Dollar pro Kind und Jahr. Das entspricht also einem Kindergeld von 83 Dollar im Monat, allerdings nur für diejenigen, die Steuern zahlen, und nur bis zum 17. Lebensjahr des Kindes.

Auch sonst ist die Steuerpolitik das wichtigste Instrument der Familienförderung: So können etwa die Studiengebühren der Kinder zum Teil von der Steuer abgesetzt werden. Und vom Einkommen bleiben mehrere Tausend Dollar pro Jahr steuerfrei, wenn sie auf ein Sparkonto für die späteren Studiengebühren der Kinder angelegt werden. Solche Sparkonten sind allerdings auch dringend nötig, denn ein vierjähriges Studium in den USA kann mit Unterkunft und Verpflegung leicht über 100 000 Dollar kosten; die Eliteschulen verlangen allein an Studiengebühren über 30 000 Dollar pro Jahr, bieten begabten Kindern aus mittellosen Familien allerdings umfassende Hilfe in Form von Stipendien und Darlehen.

20 bis 35 Prozent der Kinderbetreuungskosten im Vorschulalter (abhängig von der Höhe des Einkommens) können ebenfalls von der Steuer abgesetzt werden. Die meisten dieser Steuerermäßigungen entfallen bei Einkommen von über 8500 Dollar pro Monat.

Die gesetzlichen Regelungen für Mutterschutz und Erziehungsurlaub variieren stark zwischen den einzelnen Staaten. 12 Wochen Erziehungsurlaub sind zwar überall in den USA gesetzlich garantiert, können aber theoretisch unbezahlt bleiben. Sogar eine kurze mehrwöchige Pause für die Geburt selbst ist für viele Frauen mit einem Lohnausfall verbunden, weshalb die meisten werdenden Mütter bis unmittelbar vor der Geburt arbeiten.

Obwohl es keine staatlichen Kindergärten gibt, sind 54 Prozent der Drei- bis Fünfjährigen in Betreuungseinrichtungen, die indirekt vom Staat finanziert werden; die meisten anderen kommen in privaten und betrieblichen Krippen und Kindergärten unter. Daheim bleiben schon nach den ersten drei oder sechs Monaten nur noch die wenigsten Kinder, denn in 81 Prozent aller US-Familien arbeiten beide Elternteile.

Ob all diese Dinge als „Familienpolitik“ zu verstehen sind und ob sie womöglich erklären, warum die Geburtenrate in den USA mit - statistisch gesehen - 2,1 Kindern pro Frau ungleich höher liegt als in Deutschland (1,36), ist unklar. Finanzielle und staatliche Anreize für die Familiengründung sind kaum vorhanden. Die meisten staatlichen Maßnahmen zielen eher auf die Versorgung im Notfall ab, also etwa auf die Unterstützung arbeitsloser Eltern, allein erziehender Mütter und Familien ohne Krankenversicherung.

Warum bekommen Amerikaner trotz der vordergründig ungünstigeren Voraussetzungen mehr Kinder als die Europäer in sämtlichen EU-Staaten? Das können auch Experten nicht so leicht beantworten. Traditionelle Werte, Religiosität, der allgemeine Optimismus in den USA und die Hoffnung auf soziale Unterstützung im Familienverband erklären aber sicher teilweise das Phänomen der hohen amerikanischen Geburtenrate.

Der französische Konsens

Die französische Familienpolitik gilt in vielen Ländern Europas als vorbildlich, hat sie doch in den vergangenen Jahrzehnten dafür gesorgt, dass die Geburtenrate mit 1,94 Kindern pro Frau an der Spitze des alten Kontinents angekommen ist. Zum Vergleich: In Deutschland liegt sie bei 1,36. In den vergangenen beiden Jahren kamen in Frankreich jeweils mehr als 800 000 Kinder auf die Welt.

Die Ursachen für diesen deutlichen Unterschied sind neben den gezielten staatlichen Unterstützungen und Betreuungsangeboten vor allem im gesellschaftlichen Klima zu suchen, im dem ein diffamierender Begriff wie „Rabenmutter“ nicht einmal eine französische Übersetzung kennt. Denn Frankreichs Frauen sehen in der Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft eine Selbstverständlichkeit und keineswegs - im Unterschied zu ihren deutschen Schwestern - ein Problem.

Die Soziologin Jeanne Fagnani, die in einer vergleichenden Untersuchung neben den offiziellen Angeboten auch die gesellschaftliche Wahrnehmung unter die Lupe genommen hat, stellt fest, dass „bezahlte Arbeit für die Identität der französischen Mütter geradezu konstitutiv“ ist. Bei deutschen Frauen hat sie hingegen ein „grundsätzliches Misstrauen gegenüber Betreuungsangeboten außerhalb der Familie“ beobachtet, was dazu führte, dass sogar Betriebskindergärten wieder schließen mussten, weil sie nicht genutzt wurden.

Achtzig Prozent der Französinnen mit zwei oder mehr Kindern gehen einer bezahlten Arbeit nach, und dies in der Regel nach einer Babypause rund um die Geburt von maximal drei Monaten im Unterschied zu Deutschland, wo der ein- bis dreijährige Erziehungsurlaub die Regel darstellt. Die Pariser Familienpolitiker verweisen darauf, dass die Berufstätigkeit der Mütter offenkundig auch die schulische Leistungen der Kinder verbessert - und dies nicht allein wegen eines tatsächlich oder vermeintlich höheren Bildungsniveaus.

Im Zentrum der Familienpolitik steht seit mehr als drei Jahrzehnten die „école maternelle“, die „Mütterschule“, die 99 Prozent aller Kinder zwischen drei Jahren und dem Beginn der Grundschule ganztägig betreut. Diese „Vorschule“ ist nur in Teilen mit den deutschen Kindergärten vergleichbar. In den ersten drei Lebensjahren können sich Frankreichs Familien auf Tagesmütter oder Krippen stützen, wenn sie ihre Kinder unterbringen wollen. Dieses Angebot wird dank der steuerlichen Absetzbarkeit von bis zu 5000 Euro pro Jahr für die Betreuung durch Tagesmütter oder Kinderfrauen im eigenen Haushalt auch stark angenommen.

Die direkten Zuwendungen an die Familien sind demgegenüber eher bescheiden. Kindergeld wird erst ab dem zweiten Kind gezahlt - es liegt mit rund 115 Euro pro Kind unter den vergleichbaren deutschen Sätzen. Seit 2004 gibt es auch ein „Erziehungsgeld“, wenn ein Elternteil für ein bis maximal drei Jahre den Job aufgibt. Es beläuft sich auf 750 Euro (bei einem Jahr Babypause) und 515 Euro bei drei Jahren.

Steuererleichterungen für Familien mit mehreren Kindern, die vor allem für höhere Einkommensschichten interessant sind, ergänzen die Palette der staatlichen Angebote. Zu ihnen trägt die Privatwirtschaft inzwischen mit einer beachtlichen Zahl von Betriebskindergärten bei, deren Kosten von den Firmen steuerlich abgesetzt werden können.

Bei allen vergleichenden Betrachtungen wird demnach deutlich, dass finanzielle Angebote alleine nicht ausreichen, die Geburtenrate anzuheben. Wichtiger ist vielmehr ein gesellschaftlicher Konsens, in der die Berufstätigkeit von Müttern als „normal“ angesehen wird und in denen das „schlechte Gewissen“ junger Frauen, die ihre Ausbildung nutzen und zugleich Kinder haben wollen, der Vergangenheit angehört.

Deutschlands Mauerblümchen

Die Familienpolitik hat in den letzten Jahren einen beispiellosen Bedeutungswandel erfahren. Das Mauerblümchen hat Karriere gemacht. Deutschland sucht den Superstar? Längst gefunden, auch wenn er noch nicht singen kann und in die Windeln macht. Denn eigentlich geht es beim Thema Familie um Kinder. Da an ihnen dramatischer Mangel herrscht, steht die Familienpolitik vor einer veränderten Aufgabe: alles zu tun, um junge Paare zur Familiengründung zu ermutigen.

Über Jahrzehnte hinweg war das ganz anders. Altkanzler Konrad Adenauers „Kinder kriegen die Leute immer“ bestimmte das öffentliche Bewusstsein bis in die späten 90er Jahre, als die Aussage längst überholt war. Der Irrtum, es gebe ausreichend Nachwuchs, äußerte sich in einer ausgeprägten Wurschtigkeit der Politik. Der Staat zahlte Kindergeld als finanzielle Teilentschädigung an die Eltern, erhöhte es gern vor Bundestagswahlen. Zuletzt war es die rot-grüne Koalition, die das Kindergeld zum 1. Januar 2002 auf 154 Euro pro Monat und Kind anhob, vom vierten an auf 179 Euro.

Hinzu kommt das Mutterschaftsgeld, das sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Entbindung gezahlt wird. Arbeitgeber und Krankenkassen zahlen für diese 14 Wochen das durchschnittliche Nettogehalt der vorangegangenen drei Monate aus. Hinzu kommen monatlich 300 Euro Erziehungsgeld für maximal zwei Jahre, solange bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschritten werden. Geringverdiener können zudem den Kinderzuschlag von bis zu 140 Euro monatlich beantragen, wenn sie andernfalls auf Zuzahlungen der Bundesagentur für Arbeit angewiesen wären.

In der Hauptsache erschöpfte sich Familienpolitik also im Verteilen von Geld, das nicht einmal dem vergleichsweise schmalen Etat des Familienministeriums entstammte (2005: 4,45 Milliarden Euro), sondern aus Haushalten anderer Ministerien. Hinzu traten arbeitsrechtliche Schutzregelungen, die viele Jahre Frauen vorbehalten waren. Dann wurde 2001 die „Elternzeit“ eingeführt. Sie verpflichtet die Arbeitgeber, Mütter oder Väter für maximal drei Jahre nach der Geburt freizu- stellen und anschließend auf einen vergleichbaren Arbeitsplatz zurückkehren zu lassen.

Weitgehend unbeachtet blieben lange Zeit die Voraussetzungen, die eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf überhaupt ermöglichen. Arbeitszeiten, Fahrpläne des öffentlichen Nahverkehrs, Öffnungszeiten von Behörden - all dies orientierte sich kaum an den Bedürfnissen berufstätiger Eltern. Erst in den 90ern begannen die Länder, den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz umzusetzen.

Erst vor wenigen Jahren begann die Bundesregierung mit Programmen, damit Erwerbstätigkeit und Kindersegen unter einen Hut zu bringen sind. Vier Milliarden stellte der Bund für den Ganztagsschulausbau zur Verfügung, noch einmal 1,5 Milliarden für die Betreuung Unter- Dreijähriger. Gerade das Ganztagsschulprogramm zeigt, dass Familienpolitik immer stärker mit der Bildungsfrage verknüpft wurde. Denn Deutschland fehlen Kinder nicht nur, ein beträchtlicher Teil des raren Nachwuchses schnitt bei internationalen Bildungstests dramatisch schlecht ab.

Mittlerweile ist Familienpolitik als Querschnittsaufgabe erkannt. Ausbau der Kinderbetreuung, Sprachkurse für Migrantenkinder, vorschulische Bildungsangebote, Reformen des Schulunterrichts, die vom Familienministerium initiierten lokalen Bündnisse für Familie - all dies zielt darauf, Paaren die Erfüllung des Kinderwunschs zu ermöglichen und jedes Kind stärker zu fördern als bisher. Erst am Freitag verabschiedete der Bundestag die steuerliche Absetzbarkeit von berufsbedingten Kinderbetreuungskosten. Zwei Drittel der Ausgaben für Tagesmütter und Kindergärten, höchstens aber 4000 Euro pro Jahr, können abgesetzt werden.

Noch in dieser Legislaturperiode soll das einkommensabhängige Elterngeld eingeführt werden. Der Elternteil, der seine Berufstätigkeit unterbricht, soll für ein Jahr 67 Prozent des Nettoeinkommens erhalten, höchstens 1800 Euro monatlich.

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