FreiwilligeDie Lust am Lesen wecken

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Irene Ofteringer bei einer sommerlichen Vorlesestunde vor der minibib im Stadtgarten. (Bild: Worring)

Irene Ofteringer bei einer sommerlichen Vorlesestunde vor der minibib im Stadtgarten. (Bild: Worring)

Köln – Er weiß nicht wie alt er ist, sein Geburtstag wird gefeiert, wenn seine Eltern Lust dazu haben, und diese fahren schon mal spontan nach Peru, ohne Bescheid zu sagen. So ergeht es Grimpel, der achtjährigen Hauptfigur des gleichnamigen Kinderbuchklassikers von Clement Freud.

Wie können Eltern derart grob ihre Pflicht vernachlässigen? „Die Kinder sind fasziniert davon“, sagt Irene Ofteringer. Vor einer Gruppe von sieben- bis elfjährigen Kindern, die sich regelmäßig am Donnerstagnachmittag im Nachbarschaftshaus Ansgarstraße in Neuehrenfeld getroffen hat, hat sie im vergangenen Schuljahr das Buch vorgelesen – als eine von 130 Freiwilligen, die sich in Köln für das Projekt „Lesewelten“ engagieren.

„Es hat mir gefehlt, etwas für andere Menschen zu tun“, sagt die 46-Jährige, die Anglistik und Geschichte studiert hat und an der Volkshochschule den Fachbereich Englisch leitet. Viele Jahre ist es her, dass sie im Blindenverein Gedichte vorgetragen hat. Vor einem Jahr kam sie über die Kölner Freiwilligen Agentur zu ihrem neuen Engagement, das sie nach den Sommerferien fortsetzen will.

„Ich liebe englische Kinderbücher, viele haben so etwas Schräges, Subversives“, sagt sie zu ihrer Auswahl. So hat sie außer aus „Grimpel“ aus Büchern von Roald Dahl („Sophiechen und der Riese“) und Philip Ardagh („Die Kuh, die vom Himmel fiel“) vorgelesen. Aber auch deutsche Autoren waren dabei, etwa Peter Härtling mit seinem Buch „Alter John“.

Irene Ofteringer bereitet sich vor, indem sie die Texte vorher laut liest. Am wichtigsten sei es bei deren „Phrasierung“, die Pausen richtig zu setzen. Den Vortag „unterbricht sie immer wieder, damit die Kinder Gelegenheit haben, Fragen zu stellen und Kommentare abzugeben. Mitte September, nach den Sommerferien, soll es weitergehen, mit Ursula Wölfels 1959 veröffentlichtem Buch „Fliegender Stern: „Das habe ich selber als Kind sehr gern gelesen.“

Zwar bekommen die Freiwilligen der „Lesewelten“ eine Bücherliste. Doch die hat nur Anregungscharakter, die Auswahl der Lektüre ist jedem freigestellt. „Das, was einem am besten gefällt, kann man auch am besten vermitteln“, sagt Susanne Klinkhamels, die bei der Kölner Freiwilligen Agentur für das Projekt zuständig ist. Das Entscheidende sei, bei den Kindern, die meist Einrichtungen „mit besonderem Förderbedarf“ besuchen, die Lust am Lesen zu wecken.

Von den 130 Freiwilligen sind nur 18 Prozent Männer. Ein Umstand, den die Projektleiterin bedauert, denn Männer könnten besser als Frauen die Rolle von „Vorbildern“ für die Jungen erfüllen, die viel weniger Interesse an Büchern hätten als die Mädchen.

Männer überraschen

„Die Kinder sind immer wieder überrascht, dass ein Mann zum Vorlesen kommt“, bestätigt Michael Cremer, der sich seit eineinhalb Jahren für die Kindertagesstätte Eythstraße in Kalk engagiert, in der der Anteil von Mädchen und Jungen ausländischer Herkunft sehr hoch ist. „Ich durchbreche dass Klischee, dass immer die Mama Geschichten erzählt und nicht der Papa.“ Zu den „Lesewelten“ ist der 58-Jährige, der vier Jahre lang Geschäftsführender Direktor der SK-Stiftung Cologne Science Center war und heute bei der Sparkasse Köln-Bonn als Produktentwickler arbeitet, ebenfalls über die Kölner Freiwilligen Agentur gekommen. „Ich habe viel Glück im Leben gehabt, beruflich, finanziell und privat, und wollte etwas zurückgeben.“

Als „Bücherfan“ habe er Zuhause eine „umfangreiche Bibliothek“, doch bei der Auswahl für die Kinder orientiert er sich an den Empfehlungen der Stiftung Lesen. „Irgendwie Anders“, geschrieben von Kathryn Cave und und illustriert von Chris Riddell, gehörte dazu.

Das Bilderbuch erzählt die Geschichte eines Wesens, das allein auf einem hohen Berg lebt und von allen gemieden wird, weil es sonderbar aussieht. Die Geschichte über Ausgrenzung und ihre Überwindung wurde 1997 mit dem Unesco-Preis für Kinder- und Jugendliteratur im Dienst der Toleranz ausgezeichnet. Michael Cremer hat die pädagogische Absicht des Buchs nicht betont: „Ich habe das nicht heraushängen lassen.“ Denn das hätte das Interesse der Zuhörer wahrscheinlich nur geschmälert.

Lesewelten

Die Initiative „Lesewelten“ wurde 2004 gegründet. Ihr Ziel ist es, Kindern „positive Erfahrungen mit dem Medium Buch“ zu vermitteln. Vorgelesen wird in Bibliotheken, Kindertagesstätten, Schulen, Museen und Kinderkliniken. Rund 500 Kinder werden pro Woche in Köln erreicht.

Den Freiwilligen wird in einer Einführungsveranstaltung die Vorlese-Praxis nahe gebracht. Zudem werden pro Jahr fünf bis sechs Fortbildungen angeboten. Kontakt: Susanne Klinkhamels, Kölner Freiwilligen Agentur, Telefon: 0221/888 278-28

Nächster Vorlese-Termin im Nachbarschaftshaus Ansgarstraße 5 ist Donnerstag, 15. September, 17 Uhr, Mail: ansgarstr@gwg-ehrenfeld.de.

Unterstützt werden die „Lesewellen“ von einer ehrenamtlichen Projektgruppe, die unter anderem besondere Vorleseaktionen plant. Dazu zählen Veranstaltungen in der „minibib“ im Stadtgarten, Eingang Spichernstraße.

Am 28. August liest Bürgermeisterin Angela Spizig aus „Die Heinzelmännchen“ und am 4. September Irene Ofteringer aus „Das Schaf Charlotte und seine Freunde“. Beginn: 15.30 Uhr.

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