UrbanisierungStadtvögel sind schüchtern

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Der Halsbandsittich fühlt sich wohl in Köln.

Der Halsbandsittich fühlt sich wohl in Köln.

Ein Handy, das im Baum klingelt? Möglicherweise ein Vogelmännchen, das mit diesem besonderen Gesang ein Weibchen anlocken möchte. Der Lärmpegel in der Stadt sorgt nämlich nicht nur dafür, dass Vögel lauter und höher singen, um von ihren Artgenossen noch gehört zu werden, wie der niederländische Biologe Hans Slabbekoorn in einer Studie nachwies. Die Geräusche der Stadt verändern auch das Gesangsrepertoire der Tiere. Die sogenannten „Spötter“ – Vögel, die die Rufe anderer Vögel nachahmen – imitieren in der Stadt auch Kirchenglocken, das Geräusch von fahrenden Straßenbahnen oder eben Handyklingeln.

„Für sie ist die Großstadt eine ungeheure Bühne“, sagt der Biologe Karl-Otto Schöttler. Beherrscht eine Singdrossel im Freiland etwa 15 bis 18 verschiedene Strophen, singt eine Stadt-Singdrossel bis zu 30. Die Urbanisierung prägt eben nicht nur uns Menschen, sondern auch die Tiere, die in unserer Nähe leben. Dass die wachsenden Städte den Tieren ihren Lebensraum nehmen und immer mehr Arten aussterben, stimmt zwar. Es stimmt aber auch, dass unsere Städte für einige Tiere – und darunter viele Vogelarten – ein gemachtes Nest sind. „Die Stadt ist eine Chance für viele Vogelarten, denn sie bietet exklusive Bedingungen“, sagt der Vogelspezialist Schöttler, der früher an der Universität in Köln Lehrer im Fach Biologie ausgebildet hat und heute Vogelführungen anbietet. Aufgrund von intensiver Landwirtschaft und dem Einsatz von Insektenvernichtungsmitteln finden Vögel auf dem Land immer weniger Nahrung. Vögel und vor allem ihre Küken benötigen Insekten als Nahrung. Herbizide vernichten Wildkräuter an Feldrainen und nehmen damit zusätzlich den Insekten den Lebensraum. Da stellen die städtischen Parks und Gärten mit Futterhäuschen für einige Arten einen besseren Lebensraum dar. Die Rasenflächen in Parks sind von Regenwürmern bevölkert. Für Amseln – vor 100 Jahren noch scheue Waldbewohner – sind sie damit ein großer, gedeckter Tisch. Die Amseldichte in Städten kann deshalb bis zu zehnmal so hoch sein wie in Wäldern. Nicht zuletzt finden Elstern, Krähen, Möwen und auch Schwäne in Abfallkörben und auf Müllkippen ständig verfügbares Futter.

Auch, dass es in der Stadt immer wärmer ist als auf dem Land, kommt vielen Vögeln zugute. So überwintern Zugvögel in größerer Zahl in den Städten, anstatt wegzuziehen – etwa der Hausrotschwanz. Die künstlichen Wasserflächen wie Weiher „sind ein El Dorado für durchziehende Arten im Herbst“, sagt Schöttler. Die wärmere Umgebung führt sogar dazu, dass Stadtvögel öfter brüten können als Landvögel.

Exotische Einwanderer

Auch Neubürger (Neobioten) konnten sich deshalb in deutschen Städten etablieren: Zum Beispiel der exotische Halsbandsittich. Er stammt eigentlich aus Afrika und Asien, lebt aber seit 1967 auch in Köln als freier Vogel und hat sich von dort aus ausgebreitet. Vermutlich ist das erste Paar aus dem Kölner Zoo entwischt. Alleine in Köln leben etwa 3000 der grünen Vögel. Anders als andere Papageien kommen sie mit dem europäischen Winter gut zurecht, sind aber an die Städte gebunden, weil das Klima dort milder ist. Mittlerweile gibt es so viele Halsbandsittiche in Deutschland, dass Biologen in ihnen eine ökologische Gefahr sehen, denn die flinken Vögel schnappen unseren ursprünglich hier heimischen Vögeln das Futter weg. Ein weiterer Neobiot ist die Türkentaube, die ursprünglich nur in Asien, Vorderasien und Teilen Chinas vorkam. Erst vor rund 60 Jahren breitete sie sich auch in Mitteleuropa aus. Sie profitiert wie die Straßentaube von den Bedingungen in den Städten und kommt fast ausschließlich dort vor, ist jedoch nicht so häufig.

Halsbandsittiche findet man in Köln vor allem im Grüngürtel.

Halsbandsittiche findet man in Köln vor allem im Grüngürtel.

Allein in Berlin leben immerhin 130 und damit die Hälfte aller 260 in Deutschland heimischen Brutvogelarten. Und in Köln wurden Siedlungsdichten bei Vogelarten ermittelt, wie sie etwa in sehr vogelreichen Auwäldern an der Donau erreicht werden, schreibt der Biologe Bernhard Kegel in seinem Buch „Tiere in der Stadt“. Allerdings stellt er auch fest, dass die Artenvielfalt in Städten stark davon abhängt, wie die Stadtgrenzen definiert sind. Tatsächlich leben nämlich die meisten Vogelarten in den Randbezirken. In den Stadtzentren können vor allem die Vogelarten existieren, die an Gebäuden nisten, also etwa Nischenbrüter wie Haussperlinge und Stadt- sowie Türkentauben. Es sind die Kosmopoliten unter den Vögeln, die sich in den Ballungsräumen wohlfühlen. Weil Städte heute fast überall auf der Welt ähnliche Bedingungen bieten, wird die Stadtfauna weltweit immer gleichförmiger. Welche Arten früher in den Städten lebten, sei allerdings gar nicht wirklich bekannt, sagt Karl-Otto Schöttler: „Das ist nie untersucht worden.“ Erst als es bereits Veränderungen gegeben habe, habe man etwa im Zuge von Renaturierungsmaßnahmen begonnen, Bestandsaufnahmen zu machen.

Der Halsbandsittich fühlt sich wohl in Köln.

Der Halsbandsittich fühlt sich wohl in Köln.

Für viele Spezialisten unter den Vögeln stellt die Stadt keine Alternative zu ihrem Lebensraum dar: Für den kürzlich vorgestellten Bericht „Die Lage der Natur in Deutschland“ des Bundesamtes für Naturschutz wurden heimische Tier- und Pflanzenarten gezählt. Mit dem Ergebnis, dass bei jeder dritten Vogelart die Bestände abnehmen. Als Grund dafür wird die intensive Landwirtschaft mit Monokulturen – vor allem Mais – genannt. Eine aktuelle Studie des Umweltbundesamtes zeigt außerdem, dass Feldvogelarten wie Feldlerche und Rebhuhn wegen des Einsatzes von Insektiziden auf den Feldern stark gefährdet sind – Arten, denen die Stadt kein Zuhause bieten kann. Dass einige Vögel in der Stadt gut zurecht kommen, heißt also nicht, dass keine Schutzmaßnahmen nötig wären. Wie uns Menschen machen übrigens auch Vögeln Lärm, Lichtsmog und Hektik in der Stadt zu schaffen. So schlafen Stadtvögel weniger als Landvögel: Forscher des Max-Planck-Instituts in Radolfzell fanden in einer Studie heraus, dass eine Amsel in der Stadt durchschnittlich 30 Minuten früher aufwacht und 40 Minuten später schlafen geht als eine Amsel, die im Freiland lebt. Vermutlich liegt das am Stadtlärm und der künstlichen Beleuchtung. Und noch etwas fanden die Vogelforscher in Radolfzell heraus: Offenbar verändert die Stadt auch nachhaltig das Verhalten von Vögeln. In Versuchen zeigten die Forscher Nachkommen von Stadtamseln und Landamseln jeweils fremde Gegenstände. Während die Landvögel sich schnell neugierig den Objekten näherten, hielten die Stadtamseln erst einmal misstrauisch Abstand. Eine eindeutige Erklärung dafür haben die Forscher nicht. Sie vermuten die Ursache darin, dass Landvögel aufgrund ihrer verlässlichen Umgebung angstfreier sind, während Stadtvögel ständig vor neuen Situationen auf der Hut sein müssen. Die Forscher hatten die Vögel von Hand aufgezogen, um sicherzugehen, dass das Verhalten der Tiere nicht erlernt, sondern angeboren war.

Der Versuch zeigt, dass die Bedingungen in der Stadt offenbar bereits zu Veränderungen im Erbgut der Tiere geführt haben. Möglich also, dass die Evolution irgendwann neue, urbane Spezies unserer Stadtvögel hervorbringt.

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