FütterungWildvögel brauchen unsere Hilfe

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Das Fett in den Meisenknödeln ist Treibstoff für die Flugkraft. (Bild: ddp)

Das Fett in den Meisenknödeln ist Treibstoff für die Flugkraft. (Bild: ddp)

Es waren fette Jahre für die Wildvögel, als auf den Äckern noch Wildkräuter blühten, Unkraut überall wuchern durfte und es üppig blühende Wildblumenwiesen gab. Doch diese Zeiten sind vorbei, warnt Peter Berthold: „Die Wildvögel brauchen unsere Hilfe.“ Und zwar nicht nur im Winter, wenn wir Meisenknödel auf dem Balkon aufhängen und verzückt beobachten, wie die herbei fliegenden Meisen und Spatzen daran picken. Auch im Sommer sollen wir füttern, fordert der Ornithologe mit dem weißen Rauschebart. Und auch die Heinz-Sielmann-Stiftung setzt sich für eine ganzjährige Zufütterung ein. Wie bitte? Wird nicht immer gepredigt, dass Vogelfütterung im Sommer schädlich sei?

Längst Schnee von gestern, sagt Berthold, der ehemalige Leiter der Vogelwarte in Radolfzell, einer Zweigstelle vom Max-Planck-Institut für Ornithologie. „Früher war es sicher sinnvoll, die Vögel nur im Winter zu füttern“, räumt er ein. „Heute aber brauchen die Tiere das ganze Jahr über zusätzliche Nahrungsangebote“, ist er sich sicher. Der Grund hierfür sei die fortschreitende Intensivierung der Landwirtschaft: „In den 50er Jahren fand man auf den Äckern zwischen Kartoffeln und Rüben noch zahlreiche Wildkräuter“, erklärt Berthold. Die Vögel ernährten sich von deren Samen und den darauf sitzenden Insekten. Heute jedoch werde der Wildkräuterwuchs zu 99,9 Prozent durch Herbizide verhindert, Insekten mit Insektiziden der Garaus gemacht. Wildblumenwiesen gebe es zudem kaum noch, der frühzeitige Grasschnitt verhindere die Samenentwicklung, Straßenränder und Gärten würden sauber und unkrautfrei gehalten und viele Blumenzüchtungen geben kaum noch Samenfutter her. Die Folge: „Den Vögeln fehlt Futter, und zwar zur Brutzeit von Mai bis Juli noch mehr als im Winter“ so Berthold. Zum einen, weil auch die Jungen in dieser Zeit gefüttert werden müssen, zum anderen, weil die Vögel in dieser Zeit besonders aktiv sind und viel umher fliegen. „Fett ist der Treibstoff für die Flugmuskeln schlechthin“, erklärt Berthold. Aus diesem Grund hätten die fetthaltigen Meisenknödel das ganze Jahr über Saison.

Selbst der Spatz ist gefährdet

Das fehlende Futter mache sich bereits an den Beständen bemerkbar. „Ein Drittel der Vogelarten in der durchschnittlichen deutschen Gemeinde sind bereits verloren, Tendenz fallend“, sagt der Ornithologe. Haubenlerche und Hänfling etwa seien zwar nicht in ganz Deutschland ausgestorben, kämen aber längst nicht mehr in allen Gebieten vor. Und auch der früher allgegenwärtige Spatz ist mittlerweile eine gefährdete Art. Berthold studierte die Langzeitfolgen einer ganzjährigen Vogelfütterung. „Bei Feldsperlingen und Meisen führte diese zu einer Verdoppelung der Brutpaare in Nistkästen“, berichtet er.

Doch was die Ganzjahresfütterung angeht, sind sich die Experten keineswegs einig. „Da gibt es zwei Lager“, weiß Falko Huckenbeck, Vogelexperte beim NABU Köln. Er selbst hält nichts davon, den Vögeln ganzjährig Futter anzubieten. „Zwar haben die Tiere heute aufgrund der Intensivierung der Landwirtschaft tatsächlich große Schwierigkeiten, Futter zu finden“, sagt er. „Die 15 bis 20 Millionen Euro im Jahr, die wir Deutschen für Vogelfutter ausgeben, sollten wir aber lieber in natürliche Schutz- und Lebensräume für Vögel investieren, in denen sie wieder Futter finden können“, sagt er. Durch den Kauf von Biogemüse könne etwa eine naturnahe Landwirtschaft unterstützt werden. Zwar verlernen Vögel nie, sich selbst Futter zu suchen. „Aber sie wählen natürlich das Futter, das leichter verfügbar ist.“ Sie bevorzugen also die Meisenkugel, auch wenn genügend Insekten herumlaufen, die sie sich aber erst suchen müssten. „Gerade in der Brutzeit brauchen die Tiere aber viele Proteine, die sie eher in der Natur als in der Meisenkugel finden“, so Huckenbeck. „Das heißt aber nicht, dass gar nicht gefüttert werden soll“, sagt er. Gegen eine Winterfütterung sei nichts einzuwenden, wenn man das richtige Futter verwende, also kein verschimmeltes Brot, das manche Menschen verfüttern.

Gutes Futter besteht aus zwei Komponenten

Ob das ganze Jahr über zugefüttert wird oder nur im Winter, muss letztlich jeder für sich selbst entscheiden. Wichtig ist, das richtige Futter zu verwenden. „Ein gutes Vogelfutter besteht aus zwei Komponenten“, so Berthold. Die eine sei Körnermischfutter, das ausgestreut wird, in Futterhäuschen oder Futtersilos. Die zweite sei das Fettfutter, etwa Meisenknödel, bei dem die Körner im Prinzip nur Beiwerk seien und das Fett die eigentlich wichtige Zutat sei. Beim Körnermischfutter kommt es auf die richtige Mischung an. So brauchen Vögel im Sommer weniger Sonnenblumenkerne als im Winter, dafür bieten sich Salat- und Distelsamen an. Berthold rät, auf Fertigmischungen zurückzugreifen. „Die Mischungen der Vogelfutterhersteller sind der jeweiligen Jahreszeit angepasst und der Käufer braucht sich keine Gedanken über die Zusammensetzung des Futters zu machen“, so der Wissenschaftler. Ungesalzene Erdnüsse dagegen müssen meist separat gekauft werden. „Sie sind aufgrund des hohen Fett- und Proteingehalts ein wichtiges Futter für viele Arten“, so Berthold. Damit auch kleine Vögel davon profitieren können, sollten sie in speziellen Spendern angeboten werden. Tischreste sind als Futter tabu. Neben der Futterstelle sollte, im Sommer wie im schneefreien Winter, eine Tränke zur Verfügung stehen.

Mit bestimmten Futter oder bestimmten Fütterungsmethoden lassen sich auch unterschiedliche Vogelarten ansprechen. So bevorzugt der Stieglitz, dessen Artbestand stark rückläufig ist, als Futter Nigersaat, die Samen des Ramtillkrauts. Die winzigen Zaunkönige lassen sich mit einer speziellen Vorrichtung anlocken: Dazu befestigt man ein Brett schräg unten an einer Hauswand und stellt darunter eine kleine Schüssel mit Mehlwürmern. Neben dem Zaunkönig werden auch Rotkehlchen und die zwar nicht gefiederten, aber ebenfalls schützenswerten Spitzmäuse, darauf zurückgreifen. Andere Vogelarten werden sich aber nicht an diese Stelle verirren. Bussarde lassen sich in entsprechenden Gegenden mit Fleischbrocken locken, wobei hier nur bestimmte Fleischsorten erlaubt sind, etwa Rinderherzen.

Weder im Sommer noch im Winter füttern sollte man allerdings Wasservögel, warnt Berthold. „Diese finden auch alleine genügend Nahrung, weil das ganze Jahr über Wasserpflanzen wachsen.“ Ist etwa der Teich zugefroren, erledigen die städtischen Naturschutzverbände die Fütterung. „Durch zu starke Fütterung wird die Wasserqualität gefährdet und dies schadet auch den Vögeln“, so Berthold.

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