Gespaltenes Ich

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Im Ladenlokal von Drama Köln am Karolingerring.

Im Ladenlokal von Drama Köln am Karolingerring.

Zwei Frauen putzen sich gegenseitig die Zähne. Anscheinend ein sonderbarer Spleen in dieser Zweier-WG, mag das Publikum denken. Bis es gewahr wird, dass die beiden Frauen, die hier Einblick in ihren Alltag gewähren, ein und dieselbe sind: Eine Persönlichkeitsspaltung in ein privates und ein öffentliches Ich führen die Schauspielerinnen Katja Brenner und Maren Schlüter mit „Daheim.allein“ vor - am Beispiel einer Frau um die Dreißig. Sie sollte Leistungsträgerin sein, ist aber gnadenlos überfordert. Drama Köln hatte jetzt die Münchner Produktion des Regieduos Philine Velhagen und Barbara te Kock in ihr Büro am Karolingerring eingeladen.

Das „Lieschen Müller“ des Jahres 2007: Dessen öffentliche Hälfte misst ihren Wert etwa nach dem Inhalt des Kühlschranks: Sind dort „gute“ Produkte aus dem Reformhaus oder „nur“ die Bioware vom Discounter? „Bin ich noch Boheme oder bin ich schon Unterschicht?“: Darin gipfelt die Selbstbefragung dieser nach Selbstverwirklichung strebenden Frau, die nicht ohne finanzielle Unterstützung der Eltern leben kann. Ihre private Hälfte hört angesichts der prekären Lage am liebsten eine Wohlfühl-CD und träumt davon, mit einem gut verdienenden Mann an der Seite in einer Siebenzimmerwohnung Kinder in die Welt zu setzen. Träume, die an der Realität zerschellen.

Auch die Inszenierung setzt auf Desillusion. In Unterhosen laufen die beiden Schauspielerinnen mitten durch das Publikum und kommen diesem bis auf Mundgeruchsabstand nahe. So nahe, als wäre das Publikum gar nicht da. Auf der anderen Seite - und das ist das Bemerkenswerteste - öffnet sich der Theaterraum nach außen. Am Anfang befinden sich die Zuschauer noch außerhalb des Ladenlokals und blicken durch das Schaufenster in das Zuhause hinein. Später befindet sich das Publikum im Innenraum und die Schauspielerinnen laufen nach draußen. Die Zuschauer können nun beobachten, wie zufällig vorbeikommende Passanten die beiden hysterisch gestikulierenden Miminnen realiter für nicht gesellschaftsfähig halten: Offenbar ist hier jemand nicht in der Lage, sein „Zuhause“ für sich zu behalten, signalisieren die befremdeten Blicke der unfreiwilligen Zuschauer. Damit ist viel mehr als bloße Situationskomik geschaffen. Privatheit und Öffentlichkeit haben die Rollen getauscht. Insgesamt ein entlarvender, faszinierend präziser Blick auf die Gesellschaft.

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