In Engelskirchen untergetaucht

Lesezeit 5 Minuten

Judenstern, Ausgrenzung und Angst. Kein Kino, keine Schule und kein Luftschutzbunker. Hannelore Sara Jakoby, Jahrgang 1933, galt als Jüdin. Der Vater Jude, die Mutter Katholikin. Da half die katholische Taufe 1941 wenig.

Engelskirchen - „Der Name Sara wurde von den Nazis in meinen Namen eingefügt damit man mich gleich als Jüdin erkannte“, erzählt sie heute. Die Nazis kümmerten sich wenig um Taufen. In ihrem Rassenwahn wollten sie die Juden völlig ausrotten. Auch eine Elfjährige war eine Feindin des Volkes.

Lange Zeit konnte ihre Familie die Geschichten über Lager und sonstige Gräueltaten nicht glauben. Sie blieben in Köln - zwar in ständiger Angst doch wo sollten sie hin? Im September 1944 erhielten Hannelore und ihr Vater den Bescheid, sich im Sammellager in Köln-Müngersdorf zu melden. „Da wussten wir, dass wir jetzt endgültig untertauchen mussten“, erzählt Jakoby. Eilig packte die Familie einige Habseligkeiten in eine Tasche und tauchte unter. Zunächst fanden sie bei Freunden in Köln-Kalk Unterschlupf, doch die Zwischenstation bot nicht lange Schutz. Während eines Luftangriffes musste die Familie in den Luftschutzkeller flüchten. Oben fielen die Bomben und legten die Stadt in Schutt und Asche. Unten kam schnell die Frage auf: „Warum ist denn dieser gesunde Mann nicht an der Front?“

„Das war's dann mit unserem Versteck. Wir mussten wieder schnell weg“, erzählt Jakoby. In windes Eile packten Vater, Mutter und Hannelore ihre wenigen verbliebenen Habseligkeiten und verließen ihre Heimatstadt in Richtung Bergisches Land. „Wir hatten wegen der vielen Luftangriffe auf Köln ein kleines Zimmer in Engelskirchen gemietet. Wenn es zu schlimm war sind wir manchmal dahin geflüchtet.“

In der oberbergischen Gemeinde lebten damals schon viele Ausgebombte aus Köln. In der Menge fielen die katholische Mutter und Hannelore nicht besonders auf und taten alles, um keinen Verdacht zu erregen. „Damit keiner merkte, was los war, bin ich besonders oft in die Kirche gegangen.“ Hannelore war eine vorbildliche Katholikin. Der Name Sara war irgendwo zwischen Köln und Engelskirchen verloren gegangen. „Der ist in den Rhein gefallen“, schmunzelt sie heute.

„Ich war damals zwar erst elf Jahre alt aber ich habe schon vieles verstanden.“ Mit anderen Kindern durfte sie kaum spielen, nicht in die Schule gehen. „Ich musste Kontakt vermeiden und bin den anderen Kindern aus dem Weg gegangen. Kinder fragen zu viel.“

Für den Vater war es schwerer, ein Versteck zu finden. „Ein wehrfähiger Mann war ja zu der Zeit schon fast eine Seltenheit“, erzählt Jakoby. Pastor Huhnen aus Engelskirchen war die Rettung. „Mein Vater konnte sehr gut Französisch sprechen. Das hat ihm geholfen“, erzählt sie weiter. Aus dem Vater wurde kurzerhand ein französischer Zwangsarbeiter, der dem Pfarrer bei allerlei Arbeiten am Haus zur Hand ging. Doch irgendwann wurden die Fragen nach dem vermeintlichen Franzosen zu viel. Der Vater musste wieder untertauchen. „Pfarrer Huhnen konnte meinen Vater bei sich nicht mehr schützen. Deswegen hat er ihn in einer kleinen, abgelegene Baracke bei Loope versteckt“, erzählt sie. Seine Entdeckung wäre sein Todesurteil gewesen. In ihrer Angst vertraute sich die Mutter einem deutschen Offizier namens Siller an. „Der war für einige Zeit in unserem Haus einquartiert“, erzählt Jakoby. Der Offizier überlegte nicht lange. Obwohl er sein Leben riskierte stellte er dem Vater auf einen falschen Namen Entlassungspapiere aus der Wehrmacht aus. Im Falle einer Entdeckung hätte der Vater zumindest eine Chance gehabt.

Den Vater in der Baracke sah Hannelore Jakoby nicht oft. Er traute sich nur nachts aus seinem Versteck. „Wir haben uns manchmal zu ihm in die Baracke geschlichen um ihn noch einmal zu sehen.“

Mutter und Tochter hielten sich mit Handarbeiten über Wasser. Die Mutter meldete sich später in Engelskirchen polizeilich an um Lebensmittelkarten zu erhalten. Für die Tochter war dieser Weg von vornherein ausgeschlossen. „Wir sind über die Bauernhöfe gezogen und haben genäht. Dafür haben wir dann etwas zu essen bekommen.“

Die Luftangriffe erlebte sie immer voller Zwiespalt, besonders die schweren Bombardierungen am 19. und 28. März 1945. „Einerseits hatte ich ungeheure Angst vor den Bomben. Andererseits brachte jede Bombe unsere Befreier näher.“ Ein weiteres Gefühl machte sich in diesen Augenblicken im Luftschutzkeller bei ihr breit: „Es war dieses Gemeinschaftsgefühl. Alle hatten die gleiche Angst wie ich. Das kannte ich gar nicht mehr.“

Als die Amerikaner am 12. April einmarschierten war die Erleichterung groß. „Wir hatten überlebt - waren endlich frei.“ Der Vater wurde von der neuen Militärverwaltung beauftragt, Lebensmittel für Engelskirchen zu beschaffen. Als er sich nun in Engelskirchen polizeilich meldete, wurden sein Name und Geburtsdatum sauber in die Karteikarte eingetragen. Und ein Vermerk „Jude“. So schnell änderte sich die Denkweise in den Amtsstuben nicht.

Und die Verwandten? „Wir hatten damals in Köln eine große, weit verzweigte Familie. Wir wussten nichts von deren Verbleib“, erzählt Hannelore Jakoby. Monate, teilweise Jahre, vergingen zwischen Hoffen und Bangen. Der Vater fuhr die Konzentrationslager ab, um mehr über den Verbleib der Angehörigen zu erfahren - meist vergebens. Von einer großen Familie mit langer Tradition in Köln, Schulkameraden und Freunden kam kaum jemand zurück. Die Großtante und ein Cousin. Der Rest ermordet in Konzentrationslagern.

Kann man da im Land der Täter weiter leben? Hannelore Jakoby denkt über diese Frage einen Augenblick nach. „Wo sollten wir denn hingehen? Wir waren keine Zionisten und Deutschland war doch unsere Heimat. Wir waren sehr deutsch.“

Im Nachhinein stellt sich auch die Frage, wer alles bescheid wusste? „Unsere Vermieter wussten, dass ich Jüdin bin. Andere ahnten vielleicht etwas, haben aber nichts gesagt“, erzählt Jakoby.

Lange konnte Hannelore Jakoby nicht über ihre Vergangenheit reden, wollte am liebsten einfach vergessen und wie andere leben. Inzwischen hält sie Vorträge in Schulen und Museen. Gegen das Vergessen, damit nie wieder Menschen in Deutschland um ihre Leben fürchten müssen.

KStA abonnieren