Interview„Zöliakie immer erst ausschließen“

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Professor Wolfgang Holtmeier ist Chefarzt für Gastroenterologie, Innere Medizin und Diabetologie in Porz.

Professor Wolfgang Holtmeier ist Chefarzt für Gastroenterologie, Innere Medizin und Diabetologie in Porz.

Herr Holtmeier, nur 0,5 Prozent der Deutschen leiden unter einer echten Glutenunverträglichkeit, der Zöliakie. Wieso misstrauen viele dennoch Weizenprodukten?

Wolfgang Holtmeier: In letzter Zeit wurde in den Medien sehr viel über Nahrungsmittelunverträglichkeiten wie Laktoseintoleranz und Glutenunverträglichkeit und mögliche Beschwerden berichtet. Viele Patienten mit unspezifischen Symptomen wie Blähungen und Bauchkrämpfen fühlen sich hierdurch angesprochen. Der größte Teil meidet Weizen jedoch nicht aufgrund von Magen-Darm-Beschwerden, sondern weil sie gelesen haben, dass sie hierdurch gesünder und schlanker werden. Diese Vorstellung entbehrt jedoch jeder wissenschaftlichen Grundlage. Leider gibt es einige Promis, die diesen Lebensstil propagieren.

Was raten Sie Patienten, die glauben, Brot nicht gut zu vertragen?

Holtmeier: Man sollte auf keinen Fall einfach auf Weizenprodukte verzichten. Die glutenfreie Ernährung schadet zwar nicht, aber wer vermutet, eine Weizenunverträglichkeit zu haben, sollte zunächst eine Zöliakie ausschließen. Hierbei wird ein Bluttest (IgA-Transglutaminase-Antikörper) und bei positivem Befund noch eine Dünndarmbiopsie durchgeführt. Erst dann sollte eine glutenfreie Ernährung ausprobiert werden. Unter Diät lässt sich später ansonsten eine Zöliakie nicht mehr nachweisen.

Welche Getreidesorten enthalten besonders viel Gluten?

Holtmeier: Weizen, Dinkel, Roggen und Gerste enthalten viel Gluten. Das Gluten wird auch als Klebereiweiß bezeichnet, da es Teig elastisch macht. Gluten wird aber auch in Fertigprodukten, Fruchtjoghurts oder Wurst eingesetzt, so dass eine glutenfreie Diät sehr komplex ist.

Was macht die Diagnose einer Weizensensitivität schwierig?

Holtmeier: Die Beschwerden bei den Diagnosen Reizdarm, Zöliakie und Weizensensitivtät können identisch sein. Während eine Zöliakie sicher in Blut und Dünndarm nachweisbar ist, handelt es sich sowohl beim Reizdarm als auch bei der Weizensensitivität um eine Ausschlussdiagnose. Es müssen erst andere Erkrankungen ausgeschlossen werden, bevor die Diagnose einer Weizensensitivität zulässig ist. Die Diagnose stützt sich alleine auf die Angaben des Patienten, dass er sich unter einer weizenfreien Diät besser fühlt. Ähnlich wie bei Medikamenten ist jedoch auch bei einer Diät der Placebo-Effekt nicht zu unterschätzen. Weder beim Reizdarm noch bei der Weizensensitivität können krankhafte Veränderungen im Blut oder Darm nachgewiesen werden.

Blähungen oder Durchfall scheinen nicht so gravierend zu sein. Wie kann sich eine Zöliakie im schlimmsten Fall auswirken?

Holtmeier: Das Immunsystem wird durch Gluten fälschlicherweise so aktiviert, dass es sich gegen das eigene Gewebe richtet und die Darmzotten zerstört. Schließlich kann es zu einer dauerhaften Entzündung der Dünndarmschleimhaut mit schweren Durchfällen kommen. Im Extremfall nimmt der Darm keine Nahrung mehr auf. Früher sind Patienten sogar an dieser Erkrankung verstorben. Glücklicherweise erkranken heutzutage die meisten Patienten an einer leichten Form der Zöliakie, die jedoch häufig übersehen wird. Deshalb ist es so wichtig, dass immer an eine Zöliakie gedacht wird und diese ausgeschlossen wird, bevor eine glutenfreie Diät begonnen wird.

Das Gespräch führte Lioba Lepping

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