„Horrortrip“ für RollstuhlfahrerWenn Fahrstühle in Köln zur Falle werden

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Auch der Aufzug an der Freitreppe zum Dom ist defekt. Wieder muss Fox die Rolltreppe nehmen.

Auch der Aufzug an der Freitreppe zum Dom ist defekt. Wieder muss Fox die Rolltreppe nehmen.

Köln – Wenn Johannes Fox von seinem selbst ernannten „Horrortrip“ erzählt, merkt man ihm die Wut an, die er bei der Erinnerung daran verspürt. „Das hat mir den Mut genommen“, sagt der 78-Jährige. Denn als er eigentlich nur einen Ausflug mit seiner Frau Renate unternehmen wollte, musste er auf dem Weg in die Kölner Innenstadt einige Hindernisse überwinden.

Der 5. Mai ist ein guter Tag, um seine Geschichte zu erzählen. Denn dieser Tag ist der Europäische Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung. Er soll darauf hinweisen, dass auch im Jahr 2017 noch nicht alle Menschen die gleichen Chancen im Leben haben und Menschen mit Behinderung oft Barrieren überwinden müssen, an die gesunde Menschen nicht einmal einen Gedanken verschwenden – auch in einer modernen Großstadt wie Köln.

Fox’ „Horrortrip“ passiert an einem Sonntag. Er will zum allerersten Mal mit seinem neuen Rollstuhl ins Wallraf-Richartz-Museum. Erst seit wenigen Tagen ist er zurück aus der Reha, an das neue Gefährt hat er sich noch nicht richtig gewöhnt. Die vergangenen Wochen im Krankenhaus waren hart. Eine Gehirnblutung riss den Rentner aus dem Alltag und zwang ihn in den Rollstuhl.

Fahrstuhl kaputt – „Uns blieb nur die Rolltreppe“

Fox wohnt in Lövenich, um die Innenstadt zu erreichen, ist er auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen. „Das war bislang nie ein Problem“, sagt Fox, der aufgrund seiner gesundheitlichen Verfassung nur wenig redet.

An jenem Sonntag machen sich Johannes Fox und seine Frau also auf den Weg. Bis zum Bahnhof Lövenich sind es nur 500 Meter, doch für die Strecke brauchen die beiden eine gefühlte Ewigkeit.

Mit der Bahn am Kölner Hauptbahnhof angekommen, beginnt für Johannes und Renate Fox die Odyssee: Um zum Museum zu kommen, müssen sie die U-Bahn-Linie 5 nehmen. Diese ist über einen Aufzug zu erreichen. Doch dafür müssen die Rentner das Bahnhofsgebäude verlassen und zur Freitreppe am Dom gelangen. Versteckt hinter einer Ecke finden sie den Fahrstuhl. „Der funktionierte einfach nicht“, erinnert sich Fox. Sie haben mühselig den gesamten Bahnhofsvorplatz überquert, nur um festzustellen, dass der einzige Aufzug zum U-Bahn-Gleis nicht funktioniert. „Da blieb uns nur noch die Rolltreppe“, sagt Fox.

Defekte Fahrstühle auch am Heumarkt

Also schiebt ihn seine Frau wieder zurück in die Bahnhofshalle. Er stützt seine Hände auf die Lehnen des Rollstuhls und drückt sich mit viel Kraft hoch. Seine Frau hilft ihm, sie halten den Rollstuhl fest und fahren die Rolltreppe hinunter. So schaffen sie es immerhin zum U-Bahn-Gleis. „Für einen nicht gehfähigen Rollstuhlfahrer wäre hier die Fahrt zu Ende gewesen“, sagt Fox.

Am Gleis wartet schon die nächste Herausforderung: Sobald die Bahn einfährt, muss es schnell gehen. Fox kann sich nur langsam bewegen und muss den Rollstuhl gemeinsam mit Frau Renate in die Linie 5 heben. Sie überwinden auch diese Barriere und landen nach kurzer Fahrt an der Station Heumarkt.

An der Station Heumarkt funktioniert keine der Rolltreppen – ein großes Hindernis für Fox.

An der Station Heumarkt funktioniert keine der Rolltreppen – ein großes Hindernis für Fox.

Man möchte meinen, dass Fox und seine Frau es nun geschafft haben. Doch weit gefehlt. Am Heumarkt – ähnlich wie am Hauptbahnhof – funktioniert keiner der Aufzüge. In der Station gibt es einen Aushang, der darauf hinweist. „Das hätte einer Warnung bereits am Hauptbahnhof bedurft“, findet Fox. Es bleibt ihm also nur, erneut den Rollstuhl zu verlassen und wieder die lange Rolltreppe nach oben zu ertragen.

„Ich habe erst mal genug von der Innenstadt“

Immerhin schaffen es die beiden Rentner so zum Wallraf-Richartz-Museum. Sie verbringen nur wenig Zeit dort, die beschwerliche Anreise hat sie müde gemacht und ihnen außerdem die Laune verdorben. „Das war kein schöner Tag“, sagt der 78-jährige Fox.

Als sie nach vielen Stunden stressiger Reiserei nachmittags wieder in ihrem Wohnzimmer in Lövenich sitzen, beschließt Fox für sich: „Ich werde nie wieder die Verkehrsmittel der Stadt benutzen.“ Er ist sauer auf die Stadt, kann nicht verstehen, dass die Aufzüge und Rolltreppen so störanfällig sind. Fox muss einsehen, dass er mit seiner neuen Behinderung nun neuen Herausforderungen ausgesetzt ist. Und das, obwohl er gesundheitlich schwächer ist als vor der Gehirnblutung.

Das nächste Mal muss er wohl ein Taxi rufen. „Aber ich habe erst mal genug von der Innenstadt“, sagt er. Ein erneuter Besuch im Museum ist nicht geplant.

„Das Pflaster in der Altstadt ist anstrengend“ – Fragen zur Barrierefreiheit in Köln

Sascha Decker hat die Umfrage zur Barrierefreiheit für Aktion Mensch 2012 konzipiert und begleitet seitdem die Durchführung. Im Interview spricht er über die Barrierefreiheit in Köln.

Herr Decker, in der jüngsten repräsentativen „Aktion-Mensch“-Umfrage zur Barrierefreiheit schneidet Köln im Vergleich mit den vier anderen Millionenstädten Deutschlands am schlechtesten ab – nicht zum ersten Mal. Was haben die befragten Personen bemängelt?

Bedarf sehen die Befragten bei den Arbeitsplätzen, im öffentlichen Raum in der Altstadt und im Bereich Wohnen. Auch Gastronomie und generell Orte, an denen man abends ausgehen kann, sind schwer zugängliche Bereiche. Köln hat sich im Vergleich zu unseren Umfragen in den vergangenen Jahren zwar leicht verbessert, liegt aber immer noch leicht unter Bundesdurchschnitt.

Was würden Sie empfehlen, um Köln in Sachen Barrierefreiheit voranzubringen?

In der Wirtschaft, vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen, kann noch einiges getan werden. Stichwort Fachkräftemangel: Unternehmen können davon profitieren, wenn sie ihre Arbeitsplätze auch für Menschen mit Behinderung gestalten. In diesem Bereich gibt es viele Beratungsangebote, um Unternehmen zu unterstützen. Und es gibt sehr positive Beispiele: Drei Viertel der Unternehmen stellen keine Leistungsunterschiede bei ihren Mitarbeitern mit Behinderung fest.

Wie sieht es im öffentlichen Raum aus?

Wirten in der Gastronomie kann ich nur empfehlen, ihre Gaststätten barrierefrei zu gestalten. Menschen mit Behinderung sind eine große Zielgruppe, das ist jeder Zehnte. An anderen Stellen ist es nicht immer einfach, zum Beispiel ist das Kopfsteinpflaster in der Altstadt extrem anstrengend für Rollstuhlfahrer. Trotzdem möchte man natürlich das Stadtbild erhalten. Hier gilt es, gute Lösungen für die Teilhabe zu finden.

Wie kann man Barrierefreiheit überhaupt messen?

Das ist nicht leicht. Man kann Menschen mit Behinderungen befragen, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind. Man kann einen Sehbehinderten fragen, wie er mit der Benutzung einer Internetseite zurechtkommt. Wir haben diese Methode in unserer Umfrage angewandt und Menschen nach ihrer subjektiven Empfindung gefragt.

Das Gespräch führte Johanna Regenhard.

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