Mein VeedelQuerfeldein mit dem Radcross-Weltmeister Rolf Wolfshohl

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Das war sein Abenteuerspielplatz: Radcross-Weltmeister Rolf Wolfshohl tobte in seiner Kindheit rings um den Wassergraben von Haus Herl.

Das war sein Abenteuerspielplatz: Radcross-Weltmeister Rolf Wolfshohl tobte in seiner Kindheit rings um den Wassergraben von Haus Herl.

Mülheim – Im Grunde war es ja klar: Der mit der Fünf in Sport, der musste eines Tages Weltmeister werden. Allerdings nicht zu Fuß. „Ich konnte zu Schulzeiten nicht laufen, nicht springen, nicht werfen“, erinnert sich Rolf Wolfshohl, der spätere dreifache Weltmeister im Radcross, dem Querfeldein-Fahren. „Ich hab es nie zum Sportabzeichen gebracht.“

Beim Fußball habe er nie mitspielen dürfen. Nach dem Unterricht seien seine Klassenkameraden von der Volksschule an der Alten Wipperführter Straße in Buchheim zur nahen Merheimer Heide gelaufen. An der Ecke von Buchheimer Ring und Schlagbaumsweg liegt heute noch ein Bolzplatz mit zwei Fußballtoren. „Mich wollte bloß nie einer im Team“, erzählt Wolfshohl, „ich konnte wirklich nicht laufen.“ Er grinst und schiebt sich die randlose Brille von der Nasenspitze ins graue Haar. „Ich war dann meist die Eckfahne.“

Karrierestart auf dem Bolzplatz

Was möglicherweise sein sportlicher Tiefpunkt war. Aber es war auch der Ort, an dem die Karriere des heute 75-Jährigen begann. Um den Bolzplatz herum führte damals eine Aschenbahn. „Da haben abends die besten Amateure vom RC Tempo Mülheim trainiert.“ Wolfshohl sah das, wenn er von der Arbeit nach Hause fuhr. Im Alter von 14 Jahren hatte er eine Lehre zum Zerspanungsmechaniker begonnen, einem Dreher und Fräser bei Klöckner-Humboldt-Deutz. Nach Deutz fuhr er von Buchheim aus sechs Tage die Woche mit dem Rad, ein anderes Transportmittel konnte er sich nicht leisten. Der Heimweg führte vorbei an der Merheimer Heide.

„Da habe ich die abends auf ihren Rennrädern auf der Aschenbahn gesehen“, berichtet Wolfshohl. „Und ich hab mich mit meinem Miele-Hibiduri-Rad drangehängt.“ Hibiduri – die Abkürzung steht für „Hier bist du richtig“. „Meins war weinrot“, weiß Wolfshohl noch, „natürlich mit Schutzblechen. Aber ich bin trotzdem an den Rennfahrern dran geblieben.“ Anfangs habe der Trainer ihn verjagen wollen, schließlich habe er ihn aber beiseite genommen, ihm eine Radrennfahrer-Ausrüstung geliehen mit den Worten: „Junge, Du hast Talent.“

Der Rest ist Geschichte: Zwölf Weltmeisterschafts-Medaillen, darunter drei goldene im Querfeldeinfahren, 14 Mal Deutscher Radcross-Meister, zweimal Deutscher Straßenfahrmeister, Sieger bei der Spanienrundfahrt 1965, der Vuelta, neunmal bei der Tour de France gestartet, zwei Etappensiege und 1968 auch den sechsten Platz im Gesamtklassement belegt.

„Als ich 1960 zum ersten Mal Weltmeister geworden war“, sagt Wolfshohl, „haben sie für mich die Herler Straße mit Girlanden geschmückt.“ In Haus Nummer 83 lebte er mit seiner Mutter und seiner Schwester. „Das war was Besonderes damals. Am Bahnhof hat mich sogar Bürgermeister Theo Burauen mit dem Stadtrat empfangen.“

Bis zu seinem 21. Lebensjahr wohnte Wolfshohl in der gleichen Wohnung im ersten Stock. Den Vater hat er dort nie bewusst gesehen. „Er war nach Russland eingezogen worden“, schildert der Sohn. „Meine einzige Erinnerung an ihn ist eine, da muss ich ungefähr fünf Jahre alt gewesen sein. Da haben meine Mutter und ich ihn in Königsberg besucht, dem heutigen Kaliningrad. Ich erinnere mich noch an das viele Wasser in der Stadt.“ Später war der Vater in die Ardennenschlacht nach Belgien verlegt worden, wo er im Mai 1945 starb. „Meine Schwester hat er nie kennen gelernt“, sagt Wolfshohl. „Sie ist 1944 zur Welt gekommen.“ In jenem Jahr, in dem das Haus an der Herler Straße evakuiert wurde und Wolfshohl mit seiner Mutter und dem Baby nach Jena kam. „Davor hatten die Bombenangriffe auf Köln begonnen. „Die ersten habe ich mitbekommen. Ich weiß noch, dass wir immer nach den schönsten Bombensplittern gesucht haben, sobald wir aus den Bunkern wieder raus durften.“ Er schweigt einen Augenblick. „Manchmal“, setzt er dann nach, „haben wir auch Leute gesehen, die es nicht mehr rechtzeitig in die Bunker geschafft hatten.“

Als Jena zwei Jahre später unter die Kontrolle der Russen gestellt werden sollte, wollte Wolfshohls Mutter heim nach Köln. „Wir haben uns einem Treck aus Pferdewagen angeschlossen, solange, bis die Russen die Pferde erschossen haben.“ Zu Fuß hätten sie sich weiter durchgeschlagen bis nach Kassel. „Von da aus haben wir es irgendwie in Güterzügen zurück nach Köln geschafft.“ Zurück tatsächlich an die Herler Straße, das Haus mit ihrer Wohnung darin stand noch. Die Verantwortlichen der Stadt hätten ihnen die Wohnung mit einer weiteren Familie zugewiesen. „Die Wohnungsnot war groß damals.“ Was folgte, war eine Rest-Kindheit, die Wolfshohl lächeln lässt, als er zum Beispiel am Wassergraben von Haus Herl am Buchheimer Ring 2 steht. Die älteste Kölner Wasserburg zählte im neunten Jahrhundert zu den fränkischen Königshöfen. Der heutige Eigentümer Horst Schlaghecken war einer der Mitschüler von Wolfshohl. „Im Winter“, verrät der, „sind wir hier immer Schlittschuh gelaufen. Im Sommer haben wir Schiffchen auf dem Wasser fahren lassen oder haben versucht, uns an den Ästen einer Weide über den Wassergraben zu schwingen.“

Tiefschlaf zur Wandlung

Nicht so gut gelaufen sei es für ihn in der Pfarrgemeinde Sankt Mauritius an der Ahl Wipp, wie die Buchheimer die Alte Wipperführter Straße nennen. „Da hatte ich als Messdiener angefangen“, beichtet Wolfshohl, „und an einem Tag, als ich klingeln sollte, na ja, da bin ich eingeschlafen. Der Priester musste mich wecken fürs Klingeln. Tja, und das war’s dann mit meiner Karriere als Messdiener.“

Und auch in der Schule sei nicht immer alles nach Plan verlaufen für ihn. „Da hat es auch mal Ohrfeigen gesetzt“, vergegenwärtigt er sich. „Oder ich musste früher kommen und den Ofen schon mal anfeuern oder die Blumen vom Rektor gießen.“ Strafen seien alltäglich gewesen. „Wenn man nur unruhig auf dem Stuhl saß, sich mit dem Nachbarn austauschte oder sich auf dem Schulhof prügelte – das waren alles Gründe für eine Bestrafung.“ Schlimm sei es gewesen, wenn der Lehrer sie zum Bachlauf der nahen Strunde geschickt habe. „Da mussten wir uns Reetstöcke schneiden, mit denen er uns hinterher verprügelt hat.“ Wolfshohl seufzt. „Das waren andere Zeiten damals.“

1960 zog er fort. „Ich war 21 geworden, gerade volljährig, da konnte ich meine Frau heiraten.“ Gemeinsam zogen sie ins bergische Land nach Neunkirchen-Seelscheid. Von dort fährt Wolfshohl heute noch täglich mit dem Rad zur Arbeit.

In Rath/Heumar leitet er die Zweiradwelt Rowona im Gewerbegebiet an der Pauline-Christmann-Straße 6. Ehefrau Karin führt die Buchhaltung, Tochter Monika hilft aus, sie ist gelernte Fahrradmechanikerin. Um ins Geschäft zu kommen sind es 30 Kilometer Weg pro Strecke für Wolfshohl. Wie lange er das beibehalten will? „Bis ich tot umfalle“, antwortet er. „Wenn ich Rad fahre, fühle ich mich besser. Der Bauch ist nicht da, ich kann mich bücken und mir die Schuhe zubinden, ohne eine Pause zu machen. Rad fahren tut mir gut.“ Sagt der Weltmeister, der eine Fünf hatte in Sport.

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