AfD-Debatte in KölnDer Birlikte-Eklat reißt tiefe Wunden auf

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Tumulte auf der Bühne im Depot I des Schauspielhauses, rechts Meral Sahin.

Tumulte auf der Bühne im Depot I des Schauspielhauses, rechts Meral Sahin.

  • 150 Demonstranten haben beim Birlikte-Fest die Diskussion mit AfD-Mitgründer Konrad Adam gestürmt.
  • Meral Sahin, Vorsitzende der IG Keupstraße, wollte darüber sprechen, warum ihr eine Diskussion mit Konrad Adam wichtig ist - doch sie kam kaum zu Wort.
  • Schauspiel-Intendant Stefan Bachmann sagte die Debatte ab.

Köln – Ein Mitschnitt mit einer Smartphone-Kamera wird zum Zeitdokument: Meral Sahin, türkeistämmige Sprecherin der Interessengemeinschaft der Kölner Keupstraße, kämpft gegen Pfiffe und Buh-Rufe an.

„Bitte, bitte“, ruft sie ins Publikum. „Es gibt Redebedarf. Wir sind in einem demokratischen Land.“ Es sind keine Rechtsextremen, die sie am Reden hindern, sondern Demonstranten aus linken Gruppen.

Was Sahin und diejenigen wollen, die sie vertritt, spielt keine Rolle mehr. Aus der Demo gegen die rechtspopulistische AfD ist eine Demo gegen die Veranstalter von „Birlikte“ geworden.

Alles zum Thema Henriette Reker

„Was gilt es zu verteidigen?“ hatten das Kölner Schauspiel und der WDR eine Diskussionsrunde mit der Integrationsexpertin Naika Foroutan und dem AfD-Mitbegründer Konrad Adam überschrieben. Es war eine von über hundert Veranstaltungen im Rahmen eines großen Festes, das die Vielfalt feiern, aber auch Denkanstöße für die Zukunft geben will.

Die Debatte über die Frage, ob man im Rahmen von „Birlikte“ einen AfD-Mann einladen dürfe, überlagerte bereits im Vorfeld vieles. Dass es Proteste geben würde, war absehbar.

Von der Heftigkeit wurden die Veranstalter jedoch überrascht. „Kritik und auch Protest sind gerechtfertigt“, sagt Hermann Rheindorf von der Künstlerinitiative „Arsch huh“, die zusammen mit der IG Keupstraße, dem Schauspiel und der Stadt Birlikte organisiert. „Aber mit solch diffamierenden Methoden war nicht zu rechnen. Eine Einschränkung der Meinungsfreiheit ist inakzeptabel.“

„Reden unmöglich geworden“

„Durch das Verhindern des Gesprächs zwischen Naika Foroutan und Konrad Adam unter Einbeziehung des Publikums wurde ein wichtiger Teil von Birlikte beschädigt“, sagt Schauspiel-Intendant Stefan Bachmann am Tag danach. Das diesjährige Motto „Zusammenreden“ schließe „Streit, Meinungsverschiedenheiten und möglicherweise auch offenen Protest mit ein.“ Durch den Sturm des Theaters sei jedoch „jedes Reden unmöglich geworden“.

Auf die Durchsetzung des Hausrechts mit Hilfe der Polizei hatte Bachmann in Absprache mit den anderen Veranstaltern verzichtet. Die Grundgedanken von Birlikte seien schließlich Gewaltfreiheit, Offenheit und Meinungsfreiheit.

Meral Sahin hat die Attacke auch persönlich getroffen. Sie hat in ihrem Leben mehrere Diskriminierungserfahrungen bis hin zu körperlichen Angriffen erlebt. Wo, wenn nicht bei dem von ihr mitverantworteten Fest „Birlikte“ fände sich ein besserer Rahmen, um zu fragen: „Warum werde ich nicht ausgehalten? Warum werden Flüchtlinge und Migranten als Störfaktor gesehen?“ Das hätte sie den AfD-Mann gerne gefragt.

„Die Demonstranten meinen, sie müssten mich beschützen. Aber dieser Schutz schadet.“ Sie fühle sich bevormundet. Es stehe den Organisatoren von Birlikte zu, eine solche Veranstaltung ins Programm zu nehmen, sagt Rheindorf.

Die Position des vierten Veranstalters im Bunde, der Stadt Köln, war und ist nicht ganz so eindeutig. Oberbürgermeisterin Henriette Reker verurteilte, „dass eine demokratische Diskussionsveranstaltung gewaltsam gesprengt wird“. Sie betonte aber auch , dass sie sich dagegen ausgesprochen hatte, die Auseinandersetzung mit der AfD und ihren Positionen am Tag des Festes und in Mülheim stattfinden zu lassen. Der Intendant des städtischen Schauspiels konnte sich trotzdem vehement gegen eine Absage oder Verlegung einsetzen. Am Montag betonte Stefan Bachmann noch einmal: „Eine Einladung zum Streitgespräch zurück zu nehmen, weil eine kleine Minderheit Mittel des Aktivismus ankündigt“, wäre einer „Selbstdemontage des Birlikte-Gedankens“ gleich gekommen.

Wie die Demonstranten ihre Aktion verteidigen

Sprecher der Demonstranten verteidigten am Montag ihre Aktion. Man habe im Vorfeld „angeboten“, in einer Runde ohne den AfD-Vertreter über den Umgang mit der AfD zu diskutieren, so das „antifaschistische Aktionsbündnis Köln gegen Rechts“. Das Schauspiel habe das abgelehnt.

Der Bühnensturm wird in einer Erklärung auch damit begründet, dass die Veranstalter Opfern des rechtsextremen Nagelbombenanschlags durch Security-Personal den Zugang in den Saal verwehrt hätten. Diese Darstellung hat mit dem, was sich tatsächlich vor den Türen abgespielt hat, wenig zu tun. Das Schauspiel hatte die Türen geschlossen, weil tatsächlich fast alle Sitzplätze besetzt waren. Wer früh genug dort war, konnte ohne Probleme in den Saal.

Die Wunden, die der Eklat bei den Veranstaltern gerissen hat, dürften tief sein – nicht nur weil Antifa-Gruppen die Bühne gestürmt haben. Mindestens genauso schwer wiegt, dass andere politische Gruppierungen, mit denen man sonst am gleichen Strang zieht, vor dem Fest auf Distanz gegangen waren. Äußerte sich das Bündnis „Köln stellt sich quer“ noch moderat, fuhren vor allem die Kölner Grünen schwere Geschütze auf: Birlikte sei „auf Abwegen“. Auch andere beanspruchten die Deutungshoheit über ein Fest, das sie von Anfang an zum Mitmachen einlud, ohne ihnen Vorgaben zur inhaltlichen Gestaltung ihrer Beiträge zu machen.

Besonders getroffen hat die Kritik, mit der Einladung des AfD-Manns verhöhne man die Opfer. Nachdem sich die Parteichefin der Grünen, Marlis Bredehorst vor einigen Tagen so geäußert hatte, legte die ansonsten eher um Ausgleich bemühte Fraktionschefin Kirsten Jahn noch einmal nach: Die Opfer würden „verhohnepiepelt“. Diese Art der Kritik sei „das Schlimmste, was passieren konnte“, sagt Sahin. Die Menschen in der Keupstraße, für die sie spreche, hätten sich mehrheitlich für die Veranstaltung ausgesprochen.

Die Aufarbeitung der letzten Wochen wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Das breite Bündnis aus vielen Gruppen der Stadt, das in den vergangenen Jahren mit zahlreichen Aktionen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus positive Akzente zur Stadtentwicklung setzte, hat Schaden genommen. „Wir werden den Konflikt aushalten, aber auch in die Diskussion rein müssen“, sagt Rheindorf. Die Frage nach dem richtigen Umgang mit Rechtspopulisten sei eine zentrale. Sahin sagt: „Die linke Szene mag stark sein, aber der Rassismus wächst trotzdem. Das kann ja auch bedeuten, dass wir etwas falsch machen. Wir müssen mehr tun als immer nur das gleiche.“

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