Chorweilers Bürgermeister Reinhard Zöllner„Wir müssen für ein Aha-Gefühl sorgen“

Lesezeit 6 Minuten
Reinhard Zöllner sieht den unzureichenden öffentlichen Nahverkehr und die Probleme in sozialen Brennpunkten als Herausforderung für die Zukunft.

Reinhard Zöllner sieht den unzureichenden öffentlichen Nahverkehr und die Probleme in sozialen Brennpunkten als Herausforderung für die Zukunft.

Chorweiler – Herr Zöllner, wie war das vergangene Jahr für Sie?

Abwechslungsreich, ernüchternd, frustrierend.

Inwieweit?

Abwechslungsreich, weil wir doch wieder viele Themen hatten, mit denen sich die Bezirksvertretung beschäftigt hat. Ernüchternd, weil man erlebt hat, wie wenig Gehör man findet – und frustrierend, wenn man dann sieht, was am Ende heraus gekommen ist.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Die Verkehrssituation hat sich mit der Teilsperrung auf der Industriestraße weiter verschlechtert. Die Sperrung der Autobahn-Auffahrt zur A1 Richtung Norden ist eine Katastrophe. Vor allem, wenn man dann sieht, dass sich nichts weiter tut. Ein weiterer Punkt ist die Flüchtlingssituation mit den bestehenden und neuen Standorten – auch da wissen wir nicht, was weiter kommen wird.

Bei unserem Interview im vergangenen Jahr hatten Sie sich eine ausgewogenere Verteilung der Menschen auf die Kölner Stadtteile gewünscht. Ist das eingetroffen?

Ich weiß nicht, ob es eine bessere Verteilung der Flüchtlinge gegeben hat. Aber mein Gefühl sagt mir, dass es nicht so ist.

Wie sollte es denn besser aussehen?

Es sollte klarer werden, wie die Kriterien dafür aussehen, wo Flüchtlinge untergebracht werden und wo nicht. Wir haben im Bezirk den ein oder anderen Brennpunkt, die sollten nicht noch verstärkt werden durch weitere Probleme.

Sie reden von der Siedlung „Im Mönchsfeld“ in Roggendorf/Thenhoven, wo eine Flüchtlingsunterkunft gebaut werden soll?

Ich rede auch vom Mönchsfeld, ja. Es gibt ein Problem bei der Stadtplanung. Gegenüber des Mönchsfelds entsteht derzeit ein Neubaugebiet. Dann plötzlich gibt es den Beschluss, dort eine Flüchtlingsunterkunft einzurichten. In meine Sprechstunde sind Menschen gekommen, die haben quasi geheult, weil sie dort investiert hatten. Im Endeffekt haben sie gesagt, dass sie 100000 Euro aus dem Fenster geworfen haben, ohne das Fenster aufzumachen.

Was muss Ihrer Meinung nach getan werden?

Es muss eine Lösung gefunden werden – und nicht nur in Köln, denn auch der Verteilerschlüssel landesweit ist katastrophal. In Köln herrscht Wohnungsmangel. Wir wissen nicht, wo wir die Leute unterbringen sollen, und trotzdem liegen wir in NRW ganz oben in der Liste derer, die Flüchtlinge aufnehmen.

Ein Reizthema ist auch der öffentliche Nahverkehr.

Die gesamte Infrastruktur, der gesamte öffentliche Nahverkehr funktioniert nicht richtig. Zum einen sind da die S-Bahnen, die nicht in einem günstigeren Takt fahren können, weil das Schienennetz nicht ausgebaut werden kann oder zu langsam ausgebaut wird. Dazu kommt noch unsere leidige S-Bahn-Schleife bei Longerich. Um Verspätungen auszugleichen, umfährt die S-Bahn hier häufig den Stadtbezirk – und lässt dabei Haltestellen links liegen, die laut Streckenplan vorgesehen sind. Das ist für die anderen schön, aber nicht für uns.

Einer Studie zufolge leben viele Kinder in Chorweiler und in weiteren Stadtteilen in Armut. Im Mönchsfeld ist der Anteil an Hartz-VI-Empfängern sehr hoch. Wie kann dem entgegengewirkt werden?

Wir haben im Bezirk mehrere Brennpunkte. Mönchsfeld, Chorweiler, Chorweiler-Nord, teilweise auch Blumenberg. Wir haben Lindweiler als Problem, wo nun über das Integrierte Handlungskonzept und den Veedelsbeirat gegengesteuert wird. Wobei ich mir da mehr Bürgerbeteiligung wünschen würde. Das heißt, dass von den Bürgern wirklich Fragen gestellt werden, dass Anregungen kommen. Es ist problematisch in den Brennpunkten, dieses Gemeinschaftsgefühl hinzubekommen. Wie funktioniert eine Gemeinschaft, achtet jeder auf den anderen?

Was muss in den sozialen Brennpunkten weiter passieren?

Für Lindweiler läuft bereits das Integrierte Handlungskonzept. Für Chorweiler wird es jetzt langsam angeschoben. Und für Roggendorf beziehungsweise für die Siedlung „Im Mönchsfeld“ hoffe ich, dass wir das auch hinbekommen werden. Der Runde Tisch im Dezember (ein Runder Tisch verschiedener Akteure im Stadtteil, Anmerkung der Redaktion) war ein erster Schritt. Die Verwaltung muss Hilfsprogramme finden und dann auch dafür sorgen, dass das Mönchsfeld dort aufgenommen wird. Ein Sozialraumkoordinator wäre ebenfalls wünschenswert.

Haben Sie das Gefühl, dass der Bezirk Chorweiler im Vergleich zu anderen Bezirken von der Stadt vernachlässigt wird?

Der Bezirk ist doch etwas aus dem Fokus der Stadtverwaltung raus, ja.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Weil wir zu weit von Köln weg sind? Alle Bezirke grenzen irgendwo an die Innenstadt, nur Chorweiler nicht.

Aber das kann doch kein Kriterium sein?

Wir haben hier noch viele dörfliche Strukturen. In der Innenstadt ist es ganz normal, dass der Öffentliche Nahverkehr im Fünf-Minuten-Takt fährt. Hier sind wir froh, wenn er im 20-Minuten-Takt unterwegs ist beziehungsweise alle halbe Stunde. Und wenn er dann am Samstagabend auch mal nach 20 Uhr fährt, sind wir schon glücklich. Insgesamt wird leider nicht genügend in die Fläche gedacht. Auch das Verzahnen mit der Region ist schwierig. Das Problem ist, dass diese Verzahnung nach außen hin meistens nicht durch die Stadt Köln initiiert wird, sondern nur dann, wenn die anliegende Kommune Interesse daran hat.

Die GAG hat die unter Zwangsverwaltung stehenden Häuser in Chorweiler übernommen. Wie wird es dort weitergehen?

Die GAG hat in den 100 Tagen seit dem Kauf einen guten Einstieg gefunden. Sie ist mit einem Team angetreten, es besteht teilweise auch aus Leuten, die hier schon länger aktiv sind und die Problematik vor Ort kennen. Das ist sicher der richtige Weg, um die Sache anzugehen. Der Anfang ist gemacht. Der Weg wird schwierig.

Die geplanten Aufwertungen von Plätzen in Chorweiler und das Engagement der GAG sind doch eine Chance für den Stadtteil...

Die Aufwertung und die GAG-Übernahme passieren derzeit parallel, dadurch haben wir die Möglichkeit, dass es in Chorweiler eine positive Entwicklung geben wird. Allerdings nur punktuell. Wir haben im direkten Fokus die Lyoner Passage, den Pariser Platz und den Liverpooler Platz. Der Turkuplatz ist aus dem Fokus raus. Dabei sehe ich den Platz als Entrée für den Stadtteil. Nicht nur die Anwohner nutzen ihn, sondern auch Leute, die hierhin kommen wollen, möchten, müssen. Wir müssen für ein Aha-Gefühl sorgen: „Oh, das ist Chorweiler!“ Und dieser Schalter im Kopf muss umgelegt werden, wie die Leute das Image von Chorweiler sehen.

Was wünschen Sie sich für das Jahr 2017?

Dass wir mit den Plätzen in Chorweiler vorankommen. Dass erkannt wird, dass der Stadtbezirk Chorweiler nicht der Stadtteil Chorweiler ist. Dass viele Menschen die reiche Vielfalt des Bezirks erkennen.

Mit welchen Argumenten würden Sie dafür werben, dass Menschen in den Bezirk ziehen sollen?

Der große Vorteil des Stadtbezirks ist seine Lage. Wir haben Arbeitsplätze, beispielsweise im Gewerbegebiet Feldkassel. Wir haben hier noch eine ländliche Struktur, haben die Naherholung vor der Tür, die Rheinauen und verschiedene Radwanderwege. Wir haben den Fühlinger See, dort finden interessante, kulturelle Veranstaltungen statt. Auch das Ortsleben im Bezirk funktioniert, die Dorfgemeinschaften funktionieren. Der Bezirk Chorweiler ist schön.

Zur Person

Reinhard Zöllner (CDU) ist seit der Kommunalwahl 2009 Mitglied der Bezirksvertretung Chorweiler. Der vormalige Vize-Bezirksbürgermeister und christdemokratische Fraktionschef beerbte nach der Wahl im Mai 2014 Cornelie Wittsack-Junge (Bündnis 90/Grüne) an der Spitze des Stadtbezirks. Der 49-jährige Vater von drei Kindern lebt in Worringen.

KStA abonnieren