Illegale RavesKlagen über Techno-Partys in Seeberg und Longerich

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Heinrich Große-Sender (links), Kurt Marquart und Markus Dacherl vom Longericher Bürgerverein sind genervt vom Dauerlärm.

Heinrich Große-Sender (links), Kurt Marquart und Markus Dacherl vom Longericher Bürgerverein sind genervt vom Dauerlärm.

Seeberg/Longerich – Dass es im Sommer im Kölner Norden eine Lärmbelästigung durch Disco-Musik gab, ist unbestritten. Die Klagen von Anwohnern aus Merkenich, Seeberg und Longerich häuften sich. Bedingt durch die kalte Jahreszeit ist zwar jetzt Ruhe eingekehrt, die Anwohner bringen sich aber schon in Stellung – in der Hoffnung, dass die Stadt im kommenden Jahr dafür sorgt, dass die Probleme nicht wieder ausarten wie noch in den vergangenen Jahren. Das Ordnungsamt agierte bislang eher hilflos und ineffektiv.

Wer den Lärm verursachte, kann nur vermutet werden. Die Raver-Szene jedenfalls entdeckte vor drei, vier Jahren das ehemalige Esso-Gelände zwischen Seeberg und Merkenich als Party-Location, das scheint gesichert. Auch die „Kantine“ in Longerich steht bei vielen Anwohnern immer wieder im Verdacht, an lauen Nächten den Ort zu beschallen.

Maximal 95 Dezibel erlaubt

Der Musikclub hat seit 2003 sein Domizil an der Neusser Landstraße/Geestemünder Straße. Seit Jahren wird an Sommerwochenenden eine Freiluft-Disco im Biergarten hinter dem Haus veranstaltet. Andreas May-Johann, Geschäftsführer der Kantine, erklärte auf Anfrage: „Die Open-Air-Disco findet wirklich nur an den heißen Tagen statt, das Gebäude umfasst die Bühne wie ein Hufeisen, es schallt höchstens in Richtung Müllverbrennungsanlage.“ Die Bauaufsicht habe damals die Genehmigung erteilt, die Terrasse für Musikveranstaltungen zu nutzen, erlaubt seien maximal 95 Dezibel.

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May-Johann betont zudem, die Kantine pflege ein harmonisches Verhältnis zu den Nachbarn. Auf die Techno-Fans dagegen ist er nicht gut zu sprechen: „Wir sind selbst sauer auf die Raver, deren Wildpartys sind uns ein Dorn im Auge, weil es in letzter Zeit öfter vorkommt, dass ihr Lärm uns in die Schuhe geschoben wird.“ Die illegalen Tanz-Events hätten einen privaten Anstrich, seien aber kommerziell, es werde kräftig verdient: „Die verlangen Eintritt, es gibt Getränkeverkauf, bei null Betriebskosten“, ärgert sich May-Johann.

Im Spätsommer hatte Heribert Büth vom Ordnungsamt noch erläutert, dass das Phänomen der spontanen Rave-Partys zwar bekannt sei, doch habe man kaum Mittel, es in den Griff zu bekommen. Grund sei auch die fehlende Ausstattung: „Wir haben stadtweit nur drei Lärmwagen mit je zwei Mann Besatzung. Wenn eine Party in vollem Gange ist, können unsere Mitarbeiter gegen die Menschenmenge oft nichts mehr ausrichten, die Situation würde für sie zu bedrohlich.“ Manchmal werde aber doch Verstärkung herbeigerufen und dann mit Polizeigewalt die Party aufgelöst.

Ravertreffen ohne behördliche Genehmigung

Mittlerweile ist man bei der Stadt einen Schritt weiter: Es sei ein Handlungskonzept in Vorbereitung, mit dem das illegale Partygeschehen eingedämmt werden solle, erklärte jetzt Ordnungsamt-Sprecherin Carolin Krause. Genaueres könne sie dazu aber noch nicht sagen. Illegal sind solche Ravertreffen deshalb, weil keine behördliche Genehmigung eingeholt wird. Folglich gibt es auch keinen Verantwortlichen, der haftbar gemacht werden könnte. Hinzu kommt: Je basslastiger die Musik, umso schwieriger ist es, die Herkunft zu orten, weil sich Bässe kreisförmig ausdehnen. Das unwegsame Esso-Gelände an der Bernhard-Günther-Straße/Scarletallee oder auch an der Edsel-Ford-Straße gilt in der Techno-Szene als ideal, um ungestört zu feiern. Weil es aber in der Gegend keine Hochbebauung gibt, tragen die Schallwellen die Musik bis in die Wohnviertel.

Im Sommer 2015 habe es mindestens zehn Nächte gegeben, in denen er wegen des Gewummers kein Auge zumachen konnte, dieses Jahr sei es ähnlich gewesen, berichtet Oliver Bax aus Seeberg. Einmal war der Lärm so heftig, dass es ihn nicht mehr im Bett hielt: „Mit einem Freund, der auch nicht schlafen konnte, bin ich losgezogen, um die Quelle zu finden.“

Sie liefen kilometerweit, bis sie zu einer Stelle kamen, wo Jugendliche in ein Waldstück strömten. Bax und sein Freund standen unvermutet in einem Rave, unter freiem Himmel wurde getanzt, irgendjemand hatte eine Hifi-Anlage ins Gras gestellt. „Wir haben versucht, einen Ansprechpartner zu finden, das war unmöglich. Alle waren zugedröhnt“, so Bax. Der 48-Jährige betont: „Ich bin nicht der Typ, der sich wegen jeder Kleinigkeit beschwert, es hat aber etwas Deprimierendes. Immer in der warmen Jahreszeit geht es los, dabei wohnen wir zwei, drei Kilometer Luftlinie vom Industriegebiet entfernt.“ Er ärgere sich über den Egoismus der Raver, sagt Bax: „Sie kennen keine Rücksicht, wollen sich nur ausleben.“

Hilfe bei Partylärm

Die Hotline des Ordnungsamtes 221-32 000 ist von April bis September jeweils in den Nächten von Freitag auf Samstag und von Samstag auf Sonntag bis 1 Uhr zu erreichen. An den übrigen Tagen bis 24 Uhr.

Die Polizei empfiehlt, bei Lärmbelästigung statt der Notrufnummer 110 besser die 0221/2290 zu wählen – das ist die Durchwahl der Polizei-Zentrale. Die Polizeiwache in Chorweiler, Stockholmer Allee 1, hat die Nummer 0221/229 44 30.

Andreas May-Johann, Geschäftsführer der „Kantine“, bittet außerdem genervte Anwohner nachts in der Diskothek unter der Nummer 0221/16 79 16-0 anzurufen. So könne man beim Nacht-Geschäftsführer seinen Ärger loswerden und erfahren, ob im Biergarten eine Party läuft. (kaw)

Partys ohne Aufsicht, Sicherheit und Lärmschutz

Während Veranstaltungen am Fühlinger See strenger Kontrolle unterlägen, liefen solche Partys planlos ab, ohne Aufsicht, Fragen der Sicherheit und des Lärmschutzes spielten keine Rolle. Das sei nicht nachzuvollziehen. „Die Stadt müsste diese Partys in geregelte Bahnen lenken, sie sollte Räume zur Verfügung stellen, wo Anwohner nicht gestört würden“, schlägt Bax vor.

In Longerich ist Lärm ohnehin das Topthema im Stadtteil, weil der Lkw-Verkehr auf dem Militärring immer mehr anschwillt. Die Musik, die im Sommer an den Wochenenden die Luft erfülle, sei für sie das i-Tüpfelchen gewesen, sagen Heinrich Große-Sender und Kurt Marquart vom Bürgerverein, die beide in der Gartenstadt-Nord wohnen. „In meinem Schlafzimmer habe ich Fenster mit Dreifachverglasung, selbst wenn die geschlossen sind, höre ich das Gestampfe, die Vibration geht durch“, so Große-Sender. Auf die Palme bringt ihn das Plakat, das im Sommer an der Außenfassade der Musikclubs „Kantine“ hängt: „Bei schönem Wetter Open Air Disco“.

Ordnungsamt-Sprecherin Krause rät Lärmgeplagten, jedes Mal, wenn es nachts irgendwo tobe, ohne Zögern anzurufen – entweder bei der Hotline des Ordnungsamtes oder bei der Polizei.

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