Spurensuche in KölnMit Tempo 70 durch die Rheinlandhalle unter dem Heliosturm

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Die Arena mit Boxring.

Die Arena mit Boxring.

Köln – Die Spur ist leicht zu übersehen. An der Längsseite der Rheinlandhalle im Schatten des Heliosturms ist – fast verdeckt von geparkten Autos – eine Gedenktafel angebracht. Sie ist dem Radrennfahrer Albert Richter gewidmet, einem jungen Mann aus dem Viertel.

Er wuchs ganz in der Nähe in der Sömmeringstraße auf. Die Rheinlandhalle spielte als einstiges Mekka des Bahnradsports in Köln eine große Rolle im Leben von Albert Richter. Kaum etwas deutet jedoch noch darauf hin, dass die Halle einmal ein Sportpalast war, der Menschenmassen anzog.

Am 2. November 1928 begann die wohl bewegteste und schillerndste Ära der früheren Fabrikhalle. Begleitet von viel Pomp hallte der Startschuss zum ersten Kölner Sechstagerennen durch das Oval der Rheinlandhalle.

Albert Richter war damals gerade mal 16 Jahre alt. Seinen Traum, Radprofi zu werden, lebte er heimlich, denn auch seine Eltern wollten, dass aus ihrem Sohn etwas besseres würde. Es kam anders, ganz anders.

Unternehmer Arthur Delfosse und seine „Kölner Industrie-Werke“-Gesellschaft, damalige Besitzer der früheren Fabrikanlagen zwischen Gürtel und Heliosstraße, hatten kräftig in den Umbau der Werkshalle zum Sporttempel investiert.

16.442 Reichsmark kostete alleine der Bau der Radrennbahn. Mit der Planung wurde ein junger Architekt beauftragt, der später ein ganz Großer seines Fachs werden sollte: Clemens Schürmann aus Münster.

Der ehemalige Radrennfahrer hatte sich nach dem Karriereende als Sportler im Jahr 1927 auf die Planung von Bahnen spezialisiert. Die Rheinlandhalle war erst sein siebter Auftrag.

Zu seinen späteren Projekten zählen der 1934 gebaute legendäre Velodromo Vigorelli in Mailand und die Olympiabahn von 1936 in Berlin. Das Schürmann-Büro plant heute in dritter Generation Radrennbahnen auf der ganzen Welt – neben weiteren Olympiabahnen auch die für die Kölner Sporthalle 1958 und die neue Radrennbahn in Müngersdorf 1990.

Lesen Sie im nächsten Abschnitt: Wie die Veranstaltungen abliefen - Sport und Show in der Rheinlandhalle.

Clemens Schürmann, der Ex-Profi, wusste also worauf es ankam, als er 1928 in Ehrenfeld die Rennstrecke bauen ließ. Die Halle war eng und bot nur Platz für eine 166,7 Meter lange und 5,65 breite Bahn. Dicht an diesem hölzernen Oval waren die Zuschauerränge platziert.

Die Sprinter, die man damals Flieger nannte, fuhren mit bis zu 70 Stundenkilometern am Publikum vorbei. Ein wahrer Hexenkessel, der durchaus als Vorläufer der Kölner Sporthalle und der Lanxess-Arena gelten darf. In jedem Fall der richtige Rahmen für das damals überaus beliebte Spektakel Sechstagerennen.

Rauchen und Schunkeln beim Radrennen

1884 bis 1903 wurden in der Halle von der Helios AG elektrische Anlagen für Leuchttürme gefertigt.

1928 bis 1945 war sie als „Rheinlandhalle“ Mehrzweckarena . Neben Sportveranstaltungen gab es auch Karnevalssitzungen und Parteikundgebungen der Nazis. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Radrennbahn zerstört. Ende 1945 fand mit einem Handballturnier die letzte Sportveranstaltung unter dem Heliosturm statt.

1957 eröffnete in der Halle der erste Supermarkt Deutschlands. Er wurde später durch Geschäfte für Möbel und Fahrräder sowie ein Fitnessstudio abgelöst. (Rös)

Es war Sport und Show zugleich. Die Fahrer drehten ihre Runden, während um sie herum viel geraucht, getrunken und in Köln womöglich auch geschunkelt wurde. So begeisterte der Auftaktsieg der Ehrenfelder Lokalmatadoren Viktor Rausch und Gottfried Hürtgen den Komponisten Willi Ostermann, dem dazu die Schunkel-Zeilen „Das war ein Spurt, das war ein Spürtchen; es lebe Rausch, es lebe Hürtgen!“ einfielen.

Für den Ehrenfelder Jungen Albert Richter, der in diesen Tagen noch heimlich auf den Ehrenfelder Straßen auf zwei Rädern flitzte, war das nur weiterer Ansporn. Zumal auch Clemens Schürmann – einst Sprinter wie er – zu seinen Vorbildern gezählt haben mag.

Vier Jahre später, im Jahr 1932, kreuzten sich die Wege beider in Rom. Albert Richter wurde Weltmeister der Amateure. Zu den Gratulanten zählte Schürmann, der auch diese Strecke im „Stadio nazionale“ geplant hatte.

Dem Ehrenfelder Spitzensportler, der anschließend Profi wurde, boten sich allerdings nur noch wenig Gelegenheiten, sein Können vor heimischem Publikum in der Rheinlandhalle zu zeigen. Die Nationalsozialisten hielten von Sechstagerennen nichts und verboten sie schon Anfang 1934.

Auch Sprinter hatten einen schweren Stand. Längst jedoch hatte der Radsport Albert Richter zu internationalem Ruhm verholfen. Er genoss das Leben, betrachtete die bunte Schar der Elitefahrer um sich als Familie. Bei Rennen trug er lieber den Reichsadler auf der Brust anstatt das Hakenkreuz. Diese Haltung rief die Gestapo auf den Plan.

Nur wenige Wochen nach seinem Sieg beim Großen Preis von Berlin endete das kurze Leben Albert Richters. Er wurde am Silvestertag 1939 an der Schweizer Grenze festgenommen, weil er für einen jüdischen Freund Devisen in die Schweiz schmuggeln wollte. Vermutlich hatten ihn Sportlerkollegen verraten. Im Gestapo-Gefängnis in Lörrach kam er am 2. Januar 1940 ums Leben. Die zunächst verbreitete Selbstmordversion wurde später entkräftet.

Beigesetzt wurde Albert Richter auf dem Ehrenfelder Friedhof, einem Teil des Melatenfriedhofs. Somit ganz in der Nähe der Sömmeringstraße und der Rheinlandhalle, wo der Radsport seinem Leben die Richtung vorgab.

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