Mein VeedelMit Fritz Schramma durch Bickendorf und Ossendorf

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Vor der Schwarzen Madonna von Tschenstochau in der Rochuskapelle zündet Fritz Schramma ein Kerzchen an. 

Vor der Schwarzen Madonna von Tschenstochau in der Rochuskapelle zündet Fritz Schramma ein Kerzchen an. 

Bickendorf/Ossendorf – Eigentlich lebt Fritz Schramma seit 14 Jahren mit Ehefrau Ulla in Müngersdorf. Aber wenn der einstige Oberbürgermeister Kölns ein Veedel seiner Heimatstadt vorstellen soll, dann greift er lieber auf den Stadtteil zurück, in dem die beiden 40 Jahre lang gelebt haben: auf Bios.

Doch, doch, das gibt’s. Bios steht für Bickendorf und Ossendorf, und zwar nicht erst seit Architekt Kaspar Kraemer gegenüber der katholischen Pfarrkirche Sankt Rochus vergangenes Jahr das gleichnamige Pfarrzentrum gebaut hat. Bios, „das ist der altphilologische Begriff für das Leben“, weiß Schramma, der am Geschwister-Scholl-Gymnasium in Pulheim Latein und Philosophie unterrichtet hatte, bevor er sich für die Politik entschied.

Fritz Schramma am Schnüsse-Tring-Brunnen.

Fritz Schramma am Schnüsse-Tring-Brunnen.

Ein Romantiker erzählt

40 Jahre in Bios, da fällt sogar ein bisschen was von Schrammas Lausbubenjahren hinein. Vor allem während seiner Zeit als Messdiener in Sankt Rochus an der Kreuzung von Rochus- und Feltenstraße. „Bei dem damaligen Pfarrer habe ich mich nicht unbedingt beliebt gemacht“, gesteht der Christdemokrat, als er der neoromanischen Pfarrkirche gegenüber steht. 1849 war sie fertiggestellt worden. Durch die Bombenangriffe von 1942 und 1944 wurde Sankt Rochus völlig zerstört. Die Ossendorfer bauten das Gotteshaus wieder auf und feierten im Jahr 1949 zum zweiten Mal Kirchweihe.

Schramma ist vor allem zweierlei in Erinnerung: Zu zwölft hatten sie als Messdiener mal das Auto des Pastors die Stufen zum Portal hinaufgetragen. „Der hatte ein Goggomobil, das ein bisschen aussah wie ein Trabbi. Das war so leicht, wir haben’s einfach hochgeschleppt.“ Er lacht – und die Enden seines Schnauzers zittern, als er an den saharabeigefarbenen Kleinstwagen aus dem Dingolfinger Werk von Hans Glas denkt.

Dann blickt Schramma hinauf zum Kirchturm, erzählt vom Feuerwerk, das er 1974 als Mitglied des Pfarrgemeinderats zur 125-Jahr-Feier der Kirche organisiert hat. Er beschreibt, wie schön es ausgesehen habe, als die roten und gelben, die grünen und blauen Funken durch die Nacht über Bickendorf stoben. Es klingt romantisch, so wie Schramma es beschreibt. Ist er ein Romantiker? „So habe ich das noch gar nicht gesehen“, antwortet er zunächst und lächelt. „Doch“, sagt er dann, „vielleicht ist das so. Nicht umsonst habe ich als Oberbürgermeister ja auch die Kölner Lichter mit auf den Weg gebracht.“

Da sind die Schrammas Stammgäste

Nicole Zeun reicht Stammgast Schramma die Karte im Gasthaus Unter Kirschen.

Nicole Zeun reicht Stammgast Schramma die Karte im Gasthaus Unter Kirschen.

Eine Entscheidung, die er mit seiner Familie besprochen haben mag, bei einem der gemeinsamen Essen im Gasthaus Unter Kirschen an der gleichnamigen Straße in Bickendorf. Nicole Zeun, die das Haus mit Ehemann Rainer seit 25 Jahren führt, öffnet Schramma beim Bummel die Tür; obgleich eigentlich Ruhetag ist. Die Schrammas sind Stammgäste, waren das schon bei den Vorgängern der Zeuns. „Wie geht’s?“, fragt er, als er eintritt. „Alles gut“, antwortet sie und lächelt.

Der Tisch am Fenster ist normalerweise gedeckt für drei, wenn Fritz und Ehefrau Ulla Schramma sich zum Familienessen mit Tochter Claudia treffen. Das Filet „Unter Kirschen“ wählt Vater Fritz dann meist, ein Stück aus der Schweinelende mit Kirschen und grünem Pfeffer in Rahmsauce, dazu Kroketten. Eins der Gerichte, die in der Karte überschrieben sind als „Rainers Leckereien“, angeboten wird es für 15,20 Euro.

Nicht nur schöne Erinnerungen

Es sind aber nicht nur schöne Erinnerungen, die der Familienvater mit dem Gasthaus verbindet, und so ergeht es ihm fast überall in Bickendorf und Ossendorf. An so vielen Plätzen kommen ihm die Erinnerungen hoch an Sohn Stephan, der vor 15 Jahren sein Leben verlor, als er den beiden Fahrern eines illegalen Autorennens am Rudolfplatz zum Opfer fiel. Stephan war bis zu seinem Tod im Alter von 31 Jahren mit dabei gewesen bei den Familienessen in Bickendorf.

Aufgewachsen ist er mit Schwester Claudia in dem verklinkerten Reihenhaus an der Frohnhofstraße in Ossendorf, das Vater Fritz mit aufgebaut hatte („das hat mich ein paar Semester zusätzlich an der Uni gekostet“). Die Kinder haben in Sankt Rochus in Ossendorf die Sakramente der Taufe, Kommunion und Firmung empfangen, sie haben das Montessori-Gymnasium in Bickendorf besucht. Bei Ahlbach-Bestattungen an der Venloer Straße in Bickendorf hat Schramma seinen Sohn aufbahren lassen („damit seine Freunde Abschied nehmen konnten, 70 sind gekommen“).

Orte, die Schramma zeigen möchte

Bäcker Hans-Gerd Kuhl trinkt Kaffee mit Schramma.

Bäcker Hans-Gerd Kuhl trinkt Kaffee mit Schramma.

Schramma erzählt all das, während er durch die Straßen geht oder fährt, je nachdem wieweit die Strecken zwischen den Orten sind, die er zeigen möchte. An denen er sein Bios veranschaulichen möchte, seine Veedel, diesen Teil seiner bislang 69 Lebensjahre. Von denen ihn Hans-Gerd Kuhl, der Meister von der gleichnamigen Bäckerei und Konditorei an der Masiusstraße 1, schon den Großteil kennt.

Kuhl und Schramma sind beide Nippeser Jungs. Am Stehtisch in der Bäckerei bei Cappuccino (Schramma), Kaffee (Kuhl) und Stollen erinnern sie sich, wie sie sich angefreundet haben, da waren sie aber beide schon in Ossendorf. „Hier gibt’s den besten Stollen Kölns“, findet der Gast und fachsimpelt: „Bei dir bleibt das Zitronat geschmacklich schön im Hintergrund, dafür hält das Marzipan den Stollen saftig.“

Gemeinsam verfallen sie rasch ins kölsche Idiom, sprechen über das, was die Stammgäste bewegt: zum Beispiel über die benachbarten Ossendorfer Gartenhöfe. Bei dem Bauprojekt wollen die Verantwortlichen der Gemeinnützigen Wohnungsgenossenschaft Die Ehrenfelder binnen der kommenden sechs Jahre 435 Wohnungen neu bauen.

Sorge um die Bankfiliale

Ein Thema im Viertel ist auch die Sparkasse an der Frohnhofstraße 130. Die bereite vielen Anwohnern Sorgen, weiß Bäcker Kuhl. „Ich hab’ gehört, die Filiale soll geschlossen werden“, ist Schramma zugetragen worden. „Da sollen wohl Automaten stehen bleiben“, hat Kuhl gehört. „Zumindest ein Geldautomat muss in der Nähe sein, das ist ja wichtig für all diejenigen, die da ihre Rente abholen“, meint Schramma. „Der Weg zur nächsten Filiale an der Venloer Straße in Bickendorf wäre für die meisten zu weit.“

Schramma selbst verkehrt dort regelmäßig. „Ich bin nicht so für online“, sagt er und fährt lieber aus Müngersdorf her, um seine Bankgeschäfte zu erledigen – bei der Sparkasse oder bei der Kölner Bank. Und jedes Mal, wenn er eine der Zweigstellen besuche, zünde er ein Kerzchen an in der Rochus-Kapelle am Marktplatz vor dem West-Center an der Venloer Straße.

Die Rochuskapelle vor dem West-Center.

Die Rochuskapelle vor dem West-Center.

Ein Besuch in der Hofgutkapelle

Bevor Schramma die Hofgutkapelle von 1666 betritt, begrüßt er auf dem Bürgersteig Peter Bruckmann und Andreas Nierwandt von der Bickendorfer Interessengemeinschaft. Es riecht nach Hähnchen. Kein Wunder: Es ist Markttag, und der Verkaufswagen der Firma Gaumenschmaus steht hinter der Kapelle. Schramma führt die Gruppe hinein und erzählt von den drei Lebensmitteltransporten, die er Anfang der 1980er ins polnische Tschenstochau geführt hat. Und für die ihm die Mönche des ortsansässigen Klosters aus Dankbarkeit eine Ikone der Schwarzen Madonna von Tschenstochau geschenkt hätten.

Gleich rechts neben der Eingangstür der Kapelle hängt das Bild, die Madonna darauf trägt zwei Narben auf der rechten Wange. Der Sage nach soll ein Soldat das Original mit dem Säbel beschädigt haben. Wie treffend ist es da, dass das Gnadenbild sein neues Leben in Bios findet, mitten im Leben.

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