Anwohner-InitiativenMillimeterarbeit auf den engen Bürgersteigen in Köln-Ehrenfeld

Lesezeit 5 Minuten
Alltag in der Marienstraße: Stefan Brands (r.) weicht mit Martha im Buggy Passanten aus.

Alltag in der Marienstraße: Stefan Brands (r.) weicht mit Martha im Buggy Passanten aus.

Ehrenfeld – Martha hat ausgeschlafen, ist quietschvergnügt. Neun Monate ist sie alt, trägt einen Sonnenhut und eine grasgrüne Hose. Ohne zu murren lässt sich die Kleine von ihrem Vater Stefan Brands in den Buggy setzen, nicht ahnend, dass sie als Zeugin für die beengte Verkehrssituation in der Marienstraße fungieren soll. Zum Ortstermin haben sich auch Claudia Brands, Marthas Mutter, und Dirk und Martina Frölich eingefunden, sie wohnen alle im selben Haus.

Die Marienstraße ist wie viele Straßen in Ehrenfeld eine Einbahnstraße, für den Radverkehr in beide Richtungen freigegeben, dabei aber schmal und vollgestellt mit Autos, Zweirädern, Pollern, Radnadeln, Verkehrsschildern und Verteilerkästen. Lauter nur allzu vertraute Stadtmöbel, die in der Summe vor allem den Fußgängern das Leben schwermachen – zumal den Eltern mit Kinderwagen, den Senioren und Rollstuhlfahrern.

In Ehrenfeld bilden sich immer mehr Anwohnerinitiativen, die sich für eine Umgestaltung ihrer Straße starkmachen: Weniger Parkplätze für Autos, mehr Parkraum für Räder, breitere Gehwege für Passanten, einheitliche Markierungen, klare Verbotsregeln, so lauten die Forderungen.

Den Anfang machte vor zwei Jahren die Rothehausstraße. Das von Anwohnern erstellte und von der Stadtverwaltung ausgearbeitete Konzept ist bereits von der Bezirksvertretung bewilligt. Im Frühjahr folgte die Stammstraße. Die Marienstraße ist nun Straße Nummer Drei, wo Bürger sich nicht mehr mit dem Status Quo zufriedengeben, aktiv auf die Politik zugehen und selbst Verbesserungsvorschläge machen.

Bei der Bezirksvertretung Ende August trat Dirk Frölich als Petent auf, brachte eine Bürgereingabe zur Marienstraße ein. Sein Powerpoint-Vortrag mit vielen Fotos war so überzeugend, dass die Bezirksvertreter sogleich einen Antrag an die Verwaltung formulierten mit der Bitte, tätig zu werden.

Anschauungsmaterial gibt es vor Ort zuhauf. Gleich vor dem Haus der Frölichs steht ein Volvo im Halteverbot, sein Kotflügel ragt quer auf den Gehweg. Weil an der Hauswand ein Verteilerkasten thront, stehen für den Fußgänger noch 80 Zentimeter Platz zur Verfügung. Eine Bodenplatte misst standardmäßig 40 Zentimeter, so lässt sich die Gehwegbreite schnell messen.

Stefan Brands manövriert den Buggy in einer Schlängellinie am Auto vorbei, muss dabei achtgeben, dass er sich nicht selbst den Arm am Außenspiegel stößt. Millimeterarbeit. „Wenn man nur ein Kind hat, geht es ja noch“, sagt Martina Frölich. „Die klassische Situation ist, dass man mit zwei Kindern unterwegs ist, das kleinere sitzt im Kinderwagen, das größere muss wegen der Enge auf dem Bürgersteig vorausgehen.

Jeden Morgen höre ich die Mütter auf dem Weg in die Kita, wie sie ihre Kinder antreiben, lauf, lauf, es fehlt nur noch die Peitsche.“ Schiebt man einen Zwillingswagen, dann muss man in jedem Fall auf die Straße ausweichen.

Genauso bei Gegenverkehr: Wie auf Bestellung nähert sich jetzt ein Paar mit einem Neugeborenen im Korbwagen. Brands rangiert umständlich, stellt sich kurz auf die Fahrbahn. Das sei eine alltägliche Situation, sie werde mit Blickkontakt gelöst, sagt der andere junge Vater und scherzt: „Derjenige, der am bösesten guckt, darf durchgehen, so weit, dass wir uns prügeln, gehen wir aber nicht.“

Ein Gehweg sollte eine Breite von zwei Meter 50 haben, das empfiehlt die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV). In der Praxis legt man meist eine Breite von einem Meter 80 zugrunde – zwei Personen können dann bequem nebeneinander gehen. In Ehrenfeld dagegen gilt eine Breite von 1,20 Meter, die parkende Pkw nicht unterschreiten dürfen, wenn kein Knöllchen fällig werden soll.

Alltag ist, dass die Bürgersteige heillos zugeparkt sind. Die Anwohnerinitiative Marienstraße schlägt unter anderem vor, das Parken nur noch auf einer Straßenseite zu erlauben, dabei immer in alternierenden Abständen, um gleichzeitig die Autofahrer zum Langsamfahren zu nötigen. Auf der Kreuzung Leyendecker-/Marienstraße hätten die Anwohner gern einen Kreisel. Außerdem möchten sie, dass Radfahrer mehr Abstellflächen bekommen. (kaw)

Martina Frölich kann darüber wirklich nicht mehr lachen, vor anderthalb Jahren wurde ihr die beengte Verkehrssituation drastisch bewusst. Ihr jüngerer Sohn hatte einen schweren Unfall, saß für längere Zeit im Rollstuhl. „Die Situation war extrem“, erzählt die 48-Jährige. „Ich habe ihn damals täglich zum Bahnhof Ehrenfeld gebracht, ständig mussten wir vom Gehweg auf die Straße wechseln, einmal hat ein Autofahrer vor mir ausgespuckt und mich angeschrien: Mach dich mit deinem Krüppel von der Straße, du Schlampe!“

Eigentlich habe sie vorgehabt, im Viertel alt zu werden. „Was ist, wenn ich mal einen Rollator brauche? Die Verkehrssituation erzeugt Aggressivität, das macht das Leben anstrengend und unangenehm.“ Ein bisschen habe sich die Verkehrslage in jüngster Zeit verbessert, erzählt das Anwohnerquartett, auch dank ständiger Anrufe bei der Stadtverwaltung. Die sei durchaus willens zu handeln, nur das Ergebnis sei oft nicht optimal. An der Leyendecker Straße wurde zum Beispiel an der Kita zwar ein Halteverbot angeordnet, doch leider sind die Schilder an der falschen Stelle platziert.

Zu zweit nebeneinander unterwegs sein, ist nicht drin. Notgedrungen im Gänsemarsch traben wir zum Ausgang der Toskanapassage gegenüber der Goswin-Peter-Gath-Straße, eine Gefahrenstelle: Die Ausfahrt ist so abschüssig angelegt, dass Kollisionen programmiert sind. „Ich hatte hier selbst mal vor kurzem fast einen Unfall mit einem anderen Radfahrer, konnte gerade noch bremsen“, berichtet Martina Frölich.

KStA abonnieren