Porträt aus Köln-BickendorfEin Handwerker, der die Kunst feiert

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Der Kunstdrucker bei der Arbeit an seiner Radierpresse.

Der Kunstdrucker bei der Arbeit an seiner Radierpresse.

Ehrenfeld – Martin Kätelhön ist ein groß gewachsener Mann mit kräftigen Händen. Wenn er aber über seine Arbeit spricht, werden seine Gesten sanft. Geht es um die Pressen in seiner Bickendorfer Werkstatt, hat er die Hände so in der Luft, als versuche er Zuckerwatte zu halten und die luftige Süßigkeit bloß nicht zu zerstören. Fällt das Wort „Radierplatte“, streicht er mit der Handfläche über das polierte Holz des Tisches. Es scheint, als sei es so glatt, weil Kätelhön in den vergangenen 20 Jahren immer wieder von Radierplatten gesprochen und das Holz dabei mit der Hand bearbeitet hat.

Martin Kätelhön ist Kunstdrucker, so steht es am Eingang seiner Werkstatt im Industriegebiet. Er selber sieht sich als Partner der Künstler. Kätelhön bereitet gerade den Zweifarbdruck einer Kaltnadelradierung von Markus Lüpertz vorbereitet, einem der renommiertesten deutschen Künstler der Gegenwart. In das Kupfer der Zeichnungsplatte hat Lüpertz die mythische Figur Herkules getrieben. Als Farbplatte nimmt Kätelhön eine Zinkplatte mit Spuren vergangener Arbeiten. „Sie ergänzen sich mit der Patina auf der Zeichnungsplatte“, erklärt der Drucker seine Wahl, die er eigenmächtig trifft. Die einzigen Vorgaben, die ihm der Künstler gemacht hat: Herkules’ Kontur soll aussehen, wie mit Kohle gezeichnet, kräftig, vital. Tiefer ins Detail geht Lüpertz nicht. Er setzt seit zwei Jahrzehnten auf die Kooperation mit Kätelhön. Mit Lüpertz und seinen anderen Künstlern steht er meist in engem Kontakt. Das und die Ergebnisse der Arbeit schaffen Vertrauen.

Kätelhön reduziert Farbe auf der Zeichnungsplatte.

Kätelhön reduziert Farbe auf der Zeichnungsplatte.

Nachdem er Lüpertz’ Farbplatte mit einem kräftigen Orange eingefärbt und da, wo Herkules entlangschreiten wird, Farbe wieder weggewischt, sie reduziert hat, schwärzt er die Zeichnungsplatte mit Ölfarbe, „sehr fest, sehr dick. Der Pigmentstoff ist Ruß“, erklärt Kätelhön. Dann reduziert er auch hier die Farbe. Zunächst mit Zeitungspapier, dann mit Juwelierseide, Teile auch mit dem nackten Handballen. Das am Abend zuvor befeuchtete Papier wird in die Radierpresse gelegt, jetzt kann gedruckt werden.

Als sein Arbeitsgerät korrekt eingestellt ist, dreht Kätelhön an dem großen Antriebsrad, das schneller und schneller wird. Beinahe lautlos rollt die Walze mit dem Druckfilz über Papier und Platte. Am Ende steht ein dumpfes Knarzen wie bei einer mächtigen Kirchenpforte. Der Bogen bleibt eingespannt und wird über die Walze geschlagen, die Platten werden ausgetauscht, die Walze rollt mit Knarzen wieder los. Der Moment, in dem Kätelhön das fertige Papier anhebt, hat etwas Magisches. Herkules scheint aus einem Flammenmeer dem Betrachter entgegenzugehen. „Schau mal! Da ist doch was los! Da ist doch was los, ne? Richtig kraftvoll!“

Martin Kätelhön

Martin Kätelhön

Martin Kätelhön ist zufrieden. Die Liebe zur Kunst spricht aus ihm, nicht die Begeisterung für sich selbst. Während mehrerer Treffen ist Kätelhöns tiefe Bescheidenheit immer zu spüren: Über seinen Druck einer Radierung der bedeutenden österreichischen Künstlerin Maria Lassnig, der im New Yorker Museum of Modern Art hängt, spricht er nur auf Nachfrage. Worte über seine Erfolge muss man beinahe aus ihm rauskitzeln. Kätelhön ist eine angenehme Person, die den Menschen in ihrer Umgebung ein Gefühl von Wertschätzung und Interesse vermittelt. Am Ende eines Satzes senkt er die Stimme, scheint seinem Gegenüber Raum für die eigenen Gedanken geben zu wollen. Man verbringt gerne Zeit mit Kätelhön.

Eigentlich wollte er gar kein Kunstdrucker werden, auch wenn die Voraussetzungen bei ihm nicht besser hätten sein können. Sein Großvater Hermann Kätelhön, ein berühmter Zeichner, Radierer und Bildhauer, baute in Wamel am Möhnesee in der Nähe von Soest eine Kunstdruckerei für die Produktion der eigenen Werke auf. Aus dem kleinen Betrieb des Großvaters machten Kätelhöns Eltern in den 60ern ein blühendes Unternehmen. Der heute 63-Jährige erinnert sich: „Das war ein internationaler Treffpunkt für Künstler.“ Faszinierende Leute seien darunter gewesen, „das waren ja oft wilde Gestalten“. In diesem Umfeld wuchs Kätelhön auf. „Mit den Maschinen, dem Geruch von Farbe und Papier und Asphaltlack. Das waberte da ständig durchs Haus. Die Druckerei lief immer, und dann wuselten da die Künstler rum. Abends saßen die Leute am Tisch und es wurde gefeiert.“

Die Erfahrung prägt Kätelhöns Leben: „Kunst war immer der Leitfaden“. Sie war stets Orientierung und Lebensmittelpunkt. Fragt man Kätelhön, was er in seinen Zwanzigern gemacht hat, sagt er: „Das weiß ich gar nicht so genau.“ Aber: „Es war was mit Kunst.“ Bis heute prägend war auch ein Besuch in Köln mit dem Vater zu Beginn der 70er Jahre. Hier fand damals der „Neumarkt der Künste“ statt, „da lief Joseph Beuys rum und Wolf Vostell und diese ganzen exotischen Leute“. Für Kätelhön war damals klar: „Die leben hier alle.“ Köln als künstlerisches Epizentrum entwickelte eine starke Anziehungskraft auf den jungen Kunstliebhaber. „Ich wusste schnell, dass ich hier in diese Stadt will.“ Noch heute ist Köln für ihn eine Kunst- und Künstlerstadt.

Zwei Andrucke von Lüpertz’ Herkules

Zwei Andrucke von Lüpertz’ Herkules

Martin Kätelhön entschloss sich, trotz seines Status als Erstgeborener die Familien-Druckerei nicht zu übernehmen, machte stattdessen eine Buchdrucker-Lehre und zog nach Köln. Hier lebte er mit der Kölner Künstlerin MAF Räderscheidt zusammen, trieb sich auf Ausstellungseröffnungen rum, verdiente Geld mit Ausstellungsaufbau und Kunsttransport. „Da fiel immer was an, Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. Es war mächtig was los in der Stadt“, erinnert sich Kätelhön. Dazu kam auch immer die eigene Kunst, viel Bildhauerei, 1982 eine Videogalerie in der Lützowstraße, mal dies, mal das.

Damals hatte er schon eine kleine Radierpresse, auf der er aber fast ausschließlich für seine Freundin Räderscheidt produzierte. Irgendwann druckte er eine Serie Herdplatten für Rosemarie Trockel, eine weitere weltbekannte Künstlerin in Kätelhöns Portfolio. Dann kam der Anruf eines Bonner Kunsthändlers, der ihn fragte, ob er eine Arbeit von Markus Lüpertz drucken wolle. Für diese Aufträge fuhr Kätelhön an den Möhnesee und mietete sich eine Presse in der Druckerei, die inzwischen sein Schwager führte. Die zunehmende Arbeit als Kunstdrucker kam zur rechten Zeit: „Das passte in meine Biografie. Ich wollte mein Leben verändern.“ Kätelhön druckte zwei Jahre für Lüpertz, „irgendwann wollte er mich kennenlernen“. Bis heute ist Kätelhön sein Drucker für Radierungen und Holzschnitte.

In der Werkstatt hat alles seinen festen Platz.

In der Werkstatt hat alles seinen festen Platz.

Seit 1996 hat Kätelhön in den Räumen einer alten Bickendorfer Färberei seine Kunstdruck-Werkstatt. Überall stehen und liegen nach Größe angeordnete Platten, in Regalen und Schränken stapeln sich Graphik-Arbeiten, große Fenster lassen viel natürliches Licht in den Raum. An den weißgestrichenen Backsteinwänden hängt ein Löwe des deutschen Künstlers A.R. Penck, Werke von Lüpertz und Trockel, ein kleiner Druck der New Yorker Künstlerin Louise Bourgeois mit Signatur: „To Martin“. Die Werke hat Kätelhön in den vergangenen Jahrzehnten selber gedruckt. Es sind Einzelstücke und keine austauschbaren Serienproduktionen, jedes für sich eine Original-Druckgraphik. Dieser Begriff ist ihm wichtig. „Dann ist klar, dass es Kunst ist.“ Und die steht immer im Vordergrund, nicht die Technik an sich. In Kätelhöns Definition des Kunstdrucks wird das deutlich: „Ein Handwerk, das die Kunst feiert“.

In der Werkstatt herrscht eine faszinierende Ordnung. Es gehe dabei auch um Hierarchie, sagt Kätelhön. Spatel, Stift und Pinsel – die Arbeitsutensilien sind nach Häufigkeit der Benutzung und Wichtigkeit für die Arbeit geordnet. Kätelhön: „Jedes Detail, das ich zur Arbeit brauche, ist immer am gleichen Platz.“ Die Ordnung in seinem Denken und Wirken schätzen auch Weggefährten, einer nennt ihn den „ruhenden Pol, der ordnet und filtert“.

Die Druckvorbereitung

Die Druckvorbereitung

Diese Fähigkeit ist Kätelhön immer auch in der Rolle des Kurators bei eigenen Projekten entgegengekommen. Künstler Kätelhön hat seinen Fokus auf dem, was andere missachten oder als Nebenprodukte des Alltags und der Arbeit betrachten. 1999 sammelte er mit zwei Mitstreitern von Lesern bekritzelte Reclam-Hefte auf Flohmärkten und in Antiquariaten und stellte sie im eigenen „Museum für Gedankenloses“ in der Galerie On in der Jülicher Straße aus. Über ein Jahr sammelte er mit zwei befreundeten Künstlern im Kölner Dom alles, was zwischen den Kirchenbänken liegengelassen wurde. Auch diese Fundstücke kuratierte Kätelhön und stellte sie aus. Regelmäßig ist sein Arbeitsmaterial in Galerien zu sehen: Druckfilze, hundertfach von den Händen eingefärbt; benutzte Juwelierseide, die Farbe aus Jahrzehnten konserviert; Papier, mit dem er die Farbe etlicher seiner Druckstöcke reduziert hat. Das alles ist zu Kunst geworden. „Man muss es nur dazu erklären“, sagt der Künstler.

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