Exil-IranerKölner Musiker Shahin Najafi wird massiv bedroht

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Köln – Shahin Najafi hat immer gesagt: „Ich habe keine Angst. Jetzt erst recht.“ Als zwei Großajatollahs vor vier Jahren ein Todesdekret wegen „Gotteslästerung und Abfall vom Glauben“ gegen ihn erließen und 100 000 Dollar Kopfgeld auslobten, reagierte der Musiker und Satiriker, in dem er schärfer gegen islamischen Extremismus dichtete als zuvor. Vor einem Jahr, als Islamisten ihm nach einem weiteren musikalischen Manifest gegen Unterdrückung und Fanatismus erneut massiv bedrohten, träumte er noch davon, eines Tages wieder in seine Heimat zu reisen – in einen womöglich irgendwann freien, säkularen Iran. Und sagte sein Mantra: „Ich habe keine Angst. Jetzt erst recht.“

Für seine Unbeugsamkeit wird der Exil-Iraner in seiner alten Heimat verehrt. Seine Lieder werden im Internet millionenfach gehört. „Ich bin einer der wenigen kritischen Künstler aus dem Iran, den die Islamisten nicht kleinkriegen.“ Er redet leise, mit trotzigem Unterton. Mit seinen Stiefeln, Rollkragenpullover, Hose, Jacke, ganz in schwarz, sieht Shahin Najafi wie ein Straßenkämpfer aus.

Kampf gegen Mitläufertum und Unterdrückung

Gekämpft hat er immer. Gegen das Mitläufertum, gegen die Vermischung von Religion und Politik, gegen jegliche Unterdrückung, für Gleichberechtigung – für die Freiheit. Im Internet hat er eine „Satzung der Rebellen“ veröffentlicht, die mit den Worten endet: „Ich bin ein Rebell bis zum Tod.“

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Der Rebell sieht müde aus, er zuckt nervös. Die Füße wippen, er ist bleich um die Nase, ständig checkt er neue Nachrichten, seine Stimme ist fahrig, der Blick flackert. Am 29. September – er war für ein BBC-Interview in London – bekam Najafi eine Nachricht auf sein Handy: Sein Instagram-Auftritt, den über 500 000 Menschen abonniert haben, war gehackt worden. Nach der ersten Fatwa hatte Najafi, der seit 2005 in Köln lebt, eine neue Identität erhalten. Der heute 36-Jährige hatte über den Imam Naghi getextet, einen direkten Nachfahren des Propheten Mohammed, der ein Leben lang unter Hausarrest lebte und trotzdem seinen Humor nicht verlor. Das Cover der Single zeigte eine Moscheekuppel in Form einer nackten weiblichen Brust, auf der eine Regenbogenfahne weht.

Der Imam Naghi, sagt Najafi, sei für ihn ein Vorbild, einer, der dem Iran der Gegenwart gut zu Gesicht stünde. „Ich habe Naghi in dem Lied angerufen, wiederaufzuerstehen, um die Unterdrückung zu beenden und wieder Freude ins Leben der Iraner zu bringen.“ Er singt von „den weit gespreizten Beinen der Ergebenen“, von „Brüsten aus Silikon und geflickten Jungfernhäutchen“, von „der verlorenen Ehre, die wir eigentlich nie hatten“, vom „herzfurzenden Ableben des Imams“ – mit der Imam-Zeile spielt er auf den Versprecher eines Moderators an, der im Fernsehen seine Anteilnahme am Tod des Revolutionsführers Khomeini ausdrücken wollte und die Worte „herzbrennend“ („Dschansooz“) und „Herzfurz“ („Dschangooz“) verwechselte.

„Vielleicht töten sie mich, aufhören zu schreiben und zu singen werde ich nicht“

Um die Unterdrückung in seiner Heimat anzuprangern, reißt Najafi Mauern ein, von denen fast jeder in einem Gottesstaat umzingelt ist – viele allerdings, ohne es recht zu merken. Weil er sich über Khomeini lustig macht, weil er die Mauern, die der Staat errichtet, nicht akzeptiert, wollen Fanatiker ihn einschüchtern und drohen immer wieder, ihn zu töten.

„Vielleicht töten sie mich, aufhören zu schreiben und zu singen werde ich nicht“, sagt Najafi. „Aber natürlich ist mein Leben seit der Fatwa ein anderes. Ich lebe zwar in Deutschland, fühle mich aber nur noch in meiner Kunst frei. Ich tue nichts anderes mehr.“ Die Hoffnung, irgendwann wieder ein normales Leben zu führen, „hat sich spätestens mit dem gehackten Account und den massiven Todesdrohungen im Netz erledigt“.

Sein neuer Name, seine Adresse in Köln – die Hacker wissen seit dem 29. September alles. Er schlafe jede Nacht woanders, sagt er. „Auf Dauer ist das kaum durchzuhalten, Günter hat mir schon einen Therapeuten vermittelt.“ Neben Najafi sitzt Günter Wallraff. Bei dem Publizisten ist Najafi nach dem Todesdekret vor vier Jahren für einige Monate untergetaucht. „Er hat mir auch eine neue Wohnung verschafft. Ohne seine Hilfe hätte ich nicht weitergewusst“, sagt er. Wallraff initiierte eine Solidaritätsaktion für Najafi, die Künstler wie Elfriede Jelinek, Marius-Müller Westernhagen, Udo Lindenberg, Campino und Navid Kermani unterzeichneten. Die Solidarität habe ihm gut getan, sagt Najafi. Jetzt fühlt er sich isoliert.

Fanatiker fordern mit Sprechchören Najafis Tod

Eine Woche nach dem Hacker-Angriff seien im Iran 40 Menschen, die seine Instagram-Seite abonniert hatten und Najafi dort feierten, festgenommen worden. „Einem von ihnen wurde inzwischen mit Hinrichtung gedroht.“ Am 11. Oktober – Muslime feierten an dem Tag das für islamische Gläubige bedeutsame Ashura-Fest – tauchte ein Video im Netz auf, in dem Fanatiker mit Sprechchören Najafis Tod fordern: „Wir werden Dich finden und Dir das Genick brechen, wir werden Dich töten!“, rufen sie darin. Das Video hatten vergangene Woche mehr als 36000 Menschen angeklickt.

Ein Informant, dessen Vater für den iranischen Geheimdienst arbeite, habe ihn gewarnt, dass zwei Agenten nach Köln gekommen seien, um ihn ausfindig zu machen, sagt Najafi. Kürzlich bat ihn ein vorgeblicher Fan auf der Straße um ein Selfie-Foto – das Bild sei wenig später in iranischen Medien aufgetaucht. Eine iranische Zeitung zeigte ein Foto von Najafi und Wallraff und beschrieb detailliert, wann der Musiker mit dem bekannten Journalisten wo gewesen war. „Es stimmte jeder Ort und jede Zeit“, sagt Wallraff.

„Ich lebe seit vier Jahren in ständiger Unruhe, sogar im Schlaf bin ich wachsam. Ich träume davon, wie jemand vor mir steht und den Bauch aufschlitzt“, sagt Shahin Najafi. „Das kann dich fertigmachen, und genau das ist das Ziel der Extremisten.“ Ein halbes Jahr erhielt der Musiker nach der von ihm sogenannten Fatwa vor vier Jahren Polizeischutz – „damals haben die Behörden die Gefährdung sehr ernst genommen und ihm schnell eine neue Identität verschafft“, erinnert sich Wallraff. „Danach hat die Polizei gesagt, dass ich nicht mehr direkt gefährdet sei“, sagt Najafi.

Die Kölner Polizei spricht im Zusammenhang mit den Drohungen gegen Najafi vor vier Jahren nicht von einer „Fatwa“, sondern von einer „Estefta“: „Davon spricht man, wenn sich ein Geistlicher kritisch zu einem öffentlichen Thema äußert“, sagt ein Polizeisprecher. Die Großmullahs hatten nicht explizit Najafis Namen genannt, wohl aber seinen Tod gefordert. Mit Najafi sei man „regelmäßig in Kontakt“, so der Polizeisprecher. Über die jüngsten Drohungen habe der Musiker die Behörden nicht informiert.

„Keine konkrete Bedrohungslage vor“

Shahin Najafi zieht gequält die Mundwinkel hoch. Als er vor einem Jahr sein Album „Sade“ veröffentlichte, erhielten in der Folge auch Fans und Veranstalter Todesdrohungen. Die Polizei habe gesagt, es liege „keine konkrete Bedrohungslage vor“. Wenn er heute mit Konzertveranstaltern spricht, wiegeln einige sofort ab; andere verlangen, dass er seinen eigenen Sicherheitsdienst mitbringen müsse. Längst haben auch seine iranischstämmigen Bandkollegen Angst. „Sie wollen irgendwann zurück in den Iran“, sagt Najafi. „Und das könnte schwierig werden, wenn sie mit mir auftreten.“

Shahin Najafi floh im Winter 2005 nach Deutschland, weil er für sein Lied „Ich habe einen Bart“ zu drei Jahren Gefängnis und hundert Peitschenhieben verurteilt worden war. Er richtet sich mit seiner Kunst gegen jede Form von Extremismus und religiöser Unterdrückung – weil er sie selbst erlebt hat. „Gerade in Zeiten wie unseren, in denen der IS Angst und Schrecken verbreitet und in ganz Europa Furcht vor Anschlägen herrscht, sollte ich eigentlich kein schlechter Botschafter für eine freie Welt sein“, sagt der 36-Jährige. Als Teenager trat Najafi mit Koranrezitationen öffentlich auf, „Allah, der Allmächtige, war mir vertrauter als meine Halsschlagader“, schreibt er in seinem Buch „Wenn Gott schläft“. Je mehr er sich bildete, desto mehr zweifelte er an der Gerechtigkeit eines islamischen Gottesstaates.

Najafi könnte in Schulen und Universitäten auftreten und seine Botschaften auf Konzerten mit europäischen Künstlern verbreiten. Er wird aber kaum gebucht – „weil die Leute Angst haben, dass etwas passiert. Das haben die Extremisten schon geschafft“.

Wenn man ihn heute fragt, ob er noch davon träume, einmal zurückzukehren in den Iran, sagt Najafi: „Nein, das liegt jenseits meiner Vorstellungskraft.“ Aber er träumt auf seinem neuen Album „Radikal“, das im nächsten März erscheinen soll, weiter davon, dass „Frauen nicht mehr ein Leben lang Puppen“ sein sollen, dass die Unterdrückung im Iran irgendwann ein Ende haben möge.

Wenn man ihn nach seiner Angst fragt, sagt Shahin Najafi heute: „Natürlich bin ich besorgt um mein Leben, sogar sehr. Aber was ist mein Leben? Es geht um das Leben von Millionen.“ Er werde daher weiter für die Freiheit singen. „Meine Stimme und meine Gitarre bleiben meine Waffen.“

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